Jakob der Träumer. Markus Sturm

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Jakob der Träumer - Markus Sturm

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Fragen stellte, und dennoch keinen Animateur erwartete, nur um festzustellen, dass, wenn man schließlich nach einigen vielen Jahren und Aberjahren einen gefunden hatte, dies nur Probleme aufwarf. Doch in all den anderen Jahren war er nie auf jemanden getroffen, der mit ihm ein richtiges Gespräch geführt hätte. Alle wollten es entweder nur möglichst schnell hinter sich bringen, auch wenn es zu warten galt, oder während des Wartens unterhalten werden. Ab und weg oder Trallala. Er hätte dem da auch nicht die Chance zu sprechen geben und sich nicht selbst in Konversation versuchen sollen. Darin war er nicht so geübt. Menschen kommunizierten ständig, und dort, wo Kommunikation schiefging, fand sich manchmal sein Betätigungsfeld. Er hätte wissen müssen, dass ein Gespräch nicht so einfach war.

      „Was würde der Tod machen, wenn er eine zweite Chance hätte?“, fragte Frank gerade hartnäckig, um das Gespräch in Gang zu halten, „also, wenn er noch einmal von vorne beginnen könnte? Wenn er die Möglichkeit sähe, einen anderen Beruf zu wählen?“

      Der Tod grübelte. „Schwierig. Ich durfte nie wählen. Ich konnte nie wählen. Ich war einfach.“ Welche lächerliche Frage. Was wäre, wenn…? Damit hatte er sich nie beschäftigen müssen. „Aber wenn ich so darüber nachdenke – wahrscheinlich wäre ich wieder in irgendeiner Form - im Transportgewerbe.“

      „Transportgewerbe? Von dieser Seite habe ich - Ihre Tätigkeit noch nicht betrachtet.“ Er lächelte. „Sehen Sie sich denn als Spediteur?“

      „Eher Taxiunternehmen. Spediteur fände ich übertrieben“, meinte der Tod. Taxiunternehmer! Frank überlegte. Er hatte sich immer ein differenzierteres Bild gemacht vom Sterben – und damit auch vom Tod. Das mit dem Sterben hatte er irgendwie nicht so hinbekommen, wie er es gewollt hatte, das war anders gekommen, als erhofft, ein wenig zu früh. Doch der Tod, der entsprach absolut seinen Erwartungen. Aber Taxiunternehmer? Für jemanden wie den Tod schien dies seiner Meinung nach eine triviale Wahl. Eher hätte er etwas Mystischeres erwartet, etwas Spezielleres, etwas Interessanteres. Doch, wenn er nun genauer darüber nachdachte, irgendwie wirkte es logisch. Der Tod kannte nur das „Transportgewerbe“ - wie hieß es so schön: Schuster, bleib bei deinen Leisten? Dennoch: Taxiunternehmer passte für ihn nicht ganz ins Bild, das er sich seit dem Kennenlernen von seinem Gegenüber gemacht hatte. Aber: Neben ihm an der Bar stand der Tod. Er wusste, was das bedeutete. Angst fühlte er keine.

      Frank war ein attraktiver Mann. Groß, schlank, dunkler Anzug. Ein herb-männliches Gesicht, keine liebliche Schönheit, sondern ausdrucksvoll. Nicht dieser Im-Zimmer-eines-Teenagers-als-Poster-hängen-vielleicht-sogar-als-Gipfel-der-Träume-mit-nacktem-Oberkörper-Typ, sondern schlicht, elegant, männlich, gepflegt. Dieser Frank also war der andere, der den Tod in ein Gespräch verwickelt hatte. Frank hatte nicht bewusst das Gespräch gesucht. Der Mann neben ihm wirkte zwar auf eine gewisse dunkle Weise interessant, geheimnisvoll, schließlich war er der Tod, doch hatte sich ihre Konversation eher zufällig ergeben. Wenn der Tod etwas anderes gesagt hätte, wenn der Tod nicht einfach nur sinnierend neben ihm dagestanden wäre, wenn der Tod etwas getan hätte, dann hätte er nicht sich mit ihm unterhalten müssen. Dann wäre aus einem Selbstgespräch kein Dialog geworden. Er wusste nicht wirklich, wie es weiterzugehen hatte, konnte alleine nicht gehen, einfach so hinüberschreiten ins Jenseits, oder was auch immer er nach dem Sterben vorfinden würde. Er wäre dem Tod einfach so gefolgt, wenn dieser es gewollt hätte. Ein Wort, ein Hinweis, wie es weiterginge, und schon wäre er dahin gewesen. Ein Gespräch verschaffte ihm nur Zeit, die er eigentlich nicht brauchte. Es war vorbei. Aber Taxiunternehmen? Dies war nicht das, was Frank erwartet hatte. Irgendwie - simpel! Beide schwiegen wieder. Der Tod machte noch immer keinerlei Anstalten, seine Pflicht wahrzunehmen. Frank stand da, blickte wieder in den Spiegel gegenüber. Betrachtete die Flaschen ein weiteres Mal, wie sie so in ihren Halterungen hingen. Schließlich wandte er sich, um die nun entstandene Gesprächspause zu überbrücken, an den gesichtslosen Barkeeper: „Zwei Whiskey, bitte! Ich darf Sie doch einladen?“ Er nickte dem Tod freundlich zu.

      „Gerne“, antwortete der Tod. Sich unterhalten war nett, anstrengend, aber nett. Schwierig, aber nett. „Sie sind Lehrer von Beruf?“ Nicht, dass der Tod dies nicht gewusst hätte, aber es erschien ihm höflich, zumindest eine Frage zu stellen, um auch Interesse zu demonstrieren, um zu zeigen, dass er es durchaus schätzte, sich einmal unterhalten zu dürfen. Und um das Schweigen zu durchbrechen. Frank verblieb noch Zeit, das wusste der Tod, also beschloss er, nicht einfach nur zuzuwarten. Er hätte den Mund halten sollen, aber wenn er nun schon einmal in einem Gespräch war, warum es nicht fortsetzen?

      „Ja, ich bin Lehrer. Oder war ich Lehrer?“ So ganz sicher und eindeutig seinen augenblicklichen Zustand zu benennen, fiel ihm schwer. „Es war ein schöner Beruf.“ Er lächelte unsicher.

      „Klingt nach einem interessanten und fordernden Beruf. Bei Ihnen war sicher immer etwas los. Die Kinder und Jugendlichen heute halten einen auf Trab“, meinte der Tod überzeugt.

      „Sie lernen sicher immer wieder interessante Menschen kennen.“

      „Nur kurz. Kennen lernen wäre übertrieben. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Eher ein Gehen. Es wird nicht viel erzählt. Menschen sind im Allgemeinen schweigsam, oder so aufgedreht, dass man mit ihnen nichts anfangen kann.“

      „Sie sollten umsatteln. Vielleicht tatsächlich ein Taxiunternehmen gründen. Während meiner Studienzeit habe ich mir die Nächte in einem Taxi um die Ohren geschlagen. Als Fahrer. Habe mir so das Studium finanziert. Immer wieder ist es passiert, dass jemand im Taxi sein Herz ausgeschüttet hat. Oder Liebesszenen sich abgespielt haben. Oder es wurde gestritten. Nicht immer war es interessant, aber doch immer wieder einmal.“

      Der Tod dachte nach. Jeder Taxilenker, das wusste Frank, hatte ein paar Anekdoten auf Lager von besonderen Fahrgästen. Auch der Tod hätte einiges von seiner „Tätigkeit“ zu erzählen gewusst, Dinge, die er gesehen hatte, schöne Dinge, schreckliche Dinge, immer dann, wenn er jemanden entwesentlichte, oder Geschichten aus dem Anbeginn der Zeit, die Frank sicher begeistert hätten. Geschichten, die niemand kannte, oder Geschichten, die jeder kannte, aber anders, als sie eigentlich gewesen waren. Jedoch gab es im Augenblick nichts, was er erzählen wollte. Vielleicht hätte er als Berufswunsch doch Bestattungsunternehmen angeben sollen. Dies dürfte, allgemein betrachtet, auch ein krisensicherer Beruf sein. Möglicherweise wäre angeregtes Schweigen dann das Resultat gewesen. Doch Taxiunternehmer hatte er irgendwie positiver empfunden. Allerdings, auf ein, zwei flotte Sprüche wäre er auch beim Bestatter gekommen. Etwa: Schön, wenn man für andere Menschen eine tragende Rolle spielen kann. Oder: Tot sein ist toll, man ist immer unter Leuten. „Macht nichts“, überlegte der Tod, „Taxi ist wahrscheinlich seriöser.“

      Frank zögerte mit der nächsten Frage. Als schüchtern sah er sich an und für sich nicht, aber manche Fragen schienen ihm zu direkt, zu persönlich. Schließlich stellte er sie trotzdem. Was hatte er zu verlieren? „Ist es deprimierend? Der Tod zu sein. Ich meine, ist es schlimm, der Tod zu sein?“

      Der Tod überlegte. Nein, der Tod zu sein, war nicht deprimierend. Es war etwas anderes. Doch er konnte nicht gut lügen. Der Tod fühlte, wie sich ein vollkommen unbegabter Mensch fühlen musste, der sich an ein Klavier setzt und dabei mechanisch in die Tasten zu greifen beginnt. Er verhielt sich dabei wie jemand, der unbedingt Klavier spielen möchte, jedoch über absolut kein Talent verfügt. Es fehlte ihm an Gefühl für die Musik. Es fehlte ihm an Gefühl für das Lügen. Irgendwann war er an einem Ort erschienen, an einem Autobahnparkplatz. Wer auch immer sich diesen Ort gewählt hatte, selbst ihm, dem Tod, schien dieser Ort ungewöhnlich. Viele einsame und verlassene Klaviere erzählten dort ihre traurigen Geschichten, wenn sie abends an diesem Autobahnparkplatz zusammensaßen und den Mond anheulten aus alten, verrosteten Saiten, durch die der Wind pfiff. Klaviere, die ausgesetzt worden waren wahrscheinlich von ihren Besitzern, die einfach genug von ihnen hatten. Die sie verstoßen hatten, nur weil sie, egoistisch wie sie waren, vielleicht allein in Urlaub hatten fahren wollen. Ohne zu üben. Oder denen eher der Sinn für Musik fehlte. Ohne Musik. Ohne Talent. Die die Klaviere wegen

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