Die Stunde, eh' du schlafen gehst. Ханс Фаллада
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Die Handlung brachte es mit sich, daß ›er‹ (Herr Babendererde) die steile Wand eines Schlößchens erklimmt, um in ›ihr‹ (Fräulein Marielens) Zimmer zu schauen und dabei das Lied von der Stunde, eh’ du schlafen gehst, zu singen, teils allein, teils vereint mit ihr, während unten im nachtdunklen Park sowohl Nebenbuhler wie unzufriedene Verwandte auf den unbekümmerten Sänger lauern. Für diese Szene hatte der Architekt einen sehr wirkungsvollen Aufbau geschaffen: der Zuschauer sah sowohl in das wohlig erleuchtete Schlafgemach der Heldin wie in den nachtdunklen Park, über dessen Wipfeln Sterne funkelten, und konnte so den halsbrecherischen Aufstieg des Helden in allen Einzelheiten verfolgen.
An Babendererdes Kletterkünste wurden hohe Anforderungen gestellt; außerdem hatte er das Duett – oder ›seinen Schlager‹ – in einer etwas unbequemen Haltung zu singen: während seine Füße über dem Abgrund schwebten, hielt er sich mit seiner einen Hand am Fensterkreuz. Die andere konnte er gelegentlich aufs Fensterbrett stützen, er mußte sie aber auch, um die Hand der Heldin zur gemeinsamen Schlußstrophe zu ergreifen, frei machen können. All das hatte eine kräftige Portion Albernheit in sich, besaß in seiner Unbekümmertheit aber auch Frische und Reiz, wobei ungewiß blieb, wieviel davon Verdienst des Autors war und was das heitere Spiel der Mimen dazu tat.
Babendererde dachte schon längst nicht mehr an die Warnung des Theaterarztes oder überhaupt an die Marielen. Je näher ›sein Schlager‹ gekommen war, um so unruhiger war er geworden. Für Augenblicke vergaß er ganz, daß er auf der Bühne war. Dann dachte er an das dunkle, blasse Mädchen, das diese Zeilen vor ein paar Stunden noch für ihn gesungen hatte und das nun, stumm geworden, in einem Krankenhausbett lag. Er mußte an ihre schöne Stimme denken, die wie eine tiefe Glocke geläutet hatte, und dann war das Mädchen schlaff die Straße hinuntergeschlichen, und die Glocke hatte ausgeläutet, vielleicht für immer!
Er erwachte aus seinen Gedanken von einem unruhigen Rauschen, das durch den Zuschauerraum ging. Wie weit war er? Welche Strophe hatte er eben gesungen? Er wußte es nicht! Lieber Himmel, dachte er, ich muß mich zusammennehmen. Die Marielen ist noch beim Spiegel, es wird also wohl die dritte Strophe gewesen sein.
Und er begann wieder zu singen.
Aber kaum war er dabei, irrten seine Gedanken von neuem ab. Jetzt war eine andere Angst über ihn gekommen. Sie kann nicht mehr singen, mußte er denken. Und nun kann vielleicht ich auch nicht mehr singen! Weil ich ihr die Stimme genommen habe, nimmt sie mir meine!
Der Rest Aberglaube, von dem sich kaum ein Künstler ganz frei machen kann, überwältigte ihn in einem plötzlichen Angriff. Er meinte zu spüren, wie es in seinem Halse zu kratzen anfing. Singe ich überhaupt noch? O Gott, nur noch diese vier Zeilen! Dann kommt der Schlußvers mit der Marielen, da fällt es nicht so auf! Ich darf doch nicht umschmeißen – ich habe noch nie in meinem Leben umgeschmissen – o dieses verdammte Mädchen!
Unten, endlich herbeigelockt von dem Gesang, sammeln sich die Mißgünstigen, die Verfolger. Noch schweigen sie, während das Paar oben gemeinsam den Schlußvers singt. Aber mit dem letzten Ton werden sie drohend herzudrängen, bereit, dem Hinabkletternden einen heißen Empfang zu bereiten. Ihm bleibt nur die Flucht in ihr Zimmer, er wird sich hineinschwingen, das Licht erlischt – und die Verfolger haben gegen ihren Willen die Liebenden vereint!
Langsam hat sich die Marielen an ihn herangespielt. Sie macht das prachtvoll, der Ton seiner Stimme scheint sie magnetisch anzuziehen, sachte, Schritt für Schritt, wie eine Schlafwandelnde, nähert sie sich dem Fenster.
Nun legt sie ihre Hand auf die seine. Mechanisch, wie er es Dutzende von Malen getan, verlagert er sein Gewicht so, daß es ganz von dem Arm am Fensterkreuz gehalten wird, und reicht ihr die andere Hand. – Sie nimmt sie, und er fühlt etwas in diese Hand hineingleiten, etwas Glattes, Rundes … Er wirft einen erschrockenen Blick darauf: es ist ein Ei, ein Hühnerei, das ihm dieses eifersüchtige Biest in die Hand gedrückt hat!
Ich muß singen! Ich muß doch singen! denkt er. Die Marielen hat schon angefangen. Wie sie loslegt! Jetzt, bei der letzten Aufführung, will sie mich noch in Grund und Boden singen! Es ist doch mein Lied, ganz Berlin weiß das! – Was soll ich mit dem Ei anfangen? Mit dem Ei in der Hand komme ich unmöglich über die Brüstung! Ich kann es auch nicht auf das Fensterbrett legen, es rollt bestimmt herunter, und sicher ist es ungekocht! Eine bodenlose Gemeinheit ist das – das also hat sie mit dem Ei des Kolumbus gemeint! Ob ich es in die Hosentasche kriege? Aber nachher zerdrücke ich es beim Hereinklettern, oder es klatscht in den Park hinunter!
Und während all dieser sich jagenden Gedanken singt die Marielen ihm immer triumphierender ins Gesicht. Sie singt und singt, während kein Ton aus seiner Kehle kommt, sie singt:
Die Nacht verrinnt, der Tag bricht an,
Nun bin ich Frau, du bist der Mann –
Jetzt sind wir stets zu zwei’n!
Sie singt es so, daß das Publikum in einen Beifallsjubel ausbricht, der Neid hat ihre Fähigkeiten gesteigert! Sie muß den letzten Vers noch einmal singen, sie beweist, er hat bisher den Beifall unberechtigt für sich allein beansprucht! Und er hängt unterdes tonlos über dem Park, ein rohes Hühnerei in der Hand! Aber das ist die Strafe dafür, daß er so gemein zu dem Mädchen aus der Fremde war! Vielleicht war dies sein letztes Auftreten, vielleicht hat er seine Stimme für immer verloren?
Und nun, da die Marielen fertig ist, da sie ihren zweiten Beifall zur Neige ausgekostet hat, da die Verfolger unten zu lärmen anfangen, nun kommt das Schlimmste: er soll, das Ei in der Hand, in ihr Zimmer klettern! Er versucht es mit dem aufgestützten Ellbogen, es geht nicht! Er versucht es, sich ganz über das Fensterbrett zu legen – es geht nicht!
Er fühlt den triumphierenden, spöttischen Blick der Marielen, die einen Schritt von ihm entfernt steht, die ihm nur die Hand zu reichen und das Ei abzunehmen braucht, und es doch nicht tut! Und er fühlt die wachsende Unruhe im Zuschauerraum, wo man verwundert den sportgewandten Helden sich abzappeln sieht wie einen Fisch an der Angel …
Bis sie doch endlich am Vorhang merken, es ist etwas nicht in Ordnung, und die Gardine langsam, ganz langsam herabrauscht! Sie ist kaum unten, da hebt er die Hand mit dem Ei gegen die Marielen, die aufschreiend das Gesicht verbirgt …
Aber er läßt die Hand wieder sinken, ich hab’s nicht anders verdient! denkt er.
Das Ei klatscht in den Park hinab. Ein zweiter Aufschrei beweist, daß es auch dort ein Ziel getroffen hat, freilich ein schuldloses.
3
Die Stumme
Der junge Arzt vom Nachtdienst des Krankenhauses war hocherfreut, den berühmten Mimen einmal persönlich kennenzulernen: »Ich gehe in jeden Film, bei dem Sie mitspielen, Herr Babendererde, da lasse ich keinen aus! Und dann habe ich Sie natürlich jetzt in ›Liebe auf sachten Sohlen‹ gesehen, sogar zweimal schon! Fabelhafte Geschicklichkeit im Klettern, sind Sie Alpinist? Ich klettere nämlich selber, da kann ich Ihre Leistung beurteilen!«
Babendererde machte jenes höfliche, eine Spur gelangweilte Gesicht, mit dem er stets die Lobsprüche der Bewunderer – sein Lebensvitamin – anhörte. Doktor Altpeter aber, den es zu seinem Haufen Leute zog, fragte: »Und die junge Dame? Schläft sie, oder ist bei ihr noch immer die Stunde, eh’ sie schlafen geht?«
Das Gesicht des jungen Arztes verwandelte sich aus dem menschlich interessierten in das berufsmäßig ernste. »Vor einer halben Stunde lag