Ilka. null crodenius

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Ilka - null crodenius

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      „Oh Entschuldigung, natürlich, und es geht mich ja auch nichts an, nur finde ich es recht bemerkenswert, wirklich.“

      „Was ist daran bemerkenswert?“

      „Nun, dass es so etwas heutzutage noch gibt.“

      „Was denn?“

      „Eben so etwas.“ Dabei lächelte sie vieldeutig.

      „Unsinn! Er ist ein –“ sie geriet ins Stocken und suchte nach Worten –„eben ein - höflicher Mensch, und ich habe sein Angebot angenommen, weiter nichts.“

      „Weiter nichts? ... Nun schauen Sie nicht so. Ich war doch schließlich auch mal jung. Sicher wundern Sie sich jetzt über meine Indiskretion und ich bitte Sie auch vielmals um Verzeihung, zumal es nicht in meiner Absicht liegt, Ihnen in irgendeiner Form zu nahe zu treten, aber sie erinnern mich an etwas.“

      „So?“, fragte Ilka, ein unbestimmtes Interesse vorschützend.

      „Ach, es ist nichts“, wiegelte die Frau ab und errötete, wobei etwas Kummervolles in ihre Züge kam. Immer wieder sah sie sich um und ließ stille, ungezwungene Blicke umherwandern.

      „Wissen Sie, manchmal geschehen Dinge, deren Tragweite man im ersten Moment noch gar nicht recht begreift.“

      „Warum erzählen Sie mir das?“

      „Ich habe Sie beobachtet. Sie sind nicht so, wie Sie sich geben, und es fällt Ihnen schwer, anders zu sein. Ich kenne das. Es ist unglaublich schwer, sich selbst zu überwinden. Wenn bloß dieser verdammte Stolz nicht wäre, nicht wahr? Aber, falls meine Offenheit Sie kränken sollte, dann...“

      „Oh nein, keineswegs. So etwas interessiert mich immer ganz besonders“, erwiderte Ilka leicht gereizt.

      „Ich habe so etwas auch schon mal erlebt. Und wenn sie nichts dagegen haben, würde ich Ihnen gerne davon erzählen, nur so zum Zeitvertreib.“

      „Bitte, ich höre Ihnen gerne zu.“ Ilka lachte unnötigerweise, während das Gesicht der Frau einen verklärten Ausdruck annahm.

      „Ach Gott, wie lange ist das jetzt schon wieder her. Sie müssen nämlich wissen, dass ich zu Hause als behütetes Einzelkind aufwuchs, dem man stets mit einem Übermaß an Liebe und Aufmerksamkeit begegnete, da ich mich ja - wie sie sicher schon bemerkt haben - allein vom Äußeren von anderen Kindern unterschied (sicher einer der Gründe, weshalb ich später meinen Vater, einen promovierten Oberstudienrat, und meine Mutter, eine engagierte Juristin, nur noch mehr verachtete, da sie mich niemals sein ließen, wie ich sein wollte.) Ihre ständige Fürsorge, ihr Bestreben, mich in allem zu entlasten und mir dadurch jede Selbständigkeit zu nehmen, erdrückten mich und bewirkten in mir eine zunehmende Abneigung gegenüber jeder Form von Hilfsbereitschaft und Entgegenkommen, ja endeten letztlich sogar in einem abgrundtiefen Hass gegenüber diesen Erscheinungen, die ich stets als falsches Mitleid interpretierte.

      So wurde ich schon sehr früh zu einem introvertierten, eigensinnigen Kind mit einem manischen Hang zu übertriebener Eigenständigkeit. Krampfhaft versuchte ich mich zu beweisen, ohne zu merken wie sehr ich mich damit in eine bizarre Innenwelt verkroch, um zu finden, was mir die reale Welt verwehrte. In den frühen Kindesjahren spürte ich es noch nicht so deutlich, war es ein Zustand, den man eben hinnimmt, ohne weiter darüber zu befinden. Später aber, als wir nach G. umzogen (mein Vater hatte gerade eine neue Anstellung an der dortigen Universität bekommen und erhoffte sich nunmehr gute Protektionen für meine künftige Karriere als Juristin, die ich nach seinem Willen unbedingt zu werden hatte) - und ich von heute auf morgen in eine völlig neue Umgebung kam, wurde es mir zunehmend unerträglich.

      Da gab es bald Momente, da ich nicht mehr in den Spiegel zu schauen wagte, an dem ich alte Fotos zerriss oder zu Fratzen karikierte, ja, dass ich mich nicht mal mehr auf die Straße traute, weil die Kinder aus der Nachbarschaft, längst dazu übergangen waren, mich zu necken und mit Schmutz zu bewerfen. Für sie war ich die kleine Hexe, die hässliche ‘Buckelliese’ eines zugezogenen Winkeladvokaten. So kam es in der Folgezeit zu vielen hässlichen Szenen, die ich wohl niemals mehr vergessen werde. So erinnere ich mich noch, wie ich einmal in einer Schlange bei einem Eisverkäufer in unserer Straße anstand.

      Der Mann, der es wohl nur gut meinte, bat mich gleich vorzukommen und sagte noch: ‘Du armes Kind’, was sogleich ein unterdrücktes Prusten in der Schlange auslöste. Sie können mir glauben, dass man nicht beschreiben kann, was man in einem solchen Augenblick empfindet. Man glaubt, am lebendigen Leibe zu verbrennen. Die ganze Welt, eben noch warm und vertraut, nimmt schlagartig solch groteske Züge an, dass man sie nicht mehr zu ertragen meint und nur noch den Wunsch hat, davon zu rennen, irgendwohin, nur weg von dieser allseits präsenten, erdrückenden Unbarmherzigkeit, die einem auf Schritt und Tritt verfolgt, so dass selbst Dinge, die normalerweise das Herz erfreuen - ein strahlender Frühlingstag oder eine blühende Blume - nur noch Hass und Bitterkeit bewirken.

      Aber wer weiß, vielleicht war ich zu jenem Zeitpunkt wirklich schon sehr krank, weshalb ich oft überreagierte und andere Menschen, die mir bestimmt nichts Böses wollten, von vorn herein verletzte. So redete ich mir sicher auch Dinge ein, die es in dieser Form gar nicht gab, was meine Isolation nur noch verstärkte. Doch irgendwie - ich weiß bis heute nicht wie - ging es stets weiter, verdrängte ich den Schmerz, auch wenn er noch so unerträglich schien. Von alle dem erzählte ich meinen Eltern natürlich nichts, sondern ertrug es, wie man so etwas eben erträgt, mit wehem Herzen, falschem Stolz und tiefem Trotz.

      Die Jahre vergingen, und ich kam aufs Lyzeum. Meine Mitschülerinnen, allesamt aus gutem Hause und mit anstehenden glänzenden Karieren, betrachteten mich von Anfang an mit einem gewissen arroganten Mitleid - eine Form der ‘Anteilnahme’ also, die ganz besonders schmerzhaft ist. Und dabei konnte ich noch nicht mal sagen, was es war: Es war einfach dieses betretene Schweigen, das ständig um mich herrschte, diese Unsicherheit im Benehmen mir gegenüber, die mein Misstrauen und meine Aversionen nur noch steigerten. Und dabei versuchten einige anfangs tatsächlich, sich mir in ehrlicher Absicht zu nähern, was ich aber, da ich es als billige Anbiederung missdeutete, kategorisch ablehnte.

      So blieb ich denn weiterhin allein. Ich will nun nicht sagen, dass ich von vornherein geschnitten wurde, aber man begann mich zumeiden, und die wenigen Gespräche, die sich hin und wieder ergaben, beschränkten sich im Wesentlichen auf rein schulische Probleme. Dabei war mein Herz so übervoll von Sehnsüchten, die ich so gerne mit jemandem geteilt hätte. So aber entstand in mir bald ein seltsamer Zwiespalt: Zum einen glaubte ich, ihre Nähe auf Dauer nicht zu ertragen; zum anderen drängte es mich zu ihnen hin, um mich allein durch meine Anwesenheit zu beweisen, was ich als Unerschrockenheit fehlinterpretierte. Doch da ich unentschlossen blieb, galt ich weiterhin als Eigenbrötler.

      Nun war ich mittlerweile schon 18 Jahre, doch meine Mutter behandelte mich noch immer wie ein Kind. Und dabei konnte ich es nicht ausstehen, wenn sie mich morgens mit einem Wangenkuss weckte und mir zum Frühstück warme Milch bereitete, ja, wenn sie mich manchmal sogar noch zur Schule brachte. Ich aber duldete es aus falscher Scham. Sie können sich sicher denken, wie meine Mitschülerinnen darauf reagierten... Ich schämte mich zu Tode, und aus lauter Verzweiflung sah ich keinen anderen Weg, als mich nur noch mehr zurückzuziehen und aller Welt mit Argwohn zu begegnen. So fügte ich mich in mein Schicksal und glaubte lange Zeit, dass es mir so vorbestimmt sei und die einzige Erfüllung allein in meinen Träumen läge. Dann aber geschah etwas, was mich völlig durcheinander brachte.

      Eines Tages fuhr ich allein mit der Straßenbahn nach Hause. Wie immer tief in Gedanken, bemerkte ich das Gedränge nicht, obwohl die Bahn um diese Zeit brechend voll war. Ich hatte es eigentlich

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