Brücken bauen. Mauern einreißen.. epubli GmbH

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Brücken bauen. Mauern einreißen. - epubli GmbH

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      *Stellvertretend genannt für Alle.

      Eine Hauptstadt mit »B«

      Cornelia Theda

      Wir hatten das Jahr 1978 und ich war ein junges Ding, gerade mal 20 Jahre alt. Endlich hatte ich ein eigenes Auto, einen uralten VW Käfer. Damit wollten meine Schwester und ich gemeinsam auf große Reise gehen. Und das erste und beste Ziel, das uns einfiel, war West-Berlin. Denn dort lebte ein Großteil unserer Familie: Tanten, Onkel, Cousins etc.

      Es war schon eine Strecke vom Ruhrgebiet, die wir zu bewältigen hatten, aber wir fühlten uns sehr erwachsen. Mit unserer »Lebenserfahrung« und diesem tollen Auto stand uns quasi die Welt offen – aber nicht die DDR. Egal, Berlin war für uns der Inbegriff des Lebens – groß, wild, gefährlich, bedrückend, befreiend – es war also klar, dass kein anderes Ziel in Frage kam.

      Am Grenzübergang Marienborn ordnete ich mich, ganz die Erwachsene, die ich ja nun laut Führerschein war, in die Spur Richtung »Berlin« ein.

      Mit der Beschilderung »Transitstrecke« konnte ich jedoch überhaupt nichts anfangen. Das klang für mich nach »Transsibirien« oder »Transsylvanien«, auf jeden Fall sehr, sehr suspekt. Denn ich wollte ja nach Berlin, und so stand es auch auf den Hinweisschildern geschrieben.

      Als ich dann endlich an den Kontrollschalter heran rollen durfte, stürzte ein VoPo auf unser Käferchen zu, wie immer, mit geschulterter MP, tief in die Stirn gezogener Mütze und äußerst finsterem Blick. Meine Schwester und ich zitterten vor Angst. Wir wussten ja, dass es immer so war. Man kam sich wie ein Verbrecher vor, aber ohne elterlichen Schutz war die Situation schon bedrohlich.

      Der VoPo schnauzte mich in diesem typisch humorlos-militärischen Ton an, der wahrscheinlich für diese Berufsgruppe erfunden worden war. Vielleicht gab es sogar Sprachkurse, um die hohe Kunst dieses arroganten, zutiefst verächtlichen Tons zu lernen. Er blaffte: »Wohin?« Ich antwortete zitternd und stotternd: »Äh, nach Berlin«, und setzte vorsichtshalber noch nach, damit auch keine Missverständnisse aufkamen: »zu meinem Onkel…«. Beinahe hätte ich noch »Hans« hinzugefügt, aber mein Gehirn konnte noch gerade signalisieren, dass dieser Herr Onkel Hans sehr wahrscheinlich nicht kannte.

      »Hauptstadt oder West?« Ich schluckte und überlegte fieberhaft, was dieser Kerl damit meinen konnte. Wieso Hauptstadt? Berlin war alles, aber doch keine Hauptstadt. Es war eine Insel, ein Abenteuerspielplatz, eine Zeitbombe, ein Käfig, ein Paradies. Aber eine Hauptstadt?

      Also meinte ich, vor Naivität und Aufrichtigkeit strotzend, diesen Mann aufklären zu müssen und stellte richtig: »Aber das ist doch Bonn!« Meine Schwester kicherte los, sie kugelte sich zusammen und ihr liefen Tränen über die Wangen, um nicht lauthals loszulachen.

      Der VoPo verzog keine Miene, wedelte mit seiner Waffe herum und knurrte dann fatalistisch:

      »Zurücksetzen, richtig einordnen und ab nach WEST-Berlin. Für so was wurde die Transitstrecke gebaut«. Also setzte ich brav zurück, ordnete mich richtig ein und fuhr, immer noch mit schlotternden Knien, über die berühmt-berüchtigte Transitstrecke in die vorher-und-jetzt-endlich-wieder-aber-damals-auf-gar-keinen-Fall-Hauptstadt, die mit keiner anderen Stadt der Welt zu vergleichen war und ist und die ich über alles liebe.

      Jenseits der blauen Grenze

      Dorit Linke

      Auszug aus »Jenseits der blauen Grenze« (Magellan Verlag)

      Unsere Taschen liegen vergraben unter einem Hagebuttenstrauch. Findet sie jemand, ist alles vorbei. Die Feldflasche habe ich mit Muttis Gürtel am Körper befestigt. Er hat eine goldene Schnalle und ist so hässlich, dass sie ihn nicht vermissen wird.

      Nachher müssen wir im richtigen Moment loslaufen und kriechen, so wie wir es beim Pioniermanöver gelernt haben.

      Bloß nicht ins Licht der Scheinwerfer geraten, das kilometerweit über den Strand wandert. Die Stelle, die wir uns ausgesucht haben, ist gut, weit weg vom Grenzturm.

      Es ist viel NVA um uns herum. Direkt hinter uns steht ein Schild.

      Sperrzone. Betreten und Befahren verboten.

      Opa hat mir gesagt, dass ich auf die Posten aufpassen soll. Die werden an uns vorbeilaufen, außerdem werden Autos mit gleißenden Scheinwerfern herumfahren. Er hat mir auch gesagt, dass die Suchscheinwerfer nach einer Stunde zum Kühlen ausgeschaltet werden müssen. So einen Moment werden wir nutzen, um runter an die Ostsee zu laufen.

      Am Wasser liegt ein Findling, hinter dem wir uns verstecken können. Wir werden rasch unten sein. Der Sandstrand ist hier nicht so breit wie in Warnemünde. Später in der Ostsee tauchen wir einfach unter, wenn das Scheinwerferlicht auf uns zukommt.

      Mutti habe ich einen Zettel unter die Bettdecke gelegt. Sie soll sich keine Sorgen machen. Wird sie wohl trotzdem. Sie wird mich nicht in Kühlungsborn vermuten, sondern an der Neptunschwimmhalle auf mich warten. Gestern habe ich mich beinah verraten, weil ich ihr beim Wetterbericht über den Mund gefahren bin. Normalerweise interessiere ich mich dafür nicht.

      Fünfzig Kilometer bis nach Fehmarn. Das ist echt weit.

      Wenn die Strömung mitspielt, schaffen wir die Strecke in fünfundzwanzig Stunden. Momentan herrscht ablandiger Wind. Hoffentlich bleibt es dabei. Wenn es dunkel ist, werden wir losschwimmen, dann sind wir schon ein Stück vom Land entfernt, wenn die Boote in der Morgendämmerung nach Flüchtlingen suchen. Kommt eine Patrouille, tauchen wir unter und atmen durch unsere Schnorchel, die ich gestern im Keller mit Plastikschläuchen verlängert habe. Als Nachbarin Lewandowski mich damit hantieren sah, wollte sie wissen, wozu das gut sei. Ich habe ihr von den Karpfen im Dobbertiner See erzählt, die ich beobachten wollte.

      Neunzehn Grad Wassertemperatur, das ist gut. Weiter draußen wird es kälter sein. Das wird hart. So viel trainieren kann man gar nicht. Doch wir werden es schaffen. Endlich ist es so weit! Ich bin aufgewühlt und gleichzeitig ruhig, auf unser Vorhaben konzentriert.

      Andreas sieht blass aus. Zum Glück ist er dabei, ohne ihn könnte ich es nicht. Gerade hat er mir zugelächelt.

      Er hat Angst. Ich auch, aber darüber darf man nicht nachdenken. Andreas hält Die schwarze Feluke in der Hand. Für Sachsen-Jensi, in Folie eingeschweißt. Das einzige Mosaik-Heft, das ihm in seiner Sammlung noch fehlt, erschienen im November 1982. Im Westen bekommt er das nicht, wir müssen es ihm mitbringen. Das haben wir ihm versprochen.

      Piraten auf dem Cover, Fischerboote, hochschlagende Wellen, Leuchtfeuer und Männer mit Turbanen. Andreas betrachtet das Bild, das so blau ist wie die Dämmerung, die uns umhüllt. Bestimmt möchte er durch das Heft blättern, doch das geht wegen der Folie nicht.

      Ins Heft habe ich einen Zettel gelegt, da steht die Telefonnummer meiner Eltern drauf. Falls etwas passiert und jemand das Heft findet, weiß er, wo er anrufen muss.

      Was würde Sachsen-Jensi sagen, wenn er uns sehen könnte, hier in den Dünen, wartend, mit Blick auf die Ostsee? Hitze in meinem Magen, vor Aufregung! Ein angenehmes Gefühl. Ich bin glücklich, dass wir aufbrechen werden, fühle mich das erste Mal seit Monaten wieder leicht, fast unbeschwert. Ich schließe die Augen und atme tief ein. Es riecht nach Salzwasser und nach Algen. Ich öffne die Augen wieder. Hagebuttenfrüchte baumeln zwischen mir und dem spiegelglatten Wasser, einige Meter entfernt wächst Strandhafer.

      Sachsen-Jensi würde uns davon abhalten, weil er ein Angsthase ist. Ich lächle. Vor vielen

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