Brücken bauen. Mauern einreißen.. epubli GmbH

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Brücken bauen. Mauern einreißen. - epubli GmbH

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sich so affig gekratzt, dass Frau Bauermeister ihn aus der Klasse warf.

      Andreas öffnet den Reißverschluss seines Neoprenanzugs und schiebt das Mosaik-Heft zu seinen Dokumenten: Personalausweis, Geburtsurkunde, Abschlusszeugnis der zehnten Klasse. Das Päckchen mit meinen Dokumenten habe ich zwischen Neoprenanzug und Badeanzug geschoben. Im Westen müssen wir schließlich beweisen können, wer wir sind.

      Andreas hat wohl meinen Blick bemerkt. Er öffnet den Reißverschluss wieder und holt Die schwarze Feluke heraus.

      »Nimm du es«, sagt er leise. »Kannst besser schwimmen.«

      Das stimmt. Sofort habe ich wieder Angst. Ich will nicht darüber nachdenken, kann die Hand nicht ausstrecken.

      »Nun mach«, sagt er drängend.

      Unsere Finger berühren sich, als ich das Heft an mich nehme. Ich schlucke schwer, kann ihn nicht ansehen, schaue hinüber zur Ostsee.

      »Wir werden es schaffen«, sage ich.

      Wir müssen uns das immer wieder sagen, das ist ganz wichtig. Es wird hart werden. Wir müssen daran glauben, sonst halten wir nicht durch.

      Um einundzwanzig Uhr werden wir losschwimmen, sobald der Mond untergegangen ist. Er ist kaum zu sehen, es ist fast noch Neumond, zwischen den Baumwipfeln ist die schmale Sichel zu erkennen. Sie spendet wenig Licht, trotzdem ist es besser, wenn sie nicht mehr da ist. Hat Opa gesagt.

      Leichter Wind von Südost, genau richtig.

      Der Tag ist schön gewesen, heiß und schwer. Wir sind schon früh angereist. Um keinen Verdacht zu erregen, wollten wir nicht erst mit der Dämmerung ankommen. Nachdem wir baden waren, haben wir ein Softeis auf der Promenade gegessen, umgeben von FDGB-Urlaubern. Ich kam mir wie eine Lügnerin vor. Für alle anderen war es ein normaler Tag an der Ostsee, aber nicht für uns. Wir schauten auf das blaue Wasser hinaus und wussten, was in der Nacht geschehen würde. Einmal jedoch vergaß ich es völlig, aß mein Eis und schaute einem Kind zu, das mit seinem Wasserball spielte, fühlte die Sonne, roch den Sommer. Einen Moment lang war ich glücklich. Dann fiel es mir wieder ein und ich hatte ein Kribbeln im Bauch wie beim Karussellfahren.

      Am Nachmittag haben wir versucht, am Strand vorzuschlafen, weil wir in der Nacht nicht dazu kommen würden. Es hat aber nicht geklappt, wir waren viel zu aufgeregt. Ich bin nur einmal kurz weggedöst. Andreas zappelte in den Dünen neben mir herum und konnte nicht zur Ruhe kommen.

      Später haben wir in einer Speisegaststätte Nudeln mit Tomatensoße gegessen, als Grundlage. Sportler essen immer Nudeln. Und viel getrunken haben wir auch, weil wir kaum Wasser mitnehmen können.

      Andreas berührt meinen Arm.

      Zwei Lichter, unten am Strand. Sie kommen!

      Ich kauere mich tiefer ins Gebüsch, Andreas ist dicht neben mir. Ich merke, wie er den Atem anhält, auch ich erstarre völlig, ziehe den Kopf ein und wage kaum, in die Richtung zu schauen, aus der die Männerstimmen näher kommen. Es sind die Grenzposten, die regelmäßig den Strand kontrollieren und nach verdächtigen Dingen suchen. Wenn sie einen Hund dabeihaben, werden sie uns finden, dann ist alles bereits hier zu Ende.

      Die Männer sprechen leise, verstehen kann ich sie nicht. Ein unruhiges, flackerndes Licht huscht durch die Zweige, kommt auf uns zu. Sie durchsuchen mit Taschenlampen das Gebüsch am Strand. Andreas drückt sich an mich. Das Licht tanzt vor unseren Augen, streift uns beinahe.

      Dann erlischt es wieder. Die Männer bleiben stehen. Kein Hund, ein Glück.

      Ich höre ein Räuspern. Wieso gehen sie nicht weiter? Mein Herz rast so stark, dass ich fürchte, sie könnten es hören. Wie in der Geschichte von Edgar Allan Poe.

      Ein Licht glimmt auf, der Ausschnitt eines Gesichts im schwachen Lichtschein, dann ein zweites Licht. Zigaretten. Geruch nach Rauch, ganz leicht nur. Die beiden Posten gehen langsam weiter den Strand hinunter.

      »Oh Mann«, flüstert Andreas neben mir. »Schwein gehabt.«

      Der Wind ist kühl, ich friere. Wie soll es erst im Wasser sein? Vorhin haben wir uns mit Vaseline eingerieben und über zehn Tuben verbraucht. Ulrich hat mir den Tipp gegeben, so viel wie möglich aufzutragen. Im Wasser verliert der Körper viermal so schnell Wärme wie an der Luft. Wir müssen schnell schwimmen, um warm zu bleiben. Wir müssen das Gleichgewicht halten zwischen Wärmeerzeugung und Wärmeverlust, würde unser Physiklehrer Herr Kowalski sagen.

      Die Vaselinetuben habe ich in der Drogerie gekauft, immer nur zwei auf einmal, damit es nicht auffiel. Doch beim letzten Mal hat die Verkäuferin so komisch geguckt, dass ich Schiss bekommen habe. Noch mal bin ich nicht hin. Durch die Vaseline wird die Wärme in unserem Körper bleiben. Unter dem Neoprenanzug kann man nicht viel anziehen, er ist so eng. Ich habe meinen Badeanzug, ein kurzes Shirt und eine Damenstrumpfhose an. Sie hat schon Laufmaschen, daher wird Mutti nicht sauer sein, dass ich sie einfach aus ihrem Schrank genommen habe.

      Was Ulrich wohl sagen würde, wenn er mich jetzt sehen könnte? Hoffentlich hat er uns nicht verraten.

      Die leeren Vaselinetuben sind nun mit unseren Taschen und unseren Klamotten vergraben. Irgendwann wird sie jemand finden und Alarm auslösen, aber nicht heute Nacht. Und morgen um diese Zeit sind wir vielleicht schon auf Fehmarn.

      Die Suchscheinwerfer streifen uns immer wieder und tauchen den Strand in helles Licht. Zwischendurch ist es dunkel, auch der Mond ist nicht mehr zu sehen.

      Andreas raschelt neben mir. Ein letztes Mal kontrolliert er, ob alles gut verpackt ist. Er hat eine Tasche dabei, die er an seinem Körper befestigt. Vier Tafeln Blockschokolade, Sachsen-Jensi wäre sicher neidisch. Mit dem Röhrchen Schmerz­tabletten könnte er weniger anfangen, auch das wasserfeste Klebeband würde ihn nicht interessieren. Und er würde niemals darauf kommen, wofür wir die Nylonschnur brauchen.

      »Wickle die Tüte fester um die Schokolade und das Klebeband«, sage ich leise. Das Salzwasser darf nicht eindringen, sonst geht alles kaputt.

      »Ja, klar«, murmelt Andreas und zieht den Reißverschluss der Tasche zu. Er tastet über die Halsmanschette und über die schwarze Kapuze seines Neoprenanzugs, unter der seine blonden Locken verschwunden sind. Er bindet sich den Bleigürtel um. Die Taucherbrille hängt um seinen Hals, Schnorchel und Flossen hat er in der Hand. Er wirkt unheimlich, düster und entschlossen, wie aus einem James-Bond-Film.

      Abgesehen von meiner dunkelblauen Badekappe, die ich mir nun überstreife, sehe ich kaum anders aus. An meinem Neoprenanzug gibt es keine Kapuze, deswegen brauche ich eine Kappe. Sie reduziert den Wasserwiderstand und schützt vor Kälte. Den Anzug habe ich mir von Frank geborgt. Er hat mir auch seinen Kompass geliehen, den ich mir an mein linkes Handgelenk gebunden habe.

      »Pass auf, dass deine Ohren richtig bedeckt sind«, sage ich leise.

      Andreas weiß das, aber es schadet nicht, es noch mal zu sagen. Wasser in den Ohren kann schlimme Folgen haben. »Und deine Stirn muss bis zur Brille bedeckt sein, sie ist sehr kälteempfindlich.«

      Ich streife mir die schwarzen Handschuhe über. Meine Hände müssen beim Schwimmen dunkel und unauffällig sein. Dann greife ich nach Schnorchel und Flossen. Wir werden sie erst im Wasser anziehen, über unsere Socken. Die Socken sollen laut Ulrich gegen das Scheuern helfen. Und die schwarzen Handschuhe sollen verhindern, dass meine Hände im Wasser gesehen werden.

      Das grelle Scheinwerferlicht wandert über den Strand, wir warten darauf, dass es endlich ausgeschaltet

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