Mit der Wut des Überlebens. Lars Gelting

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Mit der Wut des Überlebens - Lars Gelting

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auf, was sich ihm mitteilte. Den leichten Geruch nach Harz, der sich in der letzten Wärme des Jahres verbreitete, die tiefe Stille, bereichert durch das Summen der Insekten, den Ruf einzelner Vögel, der zu ihnen hallte, als säßen sie in einem großen Raum und – da war noch etwas. Sein Blick blieb bei ihr hängen, starr und aufmerksam. Er konzentrierte sich auf etwas. „Hört ihr das?“ Er flüsterte fast, wies mit seinem Zeigefinger über die liegenden Baumriesen hinweg zum Abhang, dorthin, wo sie nicht mehr hinunter laufen wollten. Sie hörte nichts, was für einen Wald nicht typisch gewesen wäre, eben die Insekten, die Vögel und irgendwo murmelte ein Bach.

      „Das ist kein Bach!“ Er flüsterte wieder, „Hört einmal genau hin!“ Sie konzentrierte sich, horchte und hörte gar nichts mehr! Der Bach hatte aufgehört zu fließen!

      „Kommt! Das ist er!“ Moshe war schon auf, kletterte über den nächsten Baum hinweg, erreichte die erste Baumreihe und blieb abwartend stehen. Kinn und Augen wiesen nach vorn, so als läge etwas Wichtiges vor seinen Füßen.

       Vorsichtig kam sie näher, reckte den Hals, sah zuerst, dass hinter der Baumreihe der Hang steil abfiel, und dann sah sie ihn. Er war nur eine Baumhöhe unter und etwas seitwärts von ihnen, dort, wo der Steilhang in einem Halbrund von ihnen weglief.

       Groß und hager, in ein naturfarbenes, streng an ihm herabfallendes Gewand gekleidet, stand er dort. Stand wie ein ärmliches Abbild desjenigen, dem er nachzueifern trachtete. Der Sonne zugewandt und mit dem Rücken zu ihnen, hielt er die Hände seitwärts in Schulterhöhe und begann nun wieder mit seinem eintönigen Gemurmel.

       Als sie sich ihm näherten, unterbrach er sein Gemurmel nicht, erhob vielmehr seine Stimme, als wolle er ihnen drohen, und zwang sie so, zu warten, bis er nach einer ganzen Weile die Arme herunter nahm. Schweigend verharrte er noch einen Augenblick mit gesenktem Haupt und geschlossenen Augen, wandte sich ihnen dann zu, hoch aufgerichtet, abweisend eher und mürrisch.

      „Seid ihr Rupert, der Einsiedler?“

      „Was wollt ihr?“ Er veränderte seine Haltung nicht, stand vor ihnen in seinem einfachen, langen Gewand, welches seine Arme übermäßig lang und seine Hände besonders groß erscheinen ließ.

      „Ich bin Therese Driesner, die Frau von Johannes Driesner, und ich brauche eure Hilfe.“

      „Und wer ist das?“ Seine Augen wiesen kurz zu Moshe hinüber, der einige Schritt hinter ihr stehen geblieben war.

      „Er hat mich aus Magdeburg herausgeholt und steht mir jetzt bei!“

       Einen Augenblick ruhten seine großen, hellen Augen forschend auf ihrem Gesicht, „Was meint ihr mit: „aus Magdeburg herausgeholt“?“

      „Magdeburg ist im Mai letzten Jahres von den Kaiserlichen gestürmt worden. Es ist fast vollständig niedergebrannt.“

      „Magdeburg auch!“ Er stieß es hervor, fassungslos, und für einen Augenblick verschwand der Mund vollkommen in seinem Bart. „Und Johannes?“

       Noch ehe sie antworten konnte, drohten ihre Augen überzulaufen, „Johannes ist in Magdeburg umgekommen.“

       Er sah sie unverwandt an, sah dann herunter auf das Kreuz mit dem groben Lederband, dass sie ihm zögernd entgegenhielt. Die schmalen Lippen fest aufeinander gepresst, verschwand sein Mund wieder vollkommen im wüsten, grauen Bartgestrüpp, nickte er einen Atemzug lang sinnend vor sich hin.

       Unversehens wechselte sein Blick zu Moshe, der ruhig hinter ihr stand, „Ihr seid Jude!“

      „Vor Gott bin ich zuerst ein Mensch, wie ihr auch!“ Ruhig und bestimmt kam die Antwort, fand ihre Bestätigung im nachdenklichen Nicken des anderen.

       Sein Blick kam zu ihr zurück, „Wie sollte ich euch helfen? Ich besitze nichts, und ich kenne niemanden, der euch statt meiner helfen könnte!“

       Er war sicher einen ganzen Kopf größer als sie, und sie musste aufschauen, um in das lederne, von hellgrauem Haar und Bart umrahmte Gesicht schauen zu können.

      „Johannes wollte, dass ich mit dem Kreuz zu euch gehe!“ sie hielt ihm das Kreuz wieder ein kleines Stück entgegen. Und wieder sah er mit zusammengepressten Lippen nur kurz darauf und dann zurück zu ihr.

      „Er hat es mir auferlegt, während er starb!“ Ihre Augen liefen über, „Weil sonst alles umsonst gewesen sei, hat er mir gesagt. Ich weiß nicht, was er damit meinte.“

       Alle Strenge war aus seinem schmalen Gesicht gewichen. Nachdenklich wechselte er aus ihrem Gesicht zum Kreuz, verharrte dort einen langen Augenblick, streckte dann seine große Hand aus, bittend. Behutsam nahm er ihr das Kreuz aus der geöffneten Hand, hielt es so am Lederriemen, als wolle er ihr etwas erklären.

      „Johannes trug das Kreuz immer, es sollte ihn mahnen!“ Er sah sie an, aufmerksam, erklärend, „Das Kreuz hat eine Geschichte. Sie hat unser Leben absolut verändert.“ Er hob das Kreuz nahezu in Augenhöhe, betrachtete es sinnend, „Jetzt holt mich diese Geschichte wieder ein!“ Das Kreuz vorsichtig hochhaltend, als wäre es von unerhörtem Wert und leicht zu beschädigen, wandte er sich um, „Kommt!“

       Er ging vor ihnen her, ging die wenigen Schritte auf die Felswand zu, oberhalb derer sie zuvor gestanden hatten. Von der warmen Nachmittagssonne beschienen, erhob sie sich vor ihnen in mehreren Abbrüchen und immer wieder von Gräsern und kleinen Sträuchern überwachsen. Am Fuß der Wand ein dicker Baumstamm, auf dem sie nebeneinander und mit der Wand im Rücken gut sitzen konnten. Direkt davor, breit und nicht höher als der Baumstamm, ein kantiger Felsbrocken. Die im Gegensatz zur Oberfläche bemoosten Seiten ließen darauf schließen, dass er schon vor langer Zeit aus der Wand gebrochen und nach unten gestürzt war. Eine Zeitlang saßen sie nur da, der eine vorgebeugt, die Arme auf dem Stein abgestützt, das Kreuz vor Augen, die anderen angelehnt, abwartend.

       Wenige Schritte seitwärts von ihnen, umgeben von hohen Büschen und Beerenranken und angelehnt an die Wand, erkannte sie die einfache Behausung aus dickeren Stämmen, dazwischen geflochtenen Zweigen, Lehm, Moos und Blattwerk.

      „Ihr wisst nicht, was es mit dem Kreuz auf sich hat?“ Unvermittelt durchbrach er die Stille, hielt das Kreuz etwas vor, so dass sie es gut sehen konnte.

      „Nein, ich weiß gar nichts! Ich weiß nur das, was ich sehe!“

      „Johannes hat die Mahnung des Kreuzes beherzigt, er hat nur noch gefochten, wenn es um seinen Kopf ging.“ In seiner Haltung musste er sich weit umwenden, um sie anzusehen, „Um Ostern war er noch hier.“ Er drehte sich noch ein Stück weiter zu ihr herum, saß jetzt seitwärts zu ihr, „Wisst ihr, dass er ein tüchtiger Marketender und Organisator war? Es gab kaum etwas, was er nicht besorgen konnte, auf anständige Weise!“ Er wandte sich wieder ab, sah einen Augenblick sinnend geradeaus, während seine Finger am glattgewetzten Holz des Kreuzes entlangfuhren. „Aber er verstand den Krieg als große Gelegenheit, als eine Zeit, in der die Karten neu gemischt würden. Und an dem Punkt waren wir verschiedener Meinung.“ Er drehte sich ein wenig zu ihr herum, so dass er sie gerade ansehen konnte, „Für mich war auch das Diebstahl, wenn man an sich nahm, was die zuvor umgekommenen oder geflohenen Besitzer zurückgelassen hatten. Für ihn bereinigte der Krieg so nebenbei nur das Unrecht, das andere zuvor begangen hatten! Er wollte jedenfalls als freier Mann zurückkommen.“

      

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