Robinson.Leva. Mathias Bestle
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Wann immer die Sprache auf den Tod unserer Eltern kam, fühlte ich mich besonders unwohl. Ich hatte das Gefühl, ich sollte um sie trauern, doch nicht einmal auf Fotos kamen sie mir auch nur im Geringsten bekannt vor. Ein Familienalbum war vor ein paar Tagen aus Oslo angekommen, eine Umzugsfirma hatte unsere Wohnung dort geräumt und alle persönlichen Dinge nach Tromsø überstellt. Es anzusehen war frustrierend. Auch Saat als Kind, meine Großmutter und sogar mein eigenes, sehr viel jüngeres Ich waren mir völlig unbekannt. Aus der Zeit nach Oma Majas Tod gab es keine Bilder mehr.
Kapitel 2, Vorwärts
Auf den Tag meiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte ich mich schon lange gefreut. Gleich am Morgen holte mich Saat ab und ich ließ das Zimmer, in dem ich seit der Verlegung von der Intensivstation gelebt hatte, endlich hinter mir. Saats Auto war klein und grau, was mich überraschte, ich hätte ihm einen auffälligen, lauten Wagen zugetraut. Während der Fahrt freute ich mich wie ein kleines Kind über all die neuen Eindrücke. Wir fuhren mitten durch die Stadt, damit ich viel zu sehen bekam - bunte Holzhäuser, belebte Plätze, unterirdische Kreisverkehre und graue Betonklötze. Was diese Stadt wirklich zu einer Besonderheit machte, war ihre Lage. Einerseits lag das Zentrum umschlossen von zwei Meeresarmen auf einer Insel, während sich zu allen Seiten hin Berge und Hügel erstreckten. Und andererseits - und vor allem – befand sie sich fast 350 Kilometer nördlich des Polarkreises. Saat wirkte seltsam zufrieden, als er mir davon erzählte. Im Sommer war die Sonne 24 Stunden am Tag zu sehen und wanderte wie ein Uhrzeiger immer und immer wieder um die Stadt herum. Im Winter schaffte sie es nicht einmal über den Horizont hinauf.
Wir verließen die Insel über eine imposante Brücke, die bestimmt einen Kilometer lang war und so hoch anstieg, dass Schiffe unter ihr durchfahren konnten. Auf dem Festland empfing uns ein mächtiges, dreieckiges Gebäude, die Eismeerkathedrale, wie Saat mir erklärte.
Nach einiger Zeit kamen wir in ein locker bebautes Vorstadtviertel und steuerten auf ein kleines Holzhaus zu.
„Das ist es!“, verkündete Saat mit einer so weiten Handbewegung, dass er an die Windschutzscheibe stieß. Mir war bereits aufgefallen, dass er einen Hang zu Theatralik hatte.
„Sieht nett aus“, sagte ich. „Sehr blau.“
„Passend zu meinen Augen...", blinzelte er.
„Sind wir ein wenig eitel?“
Er lachte. „Lass dir etwas Neues einfallen, Brüderchen.“
Er stieg aus dem Wagen, holte den Rollstuhl aus dem Kofferraum und trug ihn ins Haus.
„Halt! Den brauche ich hier!“, protestierte ich.
„Schon gut, ich trage dich“, sagte er. „Über die Schwelle. Prinzessin.“
„Du bist doof", maulte ich, während er mich hochhob. Das Getragenwerden war mir ohnehin so peinlich.
„Hausführung!“, verkündete er, nachdem er mich im Rollstuhl abgesetzt hatte. Er zeigte mir die Küche und das Wohnzimmer und ich murmelte etwas von schön und gemütlich. Dann schleppte er mich die Treppe hinauf. Oben waren das Badezimmer und die Sauna - die er nie benutzte, er konnte Hitze nicht ausstehen – und unsere beiden Zimmer. Meines war ziemlich klein, hatte aber ein großes Fenster, durch das ich auf den Fjord hinab sehen konnte.
Saat erklärte mir, wo er meine Sachen verstaut hatte. Er brauchte nicht lange dafür, ich besaß offenbar nicht viel. Als Willkommensgeschenk überreichte er mir ein Handy mit blauer Schleife. „Ich kann ja nicht riskieren, dass du mir verloren gehst", grinste er. Dann ließ er mich allein, um uns etwas zu Essen zu machen.
Ich zupfte die Schleife ab, schaltete das Handy ein und musste lachen. Er hatte meine eigene Nummer unter Werbinich eingespeichert und seine unter Tollerbruder.
Ich begann mich durchs Zimmer zu schieben und meine Sachen genauer zu untersuchen. Von ein paar wenigen Filmen und Büchern kannte ich Thema und Handlung, auch wenn ich natürlich keine Ahnung hatte, wann oder wo ich sie gelesen oder gesehen hatte. Bei den meisten jedoch erkannte ich noch nicht einmal die Titel. Das fand ich seltsam. Hatte ich so viele von ihnen nur besessen, ohne sie jemals auch nur genauer anzusehen?
So bleiben würde das jedenfalls nicht.
In der nächsten Zeit war ich oft alleine zu Hause. Saat musste jeden Tag, sogar am Wochenende, zur Universität fahren. Er studierte Informatik und hatte durch all die Zeit, die er bei mir im Krankenhaus verbracht hatte, viel nachzuholen. Das war soweit kein Problem, er stellte mir immer Unmengen von Essen aufs Zimmer und ich hatte meine Bücher. Aber ich fühlte mich gerade in den ersten paar Tagen oft einsam. Umsomehr freute ich mich, wenn er nach Hause kam und wir Zeit miteinander verbrachten. Wir blödelten dann viel und vermieden ernsthafte Gespräche. Manchmal saß ich einfach neben ihm in der Küche und sah ihm beim Kochen zu. Er kochte wahnsinnig gut und auffällig proteinreich. Woher er seine Kraft hatte, wusste ich inzwischen auch. Viermal pro Woche ging er zum Schwimmtraining. Er schwärmte mir regelmäßig davon vor und betonte jedes Mal, dass er mich dorthin mitnehmen würde, sobald ich wieder fit sei. „Du bist ja bloß Haut und Knochen!“
Die gelegentlichen Ausflüge ins Krankenhaus waren sehr viel weniger schrecklich, als ich befürchtet hatte. Manchmal freute ich mich sogar richtig darauf, etwa als ich meine Krücken bekam. Endlich war ich frei!
Zumindest ein bisschen.
Eigentlich recht wenig sogar. Ich konnte mich nicht kräftig genug abstützen, um über die Treppe zu gelangen, meine verletzten Arme taten noch zu sehr weh. So musste ich mich nach wie vor mit roten Ohren von Saat auf und ab tragen lassen, und saß, wann immer er nicht da war, im ersten Stock fest. Im Erdgeschoß zu sein hätte ich mir viel erträglicher vorgestellt, doch oben war die Toilette. Das frustrierte mich von Tag zu Tag mehr, bis ich irgendwann die Krücken einfach die Treppe hinab warf und ihnen Stufe für Stufe hinterherkroch. Stunden später kam ich als strahlender Held unten an. Das Zusammensetzen der Krückenteile dauerte weniger als zehn Minuten und ich humpelte fröhlich zur Haustür hinaus. Meine Wanderung endete in unserem Vorgarten, wo ich mich ins Gras setzte und die Spätsommersonne genoss. Bis Saat nach Hause kam, war ich leicht zerkratzt aber bester Laune wieder auf meinem Zimmer.
Ein paar Tage später verkündete ich ihm, nun bereit für die Schule zu sein.
„Hast du Fieber?“, fragte er.
„Ich meine das ernst!“, protestierte ich und schob seine Hand von meiner Stirn. „Mir ist langweilig!“
Er lachte. „Und wie stellst du dir das vor, mit den Krücken?“
„Ich habe geübt, ich komme damit schon richtig weit. Seit gestern schaffe ich es sogar über die Treppe!“
„Was heißt richtig weit? Von der Küche ins Wohnzimmer?“
„Nein, die Straße entlang und in der Nachbarschaft umher.“
„So?