Brücken bauen. Mauern einreißen.. epubli GmbH

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Brücken bauen. Mauern einreißen. - epubli GmbH

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direkt vor meinen Augen. Die Grenze zwischen Luft und Wasser. Ich tauche mit der Vorwärtsbewegung unter, atme aus, lasse mich vom Wasser tragen, komme wieder an die Oberfläche.

      Andreas’ Flossen klatschen aufs Wasser. Er merkt es, korrigiert seine Bewegungen. Wir dürfen hier draußen keine lauten Geräusche machen.

      Ich atme durch den Schnorchel, damit der Kopf unter Wasser bleiben kann, ich ihn nicht drehen muss. Jede Bewegung kostet Energie.

      Nach wenigen Metern merke ich, was ich schon lange weiß. Es ist alles ganz anders als im Schwimmbad. Ulrich ist nicht hier, keiner gibt Anweisungen. Wir sind auf uns allein gestellt.

      Ich höre nur das Glucksen der Wellen, die sich an meinem Körper brechen. Aus der dunklen Tiefe steigen Blasen auf.

      Leise schwimmen wir hinaus auf die Ostsee, nach Norden.

      »Welche Rekorde willst du eigentlich brechen?«

      Ulrich zwinkerte mir vom Beckenrand aus zu. Er trug seinen orangefarbenen Trainingsanzug und rote Badelatschen.

      Ich zog mir die Schwimmbrille vom Kopf. »Für heute reicht es.«

      »Glaub ich. Drei Stunden. Hast du die Bahnen gezählt?«

      »179.«

      Ulrich kniff die Augen zusammen. »179 mal 50 Meter macht 8 950 Meter. Mein lieber Scholli. Ab jetzt. Duschen.«

      Ich zog mich aus dem kalten Wasser. Der Nacken und die rechte Schulter taten weh. Wenn ich sie bewegte, knackte es komisch.

      »Frank und ich spielen nachher in der Konsum-Klause eine Runde Rommé. Willst du mitmachen?«

      Ich nickte und nahm mein Handtuch. Auf dem Gang zu den Duschen zog es wie immer heftig. Einige Minuten lang ließ ich heißes Wasser über mich laufen, trocknete mich hastig ab und zog mich an. Dann lief ich nach draußen.

      Vor der Schwimmhalle standen einige Sportler und unterhielten sich.

      »Tschüss«, rief ich, bog nach rechts ab und ging die wenigen Meter zur Klause.

      Ulrich und Frank saßen bereits an einem der Tische und hatten Karten vor sich liegen.

      Ulrich drehte sich zur Bar. »Cola für die Kinnings und für mich ein Pils«, rief er dem Wirt zu. Dann teilte er die Karten aus, noch bevor ich überhaupt saß.

      Die Luft war stickig vom Zigarettenrauch. In einer Ecke saßen drei Männer und spielten vermutlich Skat, an der Bar trank eine Frau, die so alt war wie Mutti, ein großes Glas Bier. Sie war stark geschminkt und hatte hochtoupierte Haare. Sie starrte Ulrich an, doch der merkte das nicht. Im Hintergrund lief leise The Power of Love von Jennifer Rush.

      »Du hast dich nicht geföhnt«, sagte Ulrich vorwurfsvoll.

      »Ist doch warm hier drin.«

      Er schüttelte den Kopf. »Ihr holt euch alle noch was weg. Du auch, Frank!«

      Der war auch nicht geföhnt und machte sich sofort einen Kopf kleiner, versteckte sich hinter den Karten. Mein Blatt sah gut aus. Kreuzkönig, Kreuzbube, Kreuzzehn.

      »Wieso trainierst du überhaupt so viel?« Frank schaute hinter den Karten hervor. Er hatte einen leichten Silberblick und sah knapp an mir vorbei.

      »Keine Ahnung.«

      »Ist es nicht langweilig, immer nur hin- und herzuschwimmen, ohne irgendein Programm?«

      Um auslegen zu können, fehlte mir die Kreuzdame. Ich warf eine Herzsieben weg.

      »Ich denke einfach an was anderes.«

      Der Wirt brachte die Getränke. Er trug eine ASV-Sportjacke und sagte keinen Ton.

      Ulrich blinzelte mir über seine Karten zu. »Woran denn?«

      Frank warf eine Karte weg. Kreuzdame. Ich drosch auf den Tisch, doch Ulrich war schneller und grinste gehässig, als er die Karte aufnahm.

      »An ein Gedicht«, sagte ich abwesend. »Oder an ein Buch.«

      »Aha.« Nachdenklich kratzte Frank sich am Kopf. Seine aschblonden Haare wirbelten herum.

      Ulrich ordnete die Karten. »Wahrscheinlich besser, als an deine Dosenöffner zu denken, was?«

      Frank schaute verlegen auf den Tisch. Das Thema war ihm unangenehm, denn er durfte sein Abitur machen, im Gegensatz zu mir. Ich lehnte mich zurück und senkte feierlich die Stimme, wie der Ansager bei der Ersten-Mai-Demonstration. »Jeden Tag erfülle ich die Norm. Wenn ich weiter so fleißig bin, kann ich eine Lehre zum Industriedesigner anfangen. Vielleicht in zwei Jahren.«

      Frank legte alle seine Karten auf einmal ab. »Rommé!«

      Wir starrten auf sein Blatt.

      Frank trank seine Cola in einem Zug leer, stand auf und ging aufs Klo.

      »Du hast geschummelt«, rief Ulrich ihm nach. Die Dame an der Bar bekam vom Wirt ein neues Bier hingestellt. Der Schaum lief über den Glasrand.

      Ulrich mischte die Karten erneut, schaute nicht hoch. »Also Hanna, wenn du so weiterschwimmst, schaffst du es tatsächlich bis nach Gedser.«

      Ich nahm jede Karte, die er mir zuwarf, einzeln auf. »Einen Versuch wäre es wert.«

      Ulrich hob sein Bierglas und trank einen Schluck. Sein Auge zuckte komisch. »Du hättest auch nur einen Versuch«, sagte er leise. Frank kam vom Klo und setzte sich wieder. »Mir ist gerade was eingefallen. Wenn du mal längere Zeit in der Warnow trainieren willst, anstatt immer nur Bahnen zu ziehen, kannst du meinen Neoprenanzug haben. Ich borge ihn dir.«

      Ulrich hielt beim Sortieren inne und sah mich an.

      »Ja.« Ich sah von einem zum anderen. »Ich würde gern mal die Warnow rauf- und runterschwimmen.«

      »Die Warnow rauf und runter«, wiederholte Ulrich.

      »Ich bring ihn am Freitag einfach mit«, beschloss Frank und nahm seine Karten auf.

      Auch dieses Spiel gewann er. Danach hatten wir alle keine Lust mehr und verließen die Klause.

      Draußen goss es in Strömen. Frank rannte dem Bus entgegen, der gerade um die Ecke kam. Auch ich wollte loslaufen, doch Ulrich hielt mich am Arm fest.

      »Warte, ich fahre dich nach Hause.«

      »Quatsch, das ist doch ein Umweg für dich!«

      Doch er zog mich zu seinem uralten Skoda, der fast auseinanderfiel. Beim Einsteigen stieß ich mir den Kopf, weil ich so erschöpft vom Training war. Drinnen roch es nach Benzin. Langsam fuhren wir durch den Regen. Die Rücklichter der Autos schimmerten rot durch die nasse Windschutzscheibe, über die der Scheibenwischer ratschte.

      Die Friedrich-Engels-Straße war menschenleer und dunkel, weil mal wieder einige Laternen nicht funktionierten. Ulrich hielt vor unserem Haus und stellte den Motor ab. Die Stille war fast unheimlich.

      »Wie geht es deinem Vater?«

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