Mit der Wut des Überlebens. Lars Gelting

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Mit der Wut des Überlebens - Lars Gelting

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Deshalb ist er damals auch nicht mit Gregor zurückgekehrt.“

      Franz zog die Augenbrauen hoch, zweifelnd.

      „Lass mal Junge!“ Mit seinem Span pickte er in gleichmäßigen, kurzen Abständen zu ihm hinüber, „Bei einigen hat das geklappt. Und ich glaube, er hätte das auch geschafft. Wirklich!“

      „Er hat es geschafft! Oder besser: Er hätte es geschafft, wenn er zurück gekommen wäre.“ Therese, den Ellenbogen auf den angezogenen Knien, den Kopf in der Hand abgestützt, sagte es einfach so in den Raum. „Die Grundlage für all das, was wir in den letzten Tagen verhandelt haben, hat er geschaffen, nicht ich!“

      „Und der Schlüssel dazu war das Kreuz, das du ihm abgenommen hast?“ Margret erhob sich und kramte mehrere Holzbecher aus einer Kiste, die direkt hinter ihr stand.

      „Das habe ich aber nicht geahnt. Ich habe es monatelang mit mir herumgetragen, einfach so.“ Sie richtete sich auf, verschränkte die Arme über den Knien, „Es war etwas von ihm, und das wollte ich bei mir haben. Mosche hat mich dann wieder darauf gebracht.“

      „Hört sich jüdisch an: Moshe!“ Franz war aufgestanden, stand jetzt auf der anderen Seite des Feuers vor dem Kessel und damit Margret gegenüber.

      Sie sah zu ihm auf, „Ich habe doch von den beiden Juden erzählt, die im Wald vor Nürnberg in die Falle gegangen waren, Vater und Sohn.“ Er nickte, sich erinnernd, sah zu ihr herüber. „Moshe war der, der sich fast erhängt hätte. Er hat mich aus Magdeburg herausgeholt.“ Sie hielt ihm einen leeren Becher hin, „Hätte er mich nicht in die Gruft gezogen, ich wäre niemals da herausgekommen.“

      Irgendwo in der Ferne grummelte es, rollte der Donner lang ausrollend von ihnen fort.

      „In eine Gruft?“ Er gab ihr den dampfenden Becher wieder, sah sie mit gerunzelter Stirn an und nahm nacheinander die Becher von Stefan, Zita und Mikola.

      „An dem Tag war sie wohl einer der sichersten Orte in Magdeburg. Sogar die Johanniskirche über der Gruft ist vollständig ausgebrannt.“

      Er schöpfte das heiße Wasser, nickte vor sich hin, „Das scheint mir typisch für Juden zu sein.“ Vorsichtig gab er die gefüllten Becher zurück und ging dann zu seinem Platz hinüber. „Wenn alle anderen draufgehen, sie kennen die Schlupflöcher und kommen durch.“

      Sie antwortete ihm nicht sogleich, sah zu, wie er sich hinsetzte, wartete, bis ihre Augen sich begegneten, „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du hier in Ingolstadt viele Juden kennst. Und dafür bist du ziemlich hochmütig!“

      „Man hört das halt, wenn über Juden geredet wird: Sie sollen immer ihren Vorteil im Auge haben und so besser über die Runden kommen als der Christenmensch.“ Er sah hinüber zu Mikola, der ihn mit nachdenklich zusammengekniffenen Augen musterte.

      „Er musste mich nicht durch die Trümmer schleppen, ich war ihm eher eine Last. Und er musste mich auch nicht in Leipzig in seinem Hause aufnehmen, mich ernähren. Noch dazu als Christin, die ich wochenlang mit einem Kreuz um den Hals herumlief. Und vermutlich ganz entgegen der allgemeinen Vorstellung hat er mich auch nicht um das gebracht, was dein Vater mir und dir hinterlassen hat. Ohne ihn und seinen Vater wäre ich jetzt gar nicht hier.“ Sie wandte sich ab, sah ruhig zu Margret hinüber, die einen Topf mit Honig herangeholt hatte und nun darin herumpulte.

      „Ich habe bisher nichts mit Juden zu tun gehabt, aber man erzählt sich halt so allerhand.“ Sich verteidigend zog er die Schultern hoch, sah ohne sich umzuwenden zu ihr herüber.

      „Eben!“ Sie wandte sich ihm wieder zu, „Man erzählt auch viel über Hexen! Ehe man sich dann versieht, werden Menschen gefoltert und umgebracht. Du solltest gewarnt sein! Alles was ich kann, bin und habe geht auf deinen Vater und die Goldbergs zurück, und sie haben nichts dafür verlangt!“

      „Diese Juden, lebten die in Leipzig?“ Mikola runzelte die Stirn, sah vorgebeugt zu ihr hinüber, „Gerade in den großen Städten wie Magdeburg und Leipzig ist es denen damals schlecht ergangen. Die mussten doch überall verschwinden!“

      „Das stimmt! Aber die Goldbergs waren nicht irgendwelche Juden und das wusste man auch. Sie wurden halt geduldet wie ein Huhn, das bei Bedarf goldene Eier legt. Die Stadt konnte sich bei ihnen bedienen, ohne Widerstand erwarten zu müssen. Ob Belagerung oder Pest: Goldbergs mussten immer besonders bluten und hohe Summen zahlen.“

      „Und, warst du bei diesem Einsiedler?“ Margret ließ den Honig vom Holzspatel ins heiße Wasser schmelzen und reichte den Honigtopf an Therese weiter. Draußen rauschte es um das Zelt herum, hob die Plane, als würde das Zelt einatmen, und ließ sie dann schlaff wieder zusammenfallen.

      „Moshe ist mit mir hingefahren.“ Sie klemmte den bauchigen Tontopf zwischen ihre Knie, hob mit dem Spatel einen kleinen Klumpen von der cremigen Masse ab und gab den Topf an Franz weiter. „Im Herbst zweiunddreißig. Ich dachte damals überhaupt nicht daran, diesen Rupert aufzusuchen. Ich hatte abgeschlossen. Mir reichte das Kreuz und die Erinnerung.“

      „Aber dein Mann hat dir doch aufgetragen, unbedingt diesen Einsiedler aufsuchen!“

      „Für wen oder was sollte ich das tun?“ Sie rührte in ihrem Krug, sah kurz hinüber zu Margret. „Zurück nach Eichstätt konnte ich nicht. Ich dachte, ich würde es nie mehr können. Und bei den Goldbergs war ich zuerst mal eine Fremde.“ Sie nahm vorsichtig einen Schluck aus dem Becher, rührte wieder. „Die Juden sind von der Stadtgemeinschaft ausgeschlossen, sind immer nur für sich. Wer zu ihnen kommt, will Geschäfte machen, andere Kontakte gibt es kaum. Verstehst du: Ich fühlte mich abgeschoben aus der Welt und ziemlich überflüssig.“

      Wieder jagte der Wind um das Zelt, blähten sich leise flappernd die Planen.

      „Moshe hat dann immer wieder gedrängt, hat mir vor Augen geführt, dass auch dem Eremiten mal was passieren könnte. Und irgendwann war er es wohl leid.“ Sie nahm ruhig einen Schluck, sah sinnend ins Feuer, „Ganz in der Frühe, hatte er schon das Pferd vor den kleinen Wagen gespannt, ist einfach mit mir losgefahren. …

       In Saalfeld brauchten sie nicht lange fragen: Der „fromme Mann“, der „im Bruch hinterm Berg lebt,“ war hier bekannt. Sie ließen sich den Weg durch den Wald erklären, stellten Pferd und Wagen bei einem Bauern ein und machten sich zu Fuß auf.

       Und der Einsiedler meinte es bitter ernst mit der Abkehr von den Menschen: Zügig ausschreitend kämpften sie sich den halben Tag durch dichten Fichtenwald. Waren jedes Mal erleichtert, wenn sich vor ihnen bunter und lichter Buchenwald den Hang hinauf zog und ärgerten sich anschließend, wenn undurchdringliches Beerengestrüpp sie dort zu größeren Umwegen zwang. Sie quälten sich nicht einen Berg, sondern immer noch einen hinauf und auf der andern Seite wieder herunter.

       Die Sonne hatte den Zenit schon überschritten, als sie, den Rückweg bedenkend, bereit waren, aufzugeben. Noch den einen Hang hinauf! Und wenn dann nichts von ihm zu sehen ist, kehren wir wieder um!

       Entschlossen kletterten sie den Abhang zwischen Steinen und Buschwerk hinauf, verharrten dann keuchend und schnaufend auf der Höhe und waren ebenso enttäuscht, wie schon einige Male zuvor: Umgeben von hohen Bäumen hatten sie keinerlei Ausblick, Buschwerk und Geröll verleideten ihnen den weiteren Abstieg. – Sie mussten zurück!

       Enttäuscht und schweigend ließen sie sich auf einen der Baumstämme nieder, die, vom Wind gefällt und dicht bemoost, auf der Anhöhe lagen, schnauften und stierten vor sich hin.

      „Wie

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