Jakob der Träumer. Markus Sturm

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der vorbeikam, werfen, sich fallen lassen sollte, nur um von diesem Ast fortzukommen, hinfort getragen zu werden, aus diesem Mittelmaß herauszutreten. Doch viel geschah noch nicht in diesen frühen Tagen. Niemand näherte sich dem Baum der Mitte. Niemand beachtete ihn. Der Apfel wartete weiter, die Stunden waren zäh, ebenso zäh, wie sich später die weniger gelungenen Experimente Irgendwers erweisen mochten, die einfach nicht wieder zum Loswerden waren, die auf ihren beiden Beinen herumstolzierten und dabei gedankenlos alles zertraten, was kleiner und langsamer war als sie. Und irgendwo, am Rande, an einem Weiler, unter einem Baum, nicht ganz beteiligt, nicht ganz unbeteiligt, saß der Tod.

      Die Sonne strahlte über allem in diesen ersten Tagen, auch über ihm, dem dunklen Engel, nackt, bloß, eine Idee. Der Tod war noch nicht konkret geworden. Natürlich existierte er, musste existieren, schließlich existierte auch das Leben. Doch das wurde einfach so hingenommen, würde nie eigene Gestalt in dem Sinne, in der Intensität erhalten, wie es dem Tod zuteil wurde. Der Tod faulenzte nicht unter dem Baum. Er wartete, denn dort, in jenen gedankenverlorenen Stunden, war er einfach, obschon seiner Dienste in jenem Augenblick niemand und auch nichts bedurfte. Er war, auch, wenn er untätig war. So konnte er tatsächlich unter einem Baum an einem Weiler ein wenig Schatten suchen. Der Tod hatte die Augen geschlossen, nackt und bloß saß er da, entspannt, wissend, was geschehen würde.

      Zu seinen Füßen lag sein bester Freund, die Beine weit von sich gestreckt, in der prallen Sonne auf einem kleinen Felsen, dösend, das Leben genießend: Herbie, die Schlange, war tatsächlich schlauer als die anderen Tiere des Feldes, genauso, wie dieses bestimmte Buch es später besagen würde. Der Tod mochte sie gerade deswegen so gerne, denn die Schlange, schlau wie es geschrieben steht in jenem Buch, akzeptierte ihn so, wie er war. Damals noch als etwas dunklerer Engel, nackt, bloß, eine Idee, auch dann noch ihm vertrauend und zu ihm stehend, als er sich verwandelt hatte. Der Tod war eben das Ende, wessen auch immer, sie stieß sich nicht daran, fürchtete nichts, und meinte, wenn es einen Anfang gäbe, eine Geschichte begänne, dann müsse sie auch enden, müsse es ein Ende geben. Irgendwann wahrscheinlich auch das Ende der Schlange, wobei diese das relativ sah, denn sie hatte ja schon ein Ende, wenn sie dann noch eines bekäme, und das sogar von einem Freund, na, dann noch besser. So lagen und dösten, saßen und plauderten sie den lieben langen Tag – Herbie konnte damals noch sitzen - im Garten und philosophierten. Über Irgendwer und seine Ideen, seine Experimente und das Eine, Neue, Eigenartige da, von dem Irgendwer immer wieder einmal im Vorbeigehen erzählte, vor sich hinmurmelnd, für sich fast in Begeisterungsstürme ausbrechend. Von Boden und Staub und Rippen und wie sich das alles ausgehen könnte und ob da was herauskäme und Spannung und ich muss jetzt wieder ins Labor und tschüss. Weg war er. Schlange und Tod waren allein. Der Tod war damals nahezu glücklich, wenig Arbeit, ein paar Amöben, die im Versuchsstadium explodiert waren, nicht mehr. Die beiden saßen also beisammen, unterhielten sich wieder einmal, Herbie nichts Böses ahnend. Kunststück! Das gab es ja damals eigentlich auch noch nicht wirklich, das Böse, wie hätte die Schlange es also ahnen können. Angeblich gab es das Böse erst seit der Schlange - dumme Äpfel! Zwischendurch wurde es dem Tod zu warm, sein Baum am Weiler spendete nicht mehr genug Schatten, seinem Freund war´s egal, so suchten sie sich ein anderes Plätzchen, um dem süßen Nichtstun nachzugehen. Und ließen sich nieder unter dem Baum, diesem einen Baum in der Mitte, philosophierten, diskutierten, erörterten, erwägten, kommentierten, disputierten alle Seiten des Seins, das damals noch nicht sehr kompliziert war. Plötzlich vernahmen sie eine Stimme. Quengelig, nasal, lästig bohrte sie sich in die Köpfe der beiden unten auf dem Boden, die da ruhten:

      „Ich denke, also bin ich!“ Ein fragender Blick nach oben. „Ich denke, dass ich bin!“, ergänzte sie. „Mann, ist das hier langweilig!“, setzte sie fort. Genaueres Schauen, Herbie streckte sich, rollte sich aus bis zur Mitte, die noch einen kleinen verschlungenen Kreis bildete, hob den Kopf. Die Schlange züngelte. „Mir ist langweilig!“, ertönte es ungefragt von oben. Der Tod blinzelte: „Was bist du für ein Früchtchen?“

      „Was heißt da, was bist du für ein Früchtchen, was bist du für ein Früchtchen, kannst du nicht normal reden, Alter? Früchtchen! Ich bin die Frucht! Ich bin der Mittelpunkt. Und mir ist langweilig. Den ganzen Tag häng´ ich hier schon rum, keiner spricht mit mir, alle ignorieren mich, meine Kumpels sind einschläfernd, da kommt ihr beiden ja wie gerufen, oder? Kommt, lasst uns einen drauf machen!“

      „Auf wen will er drauf machen?“, zischte Herbie.

      „Ich habe keine Ahnung“, antwortete der Tod.

      „He, Jungs, holt mich herunter!“

      „Warum sollten wir dich herunterholen?“, fragte Herbie.

      „Na kommt, seid nicht so, es ist so langweilig hier oben.“

      Und während ihres Gesprächs, während sich Herbie und der Tod noch fragten, was es denn mit diesem „Draufmachen“ auf sich habe, geschah es. Ganz ohne Vorankündigung, ohne Warnung, nichts! Irgendwers Experiment musste geklappt haben. Der Tod veränderte sich. Zuerst nur langsam, so, als müsste ein kleines Kind erst mühsam etwas erlernen, einen Handgriff, die Bewegung eines einzelnen Fingers, dann ein Lächeln, schließlich das Fassen eines Gedankens, etwas sich gedanklich begreiflich machen, etwas erkennen. Der Tod sank nieder, er kniete, er flirrte, er schimmerte, ja, er waberte sogar, bis er Gestalt angenommen hatte. Eine neue, andere, vollkommen fremde Gestalt, aufgrund derer jeder wusste und wissen würde, was es mit dem Leben des Menschen auf sich hatte. Und mit seinem Sterben. Was es hieß, zu leben, welch kostbares Gut es war, das Leben: Stunden, die verrinnen würden zwischen den Fingerknochen, seinen Fingerknochen, versickern in der Unendlichkeit, hinabwirbeln in den Abfluss der vergeudeten Zeit. Was es hieß zu leben und dass das Leben untrennbar mit dem Sterben verbunden war. Es war vorbei. Der Tod richtete sich auf.

      Herbie schluckte. Die Äpfel schwiegen. Wie zumeist. Doch auch dem einen hatte es die Sprache verschlagen. Der Tod stand ruhig da, fast gelassen, er kehrte der Schlange und dem Baum den Rücken zu. Dann drehte er sich um. „Du siehst - gut aus“, kam es stockend von Herbie.

      „Ja, Mann, echt Wahnsinn!“, hörte man von oben. Irgendwers Experiment hatte also geklappt. Da stand ein zwei Meter großes Skelett, nur die erste von vielen Gestalten, die der Tod im Laufe der Zeit noch annehmen sollte. „Mit den dunklen Locken hast du mir besser gefallen“, meinte Herbie. Der Tod ging zum nahen Teich, um sich im Wasser zu betrachten. Was er dort sah, nahm er zur Kenntnis, es erfreute ihn nicht unbedingt, doch akzeptierte er es mit einer bestimmten Gelassenheit, die nur ihm zu eigen war. Der Mensch war erschaffen. Und mit ihm sein Tod. Niemand hatte eine Wahl.

      „Ein wenig kahl vielleicht“, gab er Herbie Recht, als er sich wieder ihm beigesellt hatte. Der Tod nahm Platz, es knackte und knirschte, schließlich saß er bequem. Ein wenig würde er noch üben müssen, bis er beim Gehen und Niedersetzen nicht mehr klapperte, aber insgesamt käme er mit seiner Gestalt sicher klar. Dessen war er sich gewiss. Herbie und der Tod schwiegen. Der Tod wusste, und Herbie fühlte, dass sich die ruhigen Tage, die später vielleicht sogar glückliche Tage gewesen sein würden, dem Ende zuneigten. Beide nebeneinander hing ein jeder seinen eigenen Gedanken nach.

      „Gut, Jungs, die Show ist vorbei, jetzt passt wieder alles, los, unternehmen wir etwas“, störte von oben ein kleiner, penetranter Apfel. Niemand reagierte. „Jungs, was ist mit euch? Kommt, da draußen ist sicher die Hölle los, nehmt mich runter, wir könnten eine Menge Spaß haben, gemeinsam könnten wir die Welt erobern!“ Die anderen Äpfel blickten betreten, wandten ihre Bäckchen ab von diesem, der anders sein wollte. „Ju-ungs!“. Der Tod schwieg. Die Schlange rekelte sich, dann sprach sie: „Warum möchtest du unbedingt herunter? Glaubst du, hier ist es anders als bei dir da oben? Besser? Schau in die Landschaft! Was siehst du? Mehr als wir. Der Tod neben mir, der weiß, der braucht nichts zu sehen, um zu wissen. Aber ich, ich bin hier unten, sehe, und weiß nichts, da ich nicht genug sehe. Doch du bist da oben, du siehst mehr als ich. Also bleib und sei glücklich. Es wird nicht besser werden.“

      „Es

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