Jakob der Träumer. Markus Sturm

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Jakob der Träumer - Markus Sturm

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Mensch unter all seinen Klavieren gefühlt haben mochte. Nur eine Lüge! Selbst nur eine kleine Lüge! Lügen konnte er einfach nicht. Warum auch? Er hatte es nie erlernen müssen, hatte nie vor der Wahl gestanden, jemanden anzulügen oder ihn zu enttäuschen. Dein neues Kleid – es steht dir gut. Er hatte nie vor der Wahl gestanden, ein hoffnungsfrohes Lächeln zu zerstören oder zu lügen. Der Tod konnte nicht lügen. Er versuchte es dennoch: „Nein, ich bin nie deprimiert.“ Frank glaubte ihm nicht.

      „Ist es die Einsamkeit?“

      „Aber nein, deprimierend ist es wirklich nicht, der Tod zu sein.“ Frank beobachtete den Tod. Der Tod gab das Schwindeln auf. „Na gut, aber es ist nicht die Tatsache, dass man der Tod ist, die manchmal deprimiert. Es sind eher die Umstände.“

      „Welche Umstände? Sie haben doch vorhin erklärt, dass alle immer sofort Ihnen folgen.“

      „Das Folgen, das Mitgehen ist nicht das Problem. Das ist eben Teil meines Seins. Der Grund meines Seins.“

      „Was ist es dann?“

      „Sehen Sie, es sind eben die Umstände. Ich bin nicht dafür verantwortlich, wen ich abhole, wen ich treffe. Dafür verantwortlich ist Irgendwer. Sie wissen schon, ich habe Ihn vorhin erwähnt. Er schafft die Regeln. Er bestimmt, an wen ich mich zu wenden habe. Er ordnet an, wer abzuholen ist. Er entscheidet, wer bedeutend ist. Er verfügt über mich. Er verfügt über uns.“

      „Und?“

      „Und manchmal, wenn ich zum Nachdenken komme, verstehe ich nicht alles und beginne zu grübeln. Zeitweise habe ich tatsächlich den Eindruck, dass für Irgendwer alles nur ein Spiel ist. Sie kennen das sicher, es gibt schon seit ewigen Zeiten das Bild der Götter, die beisammensitzen und über das Schicksal der Menschen mit dem Würfel entscheiden. Die spielen und trinken und den lieben langen Tag nichts anderes tun als sich vergnügen. Das, was den Menschen zustößt, ist in Wahrheit für die Unsterblichen Nebensache. Nun, ich kenne Irgendwer schon lange, und ich habe viel von ihm gehalten, weil er eben nicht so war, weil ich immer dachte, er würfle nicht. Nur mittlerweile bin ich leider nicht mehr in der Lage, diesen einen großen Plan zu erkennen. Ich laufe und laufe ohne Pause, bin mal hier, mal da, mal dort, und habe keine Ahnung, wieso, warum, weshalb. Ich komme nicht zu allen. Doch zu wem komme ich? Ich weiß von diesen würfelnden Göttern, weiß, wie es war, wie es gewesen ist und wie es sein wird. Weiß vieles, nahezu alles. Weiß vom Gestern, vom Morgen, vom Heute, weiß vom Menschen. Vom Tun, vom Kommen, vom Leben, vom Gehen, vom Sterben, weiß von allem. Aber ich weiß nicht, weshalb alles so ist.“

      „Weshalb Sie auf mich warten, und weshalb nicht auf einen anderen?“, fragte Frank.

      „Weshalb Sie, und weshalb nicht ein anderer.“

      „Diese Frage hat für mich eigentlich keine Bedeutung. Ich weiß, weshalb. In dem Augenblick, als ich es getan habe, war klar, wie es enden würde. Und ich habe es dennoch getan. Ich konnte nicht anders. Ich musste es tun.“

      „Und tragen die Konsequenz. Nun sind Sie hier. Aber warum waren Sie dort? Gerade Sie und nicht ein anderer? Wie viele Millionen und Abermillionen Menschen gibt es? Und warum waren Sie es gerade? Und warum also bin ich hier? Wo ist der Plan?“

      „Es war mein Risiko. Es war meine Entscheidung.“

      „Ihre Entscheidung. Sind Sie sicher?“

      „Sie meinen, Er hätte es gesteuert? Oder es gäbe einen guten Grund, dass ich es gewesen bin? Und Sie bei mir sind? Gerade ich?“

      „Genau das weiß ich nicht.“

      „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Er mich gesteuert hat. Ich kann nicht einmal sagen, dass ich es bereue. Trotz der Folgen. Ich stehe noch immer zu dem, was ich getan habe. Und daher denke ich, dass es meine Entscheidung war.“

      „Meinen Sie wirklich? Ich habe einmal jemanden gekannt, vor langer Zeit, der auch zu seiner Entscheidung gestanden ist. Trotz der Folgen. Aber ob es tatsächlich nur seine Entscheidung war?“ Der Tod blickte nachdenklich, ein wenig gedankenverloren. Sein inneres Auge war starr in die Vergangenheit gerichtet. Er dachte zurück, an eine Geschichte längst vergangener Tage. Eine Geschichte, die er nicht erzählen hatte wollen. Aber Geschichten wollen erzählt werden. Vor allem nachts, unter Männern. Eine Bar. Zwei Stühle. Zwei Gläser. Zwei Männer. Schneeball und Lawine. Geschichten.

      Leben

      Es war einmal ein Apfel. Der hing in der Gegend herum, auf seinem Baum, schaute sich um, sah sich von vielen anderen Äpfeln umgeben, und wie er da so von seinem hohen Ast aus alles betrachtete, merkte er, dass er anders sein wollte. Er beobachtete bereits seit geraumer Zeit seine Mitäpfel, ihre roten Bäckchen, ihre freudig erregten Wangen. Wie sie da so hingen in der Sonne, nett, lieblich anzuschauen, zum Anbeißen. Sie wuchsen und gediehen, genossen ihr Dasein, genossen diese Idylle, in der sie ihre Stunden verbringen durften. Sie reiften, entwickelten sich, und wenn es genügte, fielen sie zu Boden, schlugen auf mit sattem Geräusch. Doch niemand nahm von ihnen Notiz, und es schien, als würde das so bleiben, denn keiner der Äpfel machte Anstalten, Großes zu wollen, oder gar Großes zu tun. Sie beschäftigten sich mit dem ausschließlichen Sein, das heißt, sie waren, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, warum sie waren. Sie dachten nicht über Tiefsinniges nach – woher komme ich, wohin gehe ich, wer bin ich, was mache ich hier -, sondern aßen und tranken das Licht der Sonne, ohne zu hinterfragen, was denn unten sei, unten, am Fuße des Baumes in der Mitte, und warum es sei. Natürlich besuchte die Äpfel das eine oder andere Mal ein Vogel, oder in noch schlechteren Momenten ein Wurm, die von ihnen fraßen, oder sie aushöhlten, aber ansonsten ließen sie sich nicht von der Unbill des Lebens erschüttern. So waren sie´s zufrieden. Das Leben zog an ihnen vorbei, sie kümmerten sich um nichts, außer um sich selbst, und ließen es gut sein. Sie standen sich selbst am nächsten, ein wenig eigensinnig, ein wenig stur, ein wenig charmant. Sie neigten dazu, sobald irgendeiner aus ihrer Runde seine Bäckchen ein wenig weiter nach vorne streckte, sich ein ganz kleines bisschen hervortun mochte, sich aus der Menge abheben wollte - mehr, als es die anderen taten - ihn mit einem leichten, freundlichen, fast unbemerkbaren Wanken der Äste abzuschütteln, ihn hinab zu befördern. Sie wiegten sich hin, wiegten sich her, wiegten ihn ein, den einen anderen, sich aus der Menge hervorhebenden Apfel, und ehe sich dieser versah, der träumte, anders zu sein: ein Fall. Auf den Boden. Dorthin, wo allerlei Getier wartete. Krabbelte, wandelte, schlängelte. Und fraß. Alle Äpfel bildeten das perfekte Mittelmaß. Und sahen es gar nicht gerne, wenn etwas oder jemand dieses Mittelmaß störte, es aus dem Gleichgewicht brachte. Sie liebten das Mittelmaß und lehnten das Besondere ab, das Fremde, Andere, Unbekannte. Sie hielten sich in der Mitte, vermieden es, Position zu beziehen, Meinung zu vertreten, außer beim Schimpfen. Das liebten sie auch. Wenn sie einfach losschimpfen konnten, ohne etwas begründen, ohne etwas wissen zu müssen - ja, sie glaubten sogar das Wissen hindere sie am Schimpfen -, dann zeigten sie ihre Meinung. Aber nur dann. Ansonsten blieben sie vage, trachteten danach, niemanden zu verletzen, fürchteten, zu nahe zu treten, wenn sie über ihre Gedanken sprächen, ihre Ideen. Behielten diese für sich. Wussten, kannten und konnten auch nichts. Sprachen im Allgemeinen nicht. Außer sie schimpften. Am liebsten schimpften sie über das Fremde, das Unbekannte, das Besondere, von dem sie, da sie sich nur um sich selbst kümmerten, nichts wussten, nichts wissen wollten. Sie interessierte nur das Mittelmaß.

      Dennoch war unter ihnen einer. Und diesem einen Apfel, der sich unter seinesgleichen nicht recht wohl fühlte, der meinte, anders zu sein, oder der zumindest anderes vom Dasein erwartete, als Licht, Sonne, Wachstum, dem fehlte etwas. Allerdings konnte er nicht genau sagen, was es war. Er begutachtete die Landschaft, betrachtete das, was ihn umgab, schließlich bot ihm sein erhöhter Platz auf dem Baum eine vernünftige Übersicht. Er betrachtete die ersten gelungenen Experimente

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