Kuss der Wölfin - Die Ankunft (Band 1). Katja Piel

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Kuss der Wölfin - Die Ankunft (Band 1) - Katja Piel

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will da nicht raus“, jammerte Sibil. „Ich habe Angst.“

      Katharina seufzte und zog ihren Umhang fester um die Schultern. Sie hatte selbst wenig Lust auf einen Fußmarsch durch den Wald, zumal es schon wieder begonnen hatte zu schneien.

      „Ich weiß, Kleine, aber es ist nun mal unsere einzige Ziege. Wenn die Wölfe sie holen, haben wir keine Milch mehr.“

      Sie griff nach einem abgebrochenen Besenstiel und drückte ihn Sibil in die Hand.

      „Hier. Damit du dich wehren kannst.“

      Sie öffnete die Tür und schob Sibil hinaus in den grauen Nachmittag. Der Schnee um die Hütte stand ihr fast bis zum Knie, und ihre Füße in den dünnen Lumpen wurden sofort kalt.

      „Warum geht der Vater nicht mit auf die Suche?“

      „Der liegt und schläft. Er hat sich vorhin krank gefühlt.“

      Krank gefühlt – mit seinem beinahe irren Blick, Gesicht und Hände voller Blut, war er grunzend auf die Schlafstatt gekrochen.

      Zuvor war er beinahe einen ganzen Tag und eine Nacht verschwunden gewesen, und sie hatte inbrünstig gebetet, er möge diesmal nicht wiederkommen. Doch Gott hatte sie noch nicht genug gestraft für ihre Lust und wollte sie weiter leiden lassen.

      Wenigstens vergriff er sich nicht mehr täglich an ihr, seit er diese langen Wanderungen unternahm.

      Sibil stand bibbernd im Schnee, und Katharina nahm sich ein handliches Holzscheit vom Stapel und zog die Tür hinter sich zu.

      „Meinst du, das hilft gegen den Schlächter?“, fragte die Kleine mit blauen Lippen.

      „Ich weiß es nicht“, sagte Katharina. „Aber wenn wir ihn treffen, will ich mich zumindest nicht kampflos ergeben.“

      Sie nahmen die Spur der Ziege auf und stapften über die Lichtung zum Waldrand.

      „Der Müller erzählt, die Frau vom Oberbach-Bauern ist seit ein paar Tagen verschwunden“, berichtete Sibil. „Alle glauben, dass der Schlächter sie geholt hat. Das ist dann sein zwölftes Opfer in nicht mal zwei Monden.“

      „So lange man sie nicht findet, ist nichts bewiesen“, sagte Katharina grimmig. „Vielleicht hat sie auch nur von ihrem saufenden Ehemann die Nase voll und ist ihm weggelaufen. Verstehen könnte ich es.“

      Sie spürte, wie Sibil sie ängstlich von der Seite ansah.

      „Du gehst nicht, oder? Lässt mich nicht mit dem Vater allein?“

      Katharina seufzte.

      „Nicht jetzt im Winter. Und wenn ich gehe, nehme ich dich mit.“

      „Versprochen?“

      „Versprochen.“

      Was redete sie da bloß? Das Balg von Peters erster Frau war ihr nie sonderlich nahe gewesen, und ihre Hoffnung, mit eigenen Kindern gleichziehen zu können, hatte sich nicht erfüllt. Doch überließe sie das Kind diesem Tier, zu dem er geworden war, müsste sie dafür auf ewig im Fegefeuer schmoren.

      Zum wiederholten Mal fragte sie sich, ob sie eine Schuld an seiner Verwandlung trug. War es, weil sie ihm keine Kinder gebar? War sie zu lüstern gewesen, hatte ihre Lust ihn verdorben? Oder war sie ihm vielleicht gerade nicht genug zu Willen gewesen?

      Sie hatte gerade beschlossen gehabt, den Kirchenmann im Ort um Rat zu fragen, als die Mordserie begonnen hatte. Alte, Junge, Männer, Frauen, zerfleischt und zerrissen wie von Tieren, aber auch auf eine Art hingerichtet, die eine grausame Intelligenz verriet. Und gleichzeitig hatte Peter begonnen, sich immer merkwürdiger zu verhalten. Es kursierten genug Gerüchte über ihn und Katharina. Sie wollte nicht Öl in ein Feuer gießen, das sie selbst mitsamt ihrem Mann verschlingen konnte.

      Unter den Bäumen mussten sie suchen, bis sie die Spur der Ziege wieder gefunden hatten. Helle, abgenagte Stellen in der weichen Rinde einer Buche verrieten ihnen schließlich den Weg.

      „Warum läuft sie nur weg?“, beklagte sich Sibil. „Sie ist doch noch nie weggelaufen!“

      „Nicht genug Futter?“, vermutete Katharina.

      „Aber wir haben doch nicht mehr!“

      „Das weiß die Ziege doch nicht, dummes Gör.“

      Schweigend arbeiteten sie sich voran. Unter der tiefen Schneedecke lagen Äste und Gesträuch verborgen, die sie immer wieder stolpern ließen. Ihre langen Röcke schleiften hinter ihnen her und verfingen sich im niedrigen Geäst. Während ihre Hände und Füße eiskalt und gefühllos waren, rann Katharina der Schweiß den Rücken hinunter.

      Am Rand einer dichten Tannenschonung verloren sie die Spur. Sibil, die Hände um den Besenstiel gekrampft, drehte sich suchend im Kreis und rief nach der Ziege, doch das Tier war nirgends zu sehen. Der Wald war totenstill. Kein Ästchen knackte.

      Katharina ging voran, von der Verzweiflung getrieben. Wenn die Ziege weg war, würden sie es vielleicht nicht über den Winter schaffen.

      Zehn, zwölf Schritte später kreuzte eine Schleifspur ihren Weg. Katharina hielt inne und sah sich um. Jemand hatte hier etwas Schweres durch den Schnee geschleift und war damit im Dickicht verschwunden, das zeigten einige abgebrochene Äste. Katharina folgte der Spur, bog mit Schnee beladene Zweige beiseite und zwängte sich dazwischen.

      Hier, unter den Bäumen, erwartete sie eine Blutlache.

      Katharina schlug die Hand vor den Mund. Nicht die Ziege, dachte sie, bloß nicht die Ziege.

      Die Blutlache war riesig.

      Sie hatte sich in den Schnee hineingeschmolzen und ihn rot gefärbt. Überall rundum waren Blutspritzer in der glitzernden Schneedecke.

      Aus der Blutlache führte eine blutige Schleifspur tiefer in die Schonung.

      „Was ist?“, fragte Sibil von hinten. „Hast du eine Spur?“

      „Vielleicht.“

      Katharina überwand ihre Angst und ihren Ekel, stieg über die Blutlache und folgte der Spur. Schnee und Tannennadeln rieselten ihr in den Kragen, als sie sich durchs Gestrüpp zwängte. Als sie gerade umkehren wollte, weil einfach kein Durchkommen mehr war, stieß ihr Fuß gegen etwas Weiches.

      Der Junge hatte kein Gesicht mehr. Er musste vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt gewesen sein, ein dünnes, blasses Kerlchen. Sein Kopf war zerdrückt wie ein fauler Apfel. Graue Gehirnmasse quoll daraus hervor. Seine Brust und sein Bauch waren aufgerissen, Katharina sah zwischen Haut- und Fleischfetzen die Gedärme bläulich schimmern. Ein Bein war bis zum Skelett abgefressen.

      Neben ihr erbrach sich Sibil ins Gebüsch.

      „Zumindest nicht die Ziege“, sagte Katharina.

      „Was machen wir denn jetzt?“, fragte Sibil schwach, bevor neue Übelkeit sie nach vorne krümmte.

      „Nichts“, sagte Katharina. „Wir gehen zurück und beten, dass der Schnee unsere Spuren verdeckt. Wir waren

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