Indische Reisen. Ludwig Witzani

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Indische Reisen - Ludwig Witzani

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und Jainismus übernommen wurde, wird von Krishna in Gestalt eines großen Gedichtes in 18 Gesängen enthüllt – einschließlich einer düsteren Bestandsaufnahme des eigenen Zeitalters. Denn wie Krishna verkündete, war die Welt von Kurushkreta dabei, in das Kaliyuga, in eine Epoche des Hasses und der Zwietracht einzutreten, in der den Menschen die Verbindung zum Göttlichen entgleitet. Die Szene, in der Krishna auf einem Streitwagen dem Pandava-Helden Arjuna diese Lehre darlegt, gehört deswegen zu den am meisten dargestellten (und am meisten missverstandenen) Motiven der indischen Kunst.

      In Vrindaban fand ich schon am Vormittag ohne Schwierigkeiten eine Unterkunft. Ich wohnte in einem von außen etwas verfallenen Gebäude in einer schmalen Gasse, die über zwei Ecken zu den Ghats an der Yamuna führte. Die Zimmer glichen mehr Nischen mit Türen als Räumen, doch die Betten waren sauber, und sogar das Licht funktionierte. Ich besaß sogar ein winziges Fenster, das sich öffnen ließ und durch das ich, wenn ich es schaffte meinen Kopf hindurch zu stecken, auf das Gassengewirr herunterblicken konnte. Unter den Gästen der Herberge befanden sich junge Briten, die sich darüber zu wundern schienen, dass es in diesem Guesthouse kein Bier zu kaufen gab, Frauen im mittleren Alter mit einem ostentativen Desinteresse an allem Männlichen, ältere Reisende im perfekten Outdoor-Dress, die mit Büchern im Essraum saßen, dazu einige Sanyasins, die in ihren rosafarbenen Gewändern entweder hinter ihren Türen ihre Meditationsperlen zählten oder sich in einem der Ashrams aufhielten.

      Nicht weit von meiner Unterkunft befand sich das Keshi-Ghat von Vrindaban, eine lang gezogene Tempelfront, an deren Basis mehrere Treppen zur Yamuna führten. Das Gebäude besaß eine hellbraune Farbe, schattige Arkaden und Sitzecken, Fensterverzierungen und vier kleine Podeste, die die einzelnen Ghats voneinander trennten. Ich sah einen schlanken Mann im Schatten sitzen und lesen, seine Haare waren voll, aber schon ergraut, und sein kantiges Gesicht wirkte mit seinen hohen Wangenknochen und den tief liegenden Augen wie das Antlitz eines gealterten Krishnas. Neben ihm saß ein abgemagerter Pilger, Bart und Haare waren verfilzt, die Kleidung hing ihm in Fetzen vom Leib, und seine Arme und Beine glichen eher schwarzen Stöcken als menschlichen Gliedern. Auf einem der Ghats, eingezwängt zwischen zwei Podesten, hatte sich ein Yogi ausgebreitet, vor ihm lagen Girlanden und Bilder, über die er segnend mit seinen Handflächen fuhr, während eine Gruppe älterer Frauen ihn mit zusammengelegten Handflächen adorierte, als rette er in diesem Augenblick die Welt.

      Träge floss die Yamuna an diesen Gestalten vorüber. Blumengeschmückten Boote fuhren von Ufer zu Ufer, und die Morgensonne illuminierte die weiten Felder auf der anderen Seite des Flusses, das Braja Mandal, jene Landschaft, in der Gott Krishna seine Jugend verlebt haben soll. Ein großer Teil der Anziehungskraft, die Krishna weit mehr als die anderen Götter des indischen Pantheons ausübte, mochte mit diesen Jugendgeschichten zu tun haben, in denen der kleine Krishna die Milch stibitzte, den Hirtenmädchen die Kleider versteckte oder mit seinen Freunden irgendwelchen Unsinn trieb. Dass in regelmäßigen Abständen eine Schlange, ein Pferdedämon oder irgendein anderes Monster auftauchten, um erfolglos zu versuchen, den kleinen Krishna zu ermorden, waren nur Zutaten für die immer wieder erzählte Geschichte einer Jugend, mit der Millionen Indern aufwuchsen.

      Aber nicht nur die Inder können sich in Krishna wiedererkennen - seine Gestalt besitzt als einzige indische Göttergestalt sogar eine über Indien hinausgreifende Attraktion. Vrindaban war deswegen nicht eines der Hauptzentren der indischen Krishna-Verehrung - die Stadt beherbergte außerdem den Hauptsitz einer Missionsbewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Krishna Religion über die ganze Menschheit zu verbreiten.

      Sowohl die innerindische Krishna-Verehrung wie die indenübergreifende Krishna-Mission besaßen ihren Ursprung in der Gestalt eines im Westen fast unbekannten religiösen Reformators: Chaitanya Mahaparbhu (1486-1533), der in einer Epoche wirkte, in der ganz Indien durch einen überall triumphierenden Islam tief greifend erschüttert wurde. So barbarisch die Eroberer den Indern jener Zeiten auch erscheinen mochten - vor der Religion der Eindringlinge und ihrem strengen Monotheismus sanken alle Hindureiche in den Staub. Millionen Hindus – vorwiegend, aber nicht nur die Angehörigen der unteren Klassen - konvertierten zur egalitären Religion Allahs, und oft waren die Konvertiten die Eifrigsten, wenn es darum ging, Hindutempel zu zerstören, um Moscheen darauf zu errichten. In dieser Situation propagierte Chaitanya Mahaprabu zu Beginn des 16. Jahrhunderts einen erneuerten Hinduismus mit der zentralen Figur Lord Gestalt Krishnas, der nunmehr als persönlicher Schöpfergott aufgefasst wurde und dem gegenüber alle Unterschiede der Kaste, des Standes, der Rasse oder der Religion aufgehoben sein sollten. Die uralten Krishna-legenden, denen konkrete Orte niemals wirklich hatten zugeordnet werden können, wurden nun erst auf kanonische Weise lokalisiert: Eine neue Exegese der alten Schriften identifizierte - mit welcher Berechtigung auch immer - Mathura und Vrindaban als die Schauplätze seines Götterlebens, so dass der bisher frei über Nordindien diffundierende Mythos eine konkrete Örtlichkeit erhielt, was nichts weiter bedeutete, als dass er zum Ziel von Wallfahrten und zum Anlass von Tempelbauten werden konnte. Chaitanya Mahaprabu war es auch, der die Kaliyuga-Lehre neu interpretierte. Es mochte wohl sein, dass die Kaliyuga-Ära mit Krishnas Tod im Jahre 3102 vor der Zeitrechnung begonnen hatte - dass aber in dieser Epoche der Kontakt zum Göttlichen ganz verloren gegangen sei, war für Chaitanya Mahaprabu nur bedingt richtig. Seine frohe Botschaft war vielmehr, dass es durch das Skandieren der heiligen Mantren und das Singen der Hare-Krishna-Chanten auch in der Nacht des Kaliyuga möglich sei, Anteil am Göttlichen zu gewinnen. Wo die Moslems ihre Religion im Heiligen Krieg mit Feuer und Schwert verbreiteten, wo sich die Buddhisten religiös verwirklichten, in dem sie der Welt entsagten, knüpften die Krishna-Anhänger nunmehr ein neues Band zur Gottheit durch das Singen heiliger Chanten.

      Diese gesamtindische Erneuerungsbewegung, die Mathura und Vrindaban in den Rang von Krishna-Städten erhob und die Krishna-Verehrung im ganzen Land intensivierte, muss aber unterschieden werden von dem, was im Westen als „Hare Krishna-Bewegung“ bekannt geworden ist, einer straff geleiteten Missionsbewegung, die eine bestimmte Variante der Krishna-Religiosität in der ganzen Welt verbreitet. Sie selbst bezeichnet sich als „International Society for Krishna Consciousness“ (ISKCon) und beansprucht, als eine neuartige monotheistische Religion, die Lücke auszufüllen, die durch den Zusammenbruch des Christentums und den Sieg des promiskuitiven Liberalismus im Westen aufgetreten ist. Ihr Schöpfer war der Bengale Swami Prabhupada (1896-1977), der sich als geistlicher Führer erst im Alter von 69 Jahren von Indien aus nach Amerika aufmachte, um dort mit minimalen Mitteln die Hare Krishna-Bewegung aufzubauen. Bekanntermaßen fand diese Lehre innerhalb der orientierungslosen westlichen Gesellschaften tatsächlich eine sehr positive Resonanz. Die Hare-Krishna-Chanten schafften es bald bis in Popsongs und Rockopern und bildeten in zahllosen westlichen Ashrams die Grundlage einer strengen vegetarischen Lebensführung, die viele Aussteiger nach der Beliebigkeit der Hippiekultur enthusiastisch begrüßten. In über 100 Ländern ist die Hare-Krishna-Gesellschaft heute aktiv, und der Krishna-Balaram-Tempel von Vrindaban ist ihr weltweites Zentrum.

      Dieser Tempel befand sich am westlichen Ortsende von Vrindaban, und er trug seinen Namen nach Krishnas mythischem Bruder Balaram, der hier neben Krishna besondere Verehrung erfuhr. Als ich den Tempel am frühen Nachmittag erreichte, wurde ich sofort als Ausländer erkannt und von einem englisch sprechenden Hare-Krishna-Jünger freundlich begrüßt. Er überreichte mir einige Informationsschriften, erklärte mir, wie ich zu den Sehenswürdigkeiten des Tempels käme und wies mich besonders auf ein Museum hin, das auf dem rückwärtigen Teil des Geländes ausführlich über das Leben von Swami Prabhupada informierte.

      Schon auf den ersten Blick war zu erkennen, dass es sich bei dem Krishna-Balaram-Tempel um keinen typisch indischen Verehrungsort handelte. Obwohl er mit seinen Marmorböden, seiner Marmortreppe und den ziselierten Marmorfassaden auf den ersten Blick an einen Jainatempel erinnerte, war er so sauber und blank geputzt, wie ich es in Indien noch niemals gesehen hatte. Auch die Quote nichtindischer Besucher war im Krishna-Balaram-Tempel höher als anderswo - ich schätzte, dass fast ein Viertel der Besucher Nichtinder waren, die man aber als bloße Touristen falsch gekennzeichnet hätte, weil sie wahrscheinlich dauerhaft in Vrindaban lebten. Am Eingang der Haupthalle erwartete

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