Alle meine Packer. Martin Renold

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in Stücke ging. Nochmals aus dem schon wieder beinahe zurückgewonnenen Gleichgewicht geworfen, blieb der verzweifelt nach Halt suchenden Dame nichts anderes übrig, als ihr Knie hochzuziehen und es gegen die raue Wand zu stemmen. In dieser beschämenden Stellung musste die Bedauernswerte einige bange Augenblicke verweilen, bis sie die rechte Hand aus dem Quadrat Mitte rechts, die linke Hand vom Quadrat unten links zurückgezogen hatte und sich mit einigem Gegendruck wieder in die Senkrechte zurückstoßen konnte. Der Verputz aber hatte kleine rote Pünktchen in ihre Handflächen und vor allem auf ihre zarte Kniescheibe gedrückt, die zu betrachten ich drei Minuten später Gelegenheit bekam; denn wer glaubt, die Gedemütigte hätte zugleich mit ihrer aufgerichteten Stellung auch Haltung und Gleichgewicht zurückgekommen, der täuscht sich. Den kaum mehr spürbaren Schmerz, nicht aber den Zorn verbeißend, kurvte sie um das Häuschen herum, schloss das Gartentor auf, blieb beinahe an der Deichsel unseres Leiterwagens hängen und stürzte sich, ohne erst zu läuten, in unseren Packraum. Dort standen bereits unser Fotograf, Frau Knopf und ich, die wir dem Geklirr der Fensterscheibe nachgegangen waren. Der strahlende Apoll warf all seinen Charme in die Waagschale, um den glühenden Zorn zu besänftigen, der da personifiziert in der Mitte unseres Packraums stand und behauptete, es sei im Mietvertrag festgelegt, dass dieses Fenster zu allen Jahreszeiten geschlossen zu bleiben habe. Nur die überzeugende Beteuerung, der verantwortungslose Packer sei erst seit ein paar Stunden in unserm Dienst und unsere Aufklärung habe versehentlich noch nicht eingesetzt, rettete uns vor der Kündigung. Ich schaffte unverzüglich den Mietvertrag herbei, und der Umstand, dass das Fenster im Mietvertrag überhaupt nicht erwähnt war und die von uns nochmals leidenschaftlich erwähnte, sich bei der Frau Direktor zu beruhigenden Gewissheit verdichtende Tatsache, dass der Jüngling wirklich unschuldig sei, da er seit heute Vormittag in unsern Diensten stehe und das Fenster demzufolge in den letzten fünfundzwanzig Jahren nie geöffnet worden sei und auch in den nächsten fünfundzwanzig Jahren ganz sicher nie mehr geöffnet werde, hielten die kaum zu Besänftigende davon ab, von uns die fristlose Entlassung des ruchlosen Voyeurs zu verlangen. Frau Knopf hatte inzwischen die Hausapotheke aus einer Schublade ihres Pultes hervorgeholt, um das *blutüberströmte, starrkrampfverdächtige“ Knie zu behandeln. Aber die tapfere Dame wies unsere unsachgemäße Hilfe ab und verlangte stattdessen, das ganze Haus inspizieren zu dürfen. Jedes Fenster, jeder Vorhang wurde auf seine Undurchschaubarkeit kontrolliert, und noch einmal und endgültig wurde festgelegt, welche Fenster zu gewissen Jahreszeiten und unter gewissen Umständen geöffnet werden durften und welche in ausnahmslos jedem Fall geschlossen bleiben mussten.

      Es war etwa zehn Tage nach diesem Vorfall, als Frau Knopf mich bat, einen Augenblick zu ihrem Schützling in den Packraum herunterzukommen. Auf dem Tisch saß die edle Gestalt, das rechte Bein am Boden, das linke angewinkelt auf dem Tisch. Im markanten Gesicht ein überlegenes Lächeln und ein Zigarette.

      „Ich habe meinen Beruf aufgegeben“, erklärte mir kurz und bündig der junge Mann.

      „Ja“, bekräftigte er seine Aussage. „Ja“, und dabei ging sein vielversprechender Blick von mir auf Melanie Knopf und von dieser keck wieder auf mich zurück.

      „Sie wollen uns also schon wieder verlassen?“, fragte ich überrascht.

      „Noch nicht. Das hier ist doch nicht mein Beruf. Nein, ich meine meinen wirklichen Beruf, der zwar auch kein wirklicher Beruf war, wissen Sie, so ein Beruf mit Berufung. Ich habe meine ganze Fotoausrüstung verkauft. Von heute an bin ich Maler.“

      Mit einer stolzen, weitausholenden Gebärde zeigte er auf den Packtisch. Dort lag ein Paket, kein Bücherpaket, sondern ein in Zeitungspapier gewickeltes und mit einem dicken, schon mehrfach gebrauchten Bindfaden umschnürtes Etwas. Liebevoll griff er nach dem Paket und wickelte eine ungerahmte Leinwand aus.

      „Gefällt es Ihnen?“, fragte er, und sein Gesicht verriet mir, dass er meiner positiven Antwort im Voraus sicher war.

      „Ich finde es gut“, sagte Frau Knopf, während ich noch zögerte.

      „Was halten Sie davon?“, fragte sie mich.

      Ich betrachtete es mit Kennerblick. Das Bild stellte zweifellos einen Fisch dar. Aber er war auf so geniale Weise abstrakt sein wollend gemalt, dass man mit dem besten Willen und auch bei längerem Hinsehen nichts als einen Fisch in ihm erkennen konnte.

      „Nur nicht sagen, dass du einen Fisch siehst“, dachte ich mir, „sonst hast du ausgespielt, und du bist zum Ignoranten gestempelt.“

      „Sie müssen bei der Betrachtung von zwei Seiten ausgehen“, half mir der neue Picasso bei meiner Urteilsfindung, „einmal von der Darstellung aus und dann von der Idee. Es wird Ihnen allerdings nicht leichtfallen, die Darstellung zu erkennen. Sie ist ebenfalls so hintergründig wie die Idee. Das ist bei jedem genialen Kunstwerk so.“

      „Ich halte das Werk für den fast vollendeten Versuch einer ungegenständlichen Landschaftsdarstellung“, begann ich zögernd. Der Künstler schien von dieser ersten Deutung befriedigt.

      „Hab ich nicht gesagt“, wandte er sich an Meli, „die Abstraktion ist vollkommen.“ Und dann wieder zu mir: „Sie irren jedoch. Es handelt sich nicht um eine Landschaft.“

      „Ich muss mich genauer ausdrücken“, entgegnete ich mit einer gewissen Bestimmtheit und Überzeugung, die das Objekt meiner Betrachtung langsam einkreisen sollte. „Selbstverständlich dachte ich an eine Seelenlandschaft.“

      Fringeli schien entzückt. „Das kommt der Wirklichkeit schon näher.“ Damit bekräftigte er meine Ahnung.

      „Ich würde sogar sagen, dass sich die Abstraktion der Seele in der Gestalt eines Tieres konkretisiert“, tastete ich mich weiter voran.

      Fringeli stellte das Bild an die Wand und trat ein paar Schritte zurück. „Ich habe tatsächlich ein Tier darstellen wollen.“

      „Wollen? Sie sind zu bescheiden, Herr Fringeli. Ich wage zu behaupten, dass es Ihnen vollkommen gelungen ist. Noch nie habe ich ein Elefantenbildnis von solcher Ausdruckskraft gesehen.“

      „Das Grau der Mittelpartie könnte allerdings auf einen Elefanten schließen lassen. Aber ich dachte nicht an einen Elefanten, sondern…“

      „Ein Nilpferd“, fiel ich ihm ins Wort.

      Fringeli strahlte. „Sie kommen der Wirklichkeit immer näher. Es ist in der Tat ein Tier, das sich im Wasser bewegt. Vielleicht kommen Sie darauf, wenn wir von der Idee ausgehen. Sehr oft wird behauptet, bei der modernen Kunst komme es gar nicht darauf an, was oben und was unten, was links oder rechts sei. Das wird von allen Künstlern energisch in Abrede gestellt. Ich aber wollte mit meinem Werk den neuartigen Beweis antreten, dass selbst ein gegenständliches Bild – um ein solches handelt es sich nämlich trotz aller Abstraktion – so oder so aufgehängt werden kann.“

      Er drehte das Bild um, und tatsächlich, der Fisch blieb ein Fisch, nur dass er jetzt nicht mehr von links nach rechts, sondern rechts nach links schwamm.

      „Sie haben mich vollkommen von Ihrer Idee überzeugt, Herr Fringeli. Darf ich annehmen, dass es sich bei der Darstellung um einen Fisch handelt?“

      Frau Knopf sonnte sich augenfällig in der Anerkennung, die ich ihrem neuentdeckten Genie zuteil werden ließ.

      „Nichts wäre mir lieber“, erklärte der begnadete Künstler, „als mein Opus Nummer eins in den Händen eines so kunstverständigen Mäzens zu wissen, wie Sie es sind. Da ich Ihnen gerne eine Freude machen will, verlange ich von Ihnen nur die Hälfte des Preises. Nehmen Sie es für zweihundertfünfzig Franken. Durch dieses Geschenk begebe ich mich allerdings der Möglichkeit, schon von heute an nur noch meiner Kunst zu leben, der ich mich verschworen

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