Jakob der Träumer. Markus Sturm

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Jakob der Träumer - Markus Sturm

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besonders traurigen Fällen, fand sich sogar nur ein Satz auf ihnen. Manches war inhaltlich wertvoll, manches langweilig. Allein, es blieb Papier. Nur gelegentlich blieb ihm Zeit, mehr zu erfahren, manche Bücher tiefer zu ergründen. Er hatte im Grunde vorübergehendes Interesse an Sterblichen; dass es ihn gab, den Fährmann früherer Tage, diente den Menschen.

      So lächelte er, stand dort an der Bar, trank und nahm eigentlich von dem anderen daneben keine Notiz. Es schien, als wolle er nur seine Ruhe haben. Er sinnierte. Wäre er jemand an einem anderen Ort gewesen, wäre er jemand, nicht der Tod gewesen, man hätte denken können, ein anstrengender Arbeitstag läge hinter ihm: wie ein Arzt in Bereitschaft, momentan ohne Aufgabe, doch auf dem Sprung wieder zu einem Notfall zu eilen, sollte man seiner bedürfen. So wirkte der Tod, und so stand er da in Gedanken und man meinte, er wisse nicht, wann er wieder in die Pflicht genommen werden würde. Tatsächlich wusste er alles Menschliche, aber nie, wann die Pflicht wieder rufen würde. Zur Pflicht gerufen zu werden geschah plötzlich, indem er sich veränderte, indem der Ort sich veränderte, er zuerst hier war, dann dort, im nächsten Augenblick wieder woanders, und dazwischen war er - gar nicht? Gab es für ihn überhaupt eine Phase seiner Existenz, in der er gar nicht war? Konnte er sich jemals erinnern, nicht gewesen zu sein? Er war immer von einem zum Nächsten geeilt, seit Anbeginn an. Zeitweise, so wie in diesem Moment, in diesem einen Augenblick, als er an der Bar lehnte, verweilte er länger. Gar nicht absichtlich, er wurde nur hier und nirgends sonst gebraucht. Manchmal eben dauerte es länger, er begleitete jemanden ein längeres Stück des Weges, weil das Sterben länger dauerte. Und stets kümmerte er sich nur um die Bedeutenden. Es war nicht so, dass er alle Menschen geleitete, wohin auch immer, sondern nur die, die bedeutend waren. Die dem Mosaik dienlich waren, das Geschichte heißt, denn darum ging es. Zumindest nahm der Tod das an. Und Irgendwer machte diese Geschichte. Aber auch das vermutete der Tod nur.

      Irgendwer war nicht sein Vorgesetzter. Irgendwer war Irgendwer. Hatte es bei Irgendwer auch mit einer Idee begonnen, einem Gedanken, einem Gefühl eines Verlorenen? Oder hatte Irgendwer mit einem Gedanken begonnen? Der Tod kannte diese Antwort nicht. Irgendwer war älter. Der Tod traf Irgendwer selten. Früher war dies anders gewesen. Seine Aufgaben mochten weniger zahlreich gewesen sein, weniger anspruchsvoll. Vielleicht schienen die Kontakte mit Irgendwer damals deswegen besser. Für soziale Kontakte blieb dem Tod überhaupt leider wenig Zeit, da er tatsächlich nie wusste, wann er wieder jemand Bedeutenden abholen musste. Momentan war eine Ausnahme. Dieser Augenblick war zu einer Spanne geworden. Der Moment zu einem Warten. So lange dauerte es selten. Somit verblieb er im Grübeln. Irgendwer machte Geschichte und der Tod musste laufen, musste springen, musste sich verändern, musste sein Werk tun. Oder darauf warten. Da begann der Tod sich zu fragen. Fragte sich, wer sie waren. Wer war zum Beispiel er, der hier an der Bar neben ihm lehnte? Er überlegte kurz. Das wusste er. Aber warum musste er geholt werden und andere nicht? Warum mussten sie alle geholt werden, geleitet werden? Warum waren sie bedeutend? Er kannte ihre Geschichten, wenn er sie wissen wollte. Aber was war das Bedeutende an ihnen? An ihren Geschichten? Er wusste es nicht. Irgendwer kümmerte sich, so viel vermutete er, persönlich um die Kinder, und er selbst sich um die Bedeutenden. Aber warum waren sie bedeutend?

      Napoleon ja, aber wer war der Soldat links der Mitte in der zweiten Reihe, der von einer Kugel getroffen langsam bei Waterloo verblutete? Der Tod, hatte ihn abholen müssen, ohne zu wissen, warum, nur weil Irgendwer Geschichte machte und er bedeutend gewesen war. Warum, erfuhr der Tod nie, er war sozusagen nur das Bedeut-Ende. Alles andere als ein Zeitvertreib für den gefallenen Soldaten, doch möglicherweise nur Geschichte für Irgendwer. Eine Geschichte. Zeitvertreib im Angesicht der Ewigkeit. Zuerst ein wenig Spaß haben, spielen, dann herumexperimentieren mit Leben und schließlich draufkommen, dass alles nicht so einfach ist, nicht mehr nur Bienchen und Blümchen, sondern auch Fortpflanzung, Sex und Schweiß und Testosteron, und schließlich der gesamte Chemiebaukasten und plötzlich eigener Wille und Adams und Evas, die liefen und liefen und liefen und nicht mehr aufhörten damit. Dann unter Umständen ein Erkennen der Verantwortung. Am siebten Tage und so weiter. Einen Tag innehalten und sehen, was man angerichtet hatte. Alles über den Haufen werfen, oder weiterspielen? Noch einmal würfeln? Na ja, einmal noch. Und noch einmal. Dann die Namen. Irgendwer, dann andere. Und immer – der Tod. Der Anfang der Zeit, die allen Lebewesen blieb. Hier er, Irgendwer, der alles schuf, der schenkte, der den einen Plan kannte, diesen bedeutenden, wichtigen, großartigen Plan, den es doch hoffentlich gab. Dort der Tod, der nahm, der nur lief und schuftete und nichts vom großen Ganzen wollte und dabei Plan und Sinn aus den Augen verloren hatte. Möglicherweise besser, ging es ihm gerade durch den Kopf, dass er Irgendwer nicht so oft traf.

      Neben ihm an der Bar stand der Tod. So lächelte er und trank und nahm eigentlich von dem anderen daneben keine Notiz. Es schien, als wolle er nur seine Ruhe haben. Er sinnierte… „Zuviel bereits gesehen im Laufe der Zeit.“ Ein Schluck aus dem Glas, ein Blick in den Spiegel gegenüber hinter den Flaschen, ein Nicken, ein kurzer Satz. Ein Satz in die Luft gestellt. Ein Satz für sich, gar ein Selbstgespräch, und doch ein Ball. Ein anderer daneben an einer Bar. Ein Wort gehört, ein Wort genommen, ein Wort gegeben, den Ball gespielt, rauchgeschwängerte Luft, Alkoholdünste. Eigentlich keine Basis für ein wirkliches Gespräch. Und trotzdem - Geschichten. Erst Schneeball, dann Lawine.

      II

      „Zuviel bereits gesehen im Laufe der Zeit“, sagte der Tod vermutlich einfach so dahin, ohne irgendwen, gar den anderen neben sich tatsächlich in ein Gespräch verwickeln zu wollen. Eine Aussage, für niemanden konkret bestimmt, von Gespräch keine Spur. Nicht einmal eine Höflichkeitsfloskel. Nur der Beginn eines intensiven Selbstgesprächs, typisch für einsame Personen an allen Bars der Welt. Der einzige Zuhörer der Barkeeper. Oder zumindest scheint der Barkeeper zuzuhören, Trinkgeld inklusive. Auch wenn er einen am Ende wegwischt mit diesem ekelhaften Tuch, mit dem er die Ränder der Gläser auf der allzu glatten Oberfläche der Theke entfernt. Einfach so die Spuren, die im Laufe eines Abends hinterlassen worden sind, ausgelöscht. Lebensspuren. Oft bleibt nichts zurück, dachte der Tod.

      „Eigentlich, wenn man es so betrachtet“, setzte der Tod fort, „ist Irgendwer nichts anderes als ein sich selbst viel zu wichtig nehmender Barkeeper.“ Noch immer betrachtete er sich selbst im Spiegel. „Am Ende dreht er das Licht heller, es schmerzt in den Augen.“ Der Tod redete sich warm. „Kurz kommen noch Gedanken, dass man einen netten Abend verbringen wollte - doch irgendwie hat es nicht gepasst.“ Der Tod dachte nach: „Keine Stimmung, nicht die richtigen Leute. Oder ist man an diesem Abend einfach selbst nicht der Richtige?“

      „Ein dumpfer Schädel. Eine Wand, die an dir lehnt und nicht und nicht von dir weggeht. Die klebt, wie eine Klette. Eine Stiege in einem Hauseingang, die dich sitzen gelassen hat und dich hält und klammert und zieht, wenn du dich erheben willst. Dich nicht aufstehen lässt“, meinte der andere. Der neben ihm blickte ihm, über den Spiegel gegenüber, zum ersten Mal direkt in die Augen. Er suchte keine Ausreden und Ausflüchte. Er sah seine Zukunft recht klar vor sich. Zum ersten Mal eigentlich in seinem Leben. Das demnächst enden würde. Der Tod starrte zurück. Nicht furchteinflößend. Warum sollte er? Er war eine Tatsache. Er starrte nur aus Gewohnheit. Dann zwinkerte der andere mit einem Auge. „Stress im Büro?“, witzelte er. Er bewies Haltung. Dem Tod imponierte dies. Ihm waren auch schon andere begegnet. Obschon der neben ihm wusste, nicht anders konnte, als zu wissen, was unvermeidlich war, versuchte er es mit trockenem Humor, versuchte er, der Situation etwas abzugewinnen, war nicht ängstlich, zweifelte nicht, jammerte nicht. Der Tod hatte bereits Könige und Kaiser vor seinem Angesicht um Gnade flehen sehen, Menschen, die gewohnt gewesen waren, Macht auszuüben, die sie nun nicht mitnehmen konnten, die nicht mehr half. Nichts half mehr. Und hier saß einer, der nicht erschrak, der zu akzeptieren schien.

      „Nein“, lächelte der Tod, „kein Ärger im Büro. Ich sollte nicht zu viel denken. Nicht laut denken. Wenn ich Zeit habe, wenn ich nicht sofort zum Nächsten springen muss, dann komme ich ins Grübeln. Das sollte ich vermeiden. Ist nicht gut für mich. Nicht gut für Sie.“

      „Ich habe kein Problem damit. Grübeln Sie nur. Tun Sie sich

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