Alle meine Packer. Martin Renold

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zehn Prozent mehr erhalten sollte als ein gewöhnlicher Angestellter, konnte ich es nicht verantworten, mein Gehalt von einem Tag auf den anderen zu verdoppeln.

      Von den dreiundzwanzig verbleibenden waren immerhin einige einer eingehenden Prüfung wert. Fremdsprachige Arbeiter waren interessanterweise damals noch nicht darunter. Selbst was anfänglich wie Spanisch oder Türkisch aussah, stellte sich nach längerem Studium des Textes als eine Art von rudimentärem Deutsch heraus. Da ein Packer auch Paketbordereaux für die Post schreiben muss und Frachtbriefe für die Bahn, fielen weitere zwölf Bewerber aus der Wahl. Fünf wohnten zu weit weg, so dass sich die Arbeit in der kurzen Zeit zwischen Ankunft und Heimfahrt gar nicht gelohnt hätte. Drei gaben von vornherein an, nur vormittags oder nachmittags arbeiten zu wollen.

      Nach Prüfung aller Offerten ergab sich folgende Rechnung:

      60 – 20 – 17 - 12 – 5 – 3 = 3

      Der Erste, den ich kommen ließ, war zwar schon etwa ein Mittfünfziger, schien aber noch rüstig. Ich ließ ihn vor meinem Pult Platz nehmen. Um nicht den Eindruck zu erwecken, als müsste ich um ihn froh sein, hatte ich alle sechzig Offerten im Dossier belassen. Seine Offerte war die Siebente von oben. Der Bewerber verdankte sein Hiersein vor allem dem Umstand, dass er keine Angaben gemacht hatte und nur mit Schreibmaschine auf ein blendend weißes Papier sauber geschrieben hatte: „Ich bewerbe mich um die im Tagblatt ausgeschriebene Packerstelle. Ich bitte um wohlwollende Prüfung meiner Offerte.“ Der Mann hatte offensichtlich sein bestes Kleid und sein weißestes Hemd angezogen. Da ich mir vorstellen konnte, dass er bisher auf einem Büro tätig gewesen war, fragte ich ihn:

      „Was haben Sie bis heute gearbeitet?“

      „Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen Zeugnisse zeigen.“

      Ich wollte.

      Der Mann zog mit verlegenem Lächeln und etwas umständlich ein halbes Dutzend Umschläge aus seiner Rocktasche.

      Die üblichen Zeugnisse: Von dann bis dann in unserem Dienst gestanden. Sämtliche Arbeiten zu unserer Zufriedenheit verrichtet. Verlässt uns auf eigenen Wunsch usw., usw.

      „Sie haben also bisher immer auf Büros gearbeitet?“

      „Ja.“

      „Und nun möchten sie auf die Packerei umsatteln.“

      „Ja, ich suche mir etwas Leichteres.“

      „Ach so. Aber nach Ihren Zeugnissen zu schließen, haben Sie doch bisher die von Ihnen geforderte Arbeit gut begriffen. Natürlich muss man beim Packen nicht so viel denken wie bei der Korrespondenz oder der Buchhaltung. Aber es gibt natürlich auch Transportformalitäten, gerade beim Export, die etwa gar nicht so leicht verständlich sind. Sehen Sie hier diese Ausfuhrdeklaration. Lesen Sie einmal hier: Nettogewicht = Eigengewicht der Ware + Warenträger + unmittelbare Umschließungen, die keine Transportverpackung darstellen. Nun gut, das kann man mit einigem Willen und etwas mehr als durchschnittlicher Intelligenz noch verstehen, aber es gibt natürlich auch Dinge, die nicht so leicht verständlich sind.“

      „Ich meine es nicht so, sondern körperlich leicht. Ich habe nämlich vor einem halben Jahr einen Herzinfarkt erlitten, und nun hat mir der Arzt jede schwere Arbeit verboten.“

      „Es tut mir leid, mein Herr“, entgegnete ich ihm verschämt, aber unsere Firma hat leider noch keine Sterbeversicherung.“

      Das gab ihm zu denken. Und da er sich bei uns nicht morden lassen wollte ohne hinreichende Fürsorge für die Hinterbliebenen, verabschiedete er sich um-, aber unmissverständlich.

      Der Zweite der drei Musketiere, die ich vorgeladen hatte, sah sich im ganzen Haus um und sagte dann: „Ich habe es mir anders vorgestellt.“

      Ich dachte an den letzten Mohikaner, der noch übrigblieb, und hatte es mir auch anders vorgestellt. Der hatte nämlich unterdessen bereits eine andere Stelle gefunden.

      Auf das zweite Inserat meldeten sich nur noch siebundvierzig Bewerber, von denen zweiundvierzig zum Vornherein ausschieden. Der Rest schied erst nach persönlichem Augenschein aus. Beim dritten, vierten und fünften Inserat war es nicht anders. Inzwischen boten sich sechs weitere Tageszeitungen als Werbeträger an, von denen jede behauptete, dass sie am meisten beachtet werde. Da ich aber nicht gewillt war, einem Packer den Möbeltransport vom Berner Oberland oder vom St. Galler Rheintal nach Zürich zu bezahlen, wählte ich die Zeitung, die den Großteil ihrer Leser im Kanton Zürich hatte. Ich musste ohnehin das Blatt wechseln, um dem Ansehen des Verlags nicht zu schaden. Allmählich sah es aus, als ob kein Packer länger als zwei Tage bei uns bleiben würde.

      Endlich kam der Montag heran, an dem unser neuer Packer antreten sollte. Es war ein bleicher, stiller Jüngling von sechzehn Jahren. Die Mutter hatte es für besser befunden, wenn er vor der Lehre noch ein Jahr arbeitete, um etwas stärker zu werden und ein wenig Geld zu verdienen.

      Am Schluss der ersten Woche war nicht aus ihm herauszubringen, ob ihm der Job gefalle. Er hatte in den paar Tagen wohl noch kaum mehr als etwa zwanzig verschiedene Wörter von sich gegeben.

      Am Montag der zweiten Woche erschien er nicht zur Arbeit. Um zehn Uhr rief seine Mutter an. Aus ihrer Stimme war herauszuhören, dass sie geweint hatte. „Es tut mir schrecklich leid, aber er liegt immer noch im Bett. Ich bringe ihn einfach nicht heraus. Er schämt sich halt so. Sein älterer Bruder ist zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil der den Militärdienst verweigerte.“ Das gab es damals noch. Ich beteuerte, dass uns das nichts ausmache. Vor uns bauche er sich nicht zu schämen. In zwei Wochen käme bei uns sogar ein Buch heraus, das sich für eine menschliche Behandlung der Dienstverweigerung und für die Schaffung des Zivildienstes einsetze.

      Es half alles nichts.

      Der bleiche Jüngling blieb im Bett, verweigerte seinen Dienst als Packer und schämte sich weiter.

      Wir mussten einen Packer suchen, der sich nicht schämte.

      Und einen solchen fanden wir dann auch.

      Fringeli, der Adonis

      Diesmal war es Frau Knopf, die mir aus der Verlegenheit helfen konnte. Unser Budget für Stelleninserate war schon längst überschritten. Das wusste auch Frau Knopf, weshalb sie sich selbst auf die Suche nach einem Packer und sich dadurch bleibende Verdienste um das Fortbestehen unseres Verlagsunternehmens machte.

      Es war ein strahlender Sommermorgen, der trotz dem schattenspendenden Laub vor den Fenstern unseres Gärtnerhäuschens heiß, sehr heiß zu werden versprach. Als ich zur Arbeit kam – ich musste, um in mein Zimmer im oberen Stockwerk zu gelangen, durch das Büro von Frau Knopf –, saß auf ihrem Tisch mit untergezogenen Beinen eine schlanke Jünglingsgestalt mit lockigem, Haar und schwarzen Backenbärtchen, einem Halbgott der griechischen Sagenwelt an Ausdruck und Haltung nach unähnlich. Frau Knopf eilte auf mich zu, kaum dass sie die Tür sich öffnen sah, bereit, mich aufzufangen, falls das göttliche Bild mich derart in Verzückung versetzen sollte, dass ich vom Anblick überwältigt, zu taumeln beginnen würde. Das Götterbild lächelte mich kindlich unschuldig an, doch, obwohl sein Blick etwas naiv Umwerfendes an sich hatte, blieb ich aufrecht stehen.

      „Darf ich Ihnen vorstellen? Herr Fringeli.“

      Adonis Fringeli sprang leichten Fußes von seinem Götterthron herab, wechselte die Zigarette von der rechten in die linke Hand und streckte mir seine Nikotinfinger hin

      „Herr

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