Der späte Besucher. Wolfgang Brylla

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Der späte Besucher - Wolfgang Brylla

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Seminarveranstalters in seiner Mailbox auftauchte, wusste er zunächst gar nichts damit anzufangen. Das musste ja wohl ein Versehen sein oder ein Betrugsversuch. Man hörte ja überall davon, Pishing oder wie das da hieß. Er schaute genauer hin, wer denn der Absender war und langsam kam in ihm die Erinnerung zurück, die ihn mit seiner Wahnsinnsidee konfrontierte, die darin bestanden hatte, sich in einem Zustand der Unzurechnungsfähigkeit zu einem „spirituellen" Seminar angemeldet zu haben. Was für ein Blödsinn war das? So was würde er auf keinen Fall machen. Wie besoffen musste er da gewesen sein, als er sich dafür angemeldet hatte? Oder hatte ihn seine Verzweiflung dazu getrieben, in der Hoffnung, dass einer ihm eine Lösung aus seinem Dilemma verschaffen könnte? Auf keinen Fall war er bei klarem Verstand gewesen, so wie jetzt, als ihm das Vorhaben aberwitzig erschien. Wie würde er dastehen, wenn jemand seiner Kollegen davon Wind bekäme. Das waren allesamt gestandene Männer und Frauen mit Realitätssinn. Für die zählten Fakten, so wie auch für ihn, keine spirituellen Spinnereien. Begleichen musste er die Sache, denn der Zeitraum für eine Stornierung war bereits überschritten. In diesen sauren Apfel musste er beißen. Was sollte er tun? Bezahlen für nichts oder doch hinfahren und mutig sich der neuen Erfahrung stellen? Die Vorstellung, seine gewohnten Bahnen zu verlassen, bescherte ihm ein kribbelndes Unwohlsein. So saß er vor seinem Laptop und beobachtete seine rechte Hand. Wie von außen nahm er wahr, wie er mit der Mouse den Zeiger auf den Zugang zu seiner Online-Bank zu richtete? Wie sein rechter Zeigefinger den Cursor auf o.k. führte und die linke Taste mit einem Klick die Transaktion vollendete. Das war's, das Geld war weg. Und nun? Hatte er sich schon entschieden, damals, als er sich angemeldet hatte? War sein kritisches Bewusstsein so hilflos, dass es sich nicht gegen diesen Entschluss durchsetzen konnte, oder wollte es nur nicht zeigen, dass es die Schnauze voll hatte von seiner aktuellen Art zu leben, ohne dies offen zuzugeben? Er wusste es nicht und schaute sich einfach noch einmal die Beschreibung des Seminars an. Aber das half ihm auch nicht weiter, denn da stand nichts anderes, als er es beim ersten Mal dort vorgefunden hatte. Am besten, er trank erst einmal ein Bier und wandte sich anderen Dingen zu, die wichtiger waren.

      Der Tag, an dem er sich zu dem Seminar auf den Weg machte, kam viel schneller, als erwartet. Der Wetterbericht für Süddeutschland war Unheil verkündend und Albert konnte sich auf eine von Eisglätte und Schneetreiben begleitete Fahrt einstellen. Doch das machte ihm als geübtem Autofahrer wenig aus. Es war das Ziel seiner Reise, welches ihm Magenschmerzen bereitete, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte Krämpfe und sein Darm befand sich auf höchster Aktivitätsstufe. Noch nie hatte er eine solche Veranstaltung mitgemacht. Im Gegenteil, er hatte sich bisher immer abfällig über diese armen Menschen geäußert, die so was nötig hatten. Nicht, dass er sie verachtet hätte. Er war ja tolerant. Da war z.B. die sehr attraktive junge Kollegin gewesen, die regelmäßig zum Familienstellen fuhr oder der alte Bauzeichner, der nach einem Herzinfarkt zu meditieren angefangen hatte. Aber die waren inzwischen nicht mehr in der Firma. Nein, er verachtete sie nicht. Er empfand es nur als Schwäche und war stolz darauf, dass er so etwas nicht nötig hatte. Er erbrachte stets seine Leistung, hatte beruflichen Erfolg und die Unzufriedenheit trank er sich aus dem Kopf. So funktionierte sein Leben seit vielen Jahren, ohne dass er gewahr wurde, dass irgendetwas dabei war, aus dem Ruder zu laufen. „Das Glückssaufen", wie er es nannte, wenn er mit einem Zug eine Flasche Bier leerte und die betäubende Wirkung in sich aufsteigen spürte, funktionierte immer seltener, während die Gefühle von Angst und Traurigkeit immer häufiger und länger bei ihm verweilten. „Noch habe ich aber alles im Griff", sagte er mit zweifelhafter Überzeugung. „Also warum diese Fahrt durch den Schnee?"

      Das mulmige Gefühl quälte noch seinen Bauch, als er seinen Wagen auf den Parkplatz des Tagungshotels steuerte, welches in einer ehemaligen Kurklinik untergebracht war. Die Fahrt hatte ihn durch dichtes Schneetreiben geführt, was seine höchste Aufmerksamkeit erfordert hatte, so dass er kaum an das Seminar zu denken brauchte. Doch jetzt, als sein Wagen zum Stillstand kam, fühlte er sich wie ein verängstigtes Kind. Da er sich solch eine Angst nicht zugestehen konnte, deutete er das als Widerstand gegen das Seminar und die Menschen dort. Er schaute zum Eingang und überlegte, doch noch umzudrehen. Irgendwo ein Hotel suchen, an der Bar etwas trinken, schlafen und am nächsten Tag zurück fahren, das wäre die erleichternde Alternative. Hinter ihm fuhr ein weiteres Fahrzeug auf den verschneiten Parkplatz. Eine Frau und ein Mann stiegen lachend aus dem Wagen. Wie alberne Kinder bewarfen sie sich mit Schnee, bevor sie den Kofferraum öffneten und zwei Koffer herausholten. Er beobachtete die beiden und fand sie übertrieben fröhlich. „Mach, dass du hier wegkommst," sagte eine Stimme in ihm. „Wenn die hier alle so drauf sind, weißt du ja schon, was das für ein Mist wird.“ Also aufbrechen, umkehren und fliehen? „Welch ein Unsinn, jetzt wieder zu fahren,“ machte er sich Mut und versuchte, sich alle schwierigen Situationen ins Gedächtnis zu rufen, die er bisher bestanden hatte. Da gab es viele, aber jetzt wollten ihm keine einfallen. Noch ein Wagen rollte auf den Parkplatz und hielt neben dem seinen. Es war ein kleiner Fiesta, aus dem schon bald eine Frau mit roter Pudelmütze und langen lockigen Haaren ausstieg. Sie sah ihn im Auto sitzen und lächelte kurz. Ihre Augen strahlten, als sie zu ihm hineinschaute. Sie griff über die Rückenlehne des Beifahrersitzes und holte eine kleine Reisetasche von der Rückbank. „Wahrscheinlich tut es die Kofferraumtüre bei der alten Kiste nicht mehr,“ dachte er und schaute der Frau hinterher, wie sie, die Tasche in der Hand, durch den Schnee in Richtung des Tagungshauses stapfte. Ohne das warme Gefühl in seiner Brust bewusst wahrzunehmen, sagte sich Albert: „Also los. So schlimm wird es schon nicht werden", und stieg aus dem inzwischen kalten Auto aus. Er musste sich anstrengen, seine Reisetasche aus dem Kofferraum zu hiefen, denn die zwei Sixpacks Altbier, die er vorsorglich dort verstaut hatte, verliehen dem Gepäck zusammen mit den übrigen Sachen ein ordentliches Gewicht.

      An der Rezeption angekommen, hatte die Frau bereits eingecheckt. Er sah die rote Pudelmütze um eine Ecke verschwinden und blickte ihr nach, bis das Räuspern des Portiers ihn in die Wirklichkeit zurückrief. Hinter ihm warteten schon zwei weitere Teilnehmer. Albert sagte, dass er ein Zimmer reserviert hätte, wobei er viel zu leise sprach, so dass der Portier nachfragen musste. Als er schließlich seinen Zimmerschlüssel in der Hand hielt, bewegte er sich wie im Traum zum Speisesaal, so dass der Portier ihm hinterherrufen musste, dass er in die andere Richtung gehen und den Aufzug zur zweiten Etage nehmen sollte, wo sein Zimmer lag. Albert war das ungemein peinlich. Alle konnten sehen, wie durcheinander er war. Fehler zu machen, und das ganz öffentlich, war für ihn immer eine schmerzhafte Blamage. Er fürchtete, alle würden ihn anstarren, lachen oder abwerten. Am liebsten wäre er im Boden versunken oder einfach wieder nach draußen gegangen, ins Auto gestiegen und losgefahren. Dabei bemerkte er gar nicht, dass niemand auf ihn achtete. Stattdessen stand er vor der Aufzugtüre und wartete mit einem Mann zusammen, bis sich der Aufzug durch quietschende Geräusche bemerkbar machte. Der Mann lächelte ihm zu. Er mochte in Alberts Alter sein und sah auch nicht so ganz glücklich aus, wie Albert fand. Er lächelte unsicher zurück und sie bestiegen gemeinsam den Aufzug. „Auch zum ersten Mal hier?", fragte der Mann. Albert nickte und brummte ein „ja". „Meine Frau hat mir das Seminar zu Weihnachten geschenkt. Sie meint, es würde mir gut tun", sagte der Mann mit einem leichten Zweifel in der Stimme, und Albert fand das beruhigend. „Ich heiße übrigens Helmut. Bei solchen Seminaren duzt man sich ja wohl,“ setzte er unsicher hinzu, als er Alberts Gesichtsausdruck sah. Der andere war also auch nicht aus Überzeugung hier. „Tut man wohl,“ erwiderte Albert. „Ich heiße Albert. Mal sehen, was das hier bringt." So verabschiedete er sich und lächelte dem anderen zu. Nachdem beide die Nummern Ihrer Schlüsselanhänger studiert hatten, bewegten sie sich in unterschiedliche Richtungen auf dem langen Gang. „Bis morgen", rief der andere und winkte. Auch er schien froh, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Albert nickte noch einmal und suchte seine Zimmernummer.

      Der Raum war klein, gemütlich und mit hellen freundlichen Möbeln ausgestattet. Das war schon mal in Ordnung. Seine innere Anspannung löste sich langsam. Mit einem Bier, welches er dem einen Sixpack entnahm, half er seinen guten Gefühlen nach. Die Bilder an der Wand zeigten Darstellungen von Lichtwesen und weißen Wasserfällen, was er als eher kitschig oder vielmehr lächerlich empfand. „Kinderkram", dachte er. Immerhin waren die Bilder schöner als die schwarzhaarigen, leicht bekleideten Carmens oder die in grellen Farben dahingepinselten Landschaften, die man an den Wänden vieler Hotelzimmer vorfand.

      Albert

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