Ilka. null crodenius

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Ilka - null crodenius

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war: ‘Wenn Sie möchten-?’ sagte er freundlich und bot mir seinen Platz an. ‘Ich muss ohnehin gleich aussteigen’. Ich errötete und bekam zunächst kein Wort heraus - hielt ich es doch für eine neuerliche Geschmacklosigkeit, zumal ich kein Krüppel war, der irgendeiner Hilfe bedurfte. ‘Nein danke’, entgegnete ich schroff, und kehrte ihm trotzig den Rücken. ‘Ich bin das Stehen gewohnt und stehe gerne!’

      Der junge Mann, der wohl spürte, dass er mich verletzt hatte, sah mich daraufhin stumm an. Es war wohl das erste Mal, dass ich einem fremden Mann in die Augen sah. Doch diesen Moment werde ich niemals vergessen, weil in diesem Blick etwas Sonderbares lag; kein Spott, keine Häme, sondern eine unerwartete Aufrichtigkeit anstelle des befürchteten Mitleides. Ich hielt den Atem an, und noch im selben Moment bereute ich mein brüskes Verhalten. Er hingegen erwiderte nichts, sondern zuckte nur die Schultern. Dann stieg er aus, und ich – völlig durcheinander - ich sah ihm noch lange nach.

      Bestimmt hätte ich diesem Vorfall bald vergessen, wenn ich ihm nicht schon am nächsten Tag erneut begegnet wäre. Es war die gleiche Zeit, an gleicher Stelle, und fast schien es, als habe er mich erwartet. Sogleich begab ich mich wieder ins hintere Abteil, lehnte mich klopfenden Herzens gegen die Scheibe, den Blick starr nach draußen gerichtet, und wagte mich nicht zu rühren. Plötzlich meinte ich, genau zu fühlen, wie seine Blicke mich maßen, doch anders als gewohnt, irgendwie einer spontanen Neugier folgend, keineswegs bedauernd, sondern direkt und unumwunden. Und am seltsamsten war, dass ich keine Scheu empfand, sondern genoss es. Oh Gott, wie war ich durcheinander. Ich errötete, mein Herz, das vor Aufregung beinahe zersprang, schlug wie wild gegen meine Brust, meine Gedanken wirbelten durcheinander.

      Was hatte er vor? Trieb er ein Spiel mit mir, oder bildete ich mir das alles nur ein? Würde er mich wieder ansprechen? Doch er zögerte. Also wandte ich mich schließlich um und wagte erstmals zaghaft in seine Richtung zu sehen.

      Erst jetzt begann ich ihn näher zu betrachten. Er war groß und schlank, hatte dunkles, gewelltes Haar, eine klare Stirn und dichte, geschwungene Brauen über stahlblauen Augen. Seine Züge waren einnehmend freundlich und ließen auf einen guten Charakter schließen, und trotz seines jugendlichen Aussehens, erahnte man einen ausgeprägten Stolz, menschliche Reife und charakterliche Festigkeit. Lediglich seine spartanische Kleidung milderte diesen ersten, durchaus angenehmen Eindruck. Danach zu urteilen, schien er aus einfachen Verhältnissen zu stammen, denn seine Jacke wirkte ziemlich schlicht, um nicht zu sagen ärmlich, und die Mütze in seinen Händen war auch schon arg zerschlissen.

      Doch das blieb für mich sekundär. Und plötzlich, als habe er meine Gedanken erraten, stand er auf und kam auf mich zu. ‚Guten Tag’ sagte er, offenbar überrascht, mich wieder zu sehen. ’Das ist ja ein Zufall, und dabei hatte ich gedacht...’ und schon entspann sich ein Gespräch – aber was heißt Gespräch, eigentlich mehr ein Monolog, da ich ja, meiner Art entsprechend, ohnehin kaum etwas sagte. Doch meine Unsicherheit tolerierend, begann er ungezwungen über allerlei Belanglosigkeiten zu reden, wie man es in solchen Situationen tut, was mich wiederum amüsierte. Dabei gelang es ihm auf bemerkenswerte Weise Komik und Tragik des Alltags miteinander zu verbinden und mich für Momente aus meiner Lethargie zu reißen. Leider war dieser Augenblick viel zu kurz, da er schon an der nächsten Station aussteigen musste. Seit diesem Zeitpunkt nun war ich in eine andere Welt entrückt.

      Ich schwebte auf einer Wolke. Kein Tag, an dem ich nicht die Heimfahrt ersehnte, ja, ich lebte nur noch für diesen Augenblick, der mich für all das entschädigte, was ich im Alltag an Bosheiten und Kränkungen zu erfahren meinte. Fortan nahm ich also nur noch die Bahn, dabei bemüht, stets zur gleichen Zeit im gleichen Abteil zu sein. Und wenn er da war, verging ich vor Glück, hingen meine Augen an ihm, dass ich alles andere vergaß. Blieb er hingegen aus, brach augenblicklich Eiseskälte über mich herein, was mir die ganze Leere und Sinnlosigkeit meines Seins offenbarte.

      Bald trafen wir uns öfter, und ich konnte ohne diese Treffen nicht mehr leben. Ein völlig neues Gefühl hatte sich meiner bemächtigt, deren Tiefe und Intensität ich niemals für möglich gehalten hätte. Die ganze Welt schien plötzlich wie verzaubert. So schlenderten wir bei strömendem Regen durch die Straßen, saßen bar jeden Zeitgefühls stundenlang auf Bänken, allein unseren Gedanken verhangen.

      Oft nahm er mir die Antwort vorweg oder sagte, was ich gerade dachte; umgekehrt erriet ich oft seine Gedanken und verblüffte ihn mit meiner Direktheit. Das war schon fast unheimlich. Ich übertreibe sicher nicht, wenn ich gestehe, dass ich hoffnungslos verliebt war, zumal ich fühlte, dass auch er ebenso empfand. Und mit dieser Gewissheit wurde aus mir allmählich ein anderer Mensch. Mein Gemüt wurde ausgeglichener, meine Sinne ruhiger; ich empfand intensiver, klarer. Mein Argwohn und meine krankhafte Hypersensibilität klangen ab und wichen einer allgemeinen Toleranz. Bald gab es kaum noch etwas, was mich aus der Ruhe brachte, und wenn, war es spätestens zum nächsten Treffen vergessen.

      Ich wäre sicher der glücklichste Mensch auf Erden gewesen, hätte es nicht dennoch etwas gegeben, was mich beunruhigte. Es war einfach der Umstand, dass er trotz aller Tiefe und Offenheit unserer Dialoge niemals über sich sprach und wenn, blieb er nur sehr allgemein. So erfuhr ich lediglich, dass er gleich in der Nähe arbeitete und Sebastian hieß. Dabei konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihn etwas bedrückte. Ich spürte einfach, dass er Hilfe suchte, und ich hätte sie ihm so gern gegeben, doch eine unerklärliche Scheu hielt mich davon ab. So blieb er denn, trotz aller Vertrautheit, in diesem Punkt für mich ein Fremder.

      Aber eigentlich störte es mich nicht wirklich. Es war ja ohnehin nicht wichtig, und ich trug mich allen Ernstes mit den Gedanken, ihn alsbald meinen Eltern vorzustellen. Natürlich wusste ich, dass einer Familie wie der meinen suspekt sein musste, aber das scherte mich nicht. Irgendwann schließlich nahm ich also all meinen Mut zusammen und brachte ihn mit nach Hause, obwohl er sich lange dagegen sträubte. Als wir nun vor unserem Haus standen und er die prächtigen Rabatten sah, als man ihm beim Eintreten die Jacke abnahm und uns in den kleinen Salon geleitete, verstummte er. Noch heute sehe ich ihn, wie er zaghaft eintrat und verwundert, die Mütze in der Hand, den kristallenen Kronenleuchter betrachtete. Und ich zeigte ihm noch weitere Kostbarkeiten, wie den ‘Renoir’ in Papas Arbeitszimmer, oder den vergoldeten Kronleuchter meiner Großmutter - zwei Erbstücke meiner Mama, worauf sie immer ganz besonders stolz war. Als sie kurz darauf eintrat und uns beide bemerkte, war sie sichtlich erschrocken.

      Papa hingegen, der an diesem Tage etwas früher von der Uni gekommen war, reagierte nicht minder überrascht. Augenblicklich verschwand sein ansonsten so liebenswürdiges Lächeln, seine Haltung straffte sich und er klemmte sein Monokel ins Auge. Dann betrachtete er den Neuling, wenn auch etwas streng, so doch im Grunde wohlwollend. Schließlich begann er ein Gespräch in der für ihn typisch spitzfindigen, etwas hinterhältigen Art, wobei er durchaus freundlich und einfühlsam vorging und alles vermied, was ihn hätte verletzten können. Sie müssen nämlich wissen, dass Papa als alter Psychologe offenbar sofort wusste, wie es um ihn bestellt war, während ich in meiner allgemeinen Vernarrtheit, vieles nicht sah, was ich eigentlich hätte sehen müssen. Doch obwohl er sich alle Mühe gab, war auch jetzt kaum mehr über ihn zu erfahren, nicht genug jedenfalls, um sich seiner Redlichkeit zu versichern - und das beunruhigte mich.

      Noch am selben Abend kam mein Vater in mein Zimmer, setzte sich auf mein Bett. Er wirkte seltsam zerstreut und abwesend, was mich beunruhigte, denn ich fühlte sofort, dass etwas geschehen war. ‘Du liebst ihn, nicht wahr?’ fragte er schließlich unumwunden. Doch ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er sogleich fort, was eigentlich nicht seiner Art entsprach. Es war ein konfuses Durcheinander von Argumenten und Gegenargumenten, welche auf der einen Seite für, auf der anderen gegen uns sprachen, doch in der Endkonsequenz etwas ganz Eindeutiges zum Ausdruck brachten. Nun war mein Vater viel zu diplomatisch, mir irgendetwas zu oktroyieren, sondern setzte als Pädagoge stets auf Überzeugung. Ich jedoch war entsetzt und weigerte mich strikt, seinem Ansinnen auch nur im Ansatz zu folgen. Und angesichts meiner Verzweiflung, die ihm sicherlich das Herz brechen musste, blieb ihm nichts, als nun mit der ganzen Wahrheit herauszukommen.

      So

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