Verloren. Josef Rack
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Sie gehen aber auch davon aus, dass der Junge seine richtigen Eltern vergisst.
Andrej muss tatsächlich schon wieder am Montag zum Dienst.
Für Olga beginnt jetzt ein neues Leben.
Das Haus, das sie bewohnen, hat einen großen Garten. Es liegt ganz oben am Rande der Stadt, anschließend geht es weiter den Berg hinauf Richtung Budakesi. Hinter ihnen beginnen die Felder. So sind sie ganz abgeschieden. Sie kann sich ganz „ihrem Sohn“ widmen. Niemand ist da, der neugierige Fragen stellt.
Morgens gibt es ein reichhaltiges Frühstück. Schön gedeckter Tisch mit Tischtuch, Servietten, schönem Geschirr. Für Toni ist das alles neu und ungewohnt, ebenso dies große prächtige Haus. Er hat bis jetzt nur Bescheideneres gesehen. So viel Neues gibt’s da zu entdecken. Olga ist den ganzen Tag um ihn herum. Jeden Wunsch versucht sie zu erfüllen. Olga blüht auf. Ein Traum ist wahr geworden. Für sie hatte alles Bangen und Alleinsein ein Ende.
Der Krieg ging vorüber, ohne dass Andrej etwas zugestoßen war. Das waren schlimme Jahre gewesen. Gott sei Dank lebte sie damals bei seinem Vater; ihre Eltern wohnten auch nicht weit entfernt.
Nun freut sie sich schon auf den Frühling und auf wärmere, längere Tage. Mit Toni beginnt ein neues Leben.
Sie richteten ihm ein eigenes Zimmer ein, von dem er in den Garten und auf die Stadt schauen kann.
Direkt unter seinem Zimmer bauen sie einen großen Schneemann. Als Hut dient ein alter Kochtopf. Ein Stück Holz als Nase, zwei Steine als Augen und kleine Stücke Kohle als Mund - der nach oben lacht zu seinem Fenster. Wenn er dann morgens aufsteht, schaut er zuerst nach seinem Schneemann. Er hat immer Sorge, dass er über Nacht wegläuft.
Neue, dicke Kleidungsstücke ermöglichen auch, längere Zeit draußen zu bleiben. Bisher hatte er nicht solche mollige Sachen, da fror es ihn oft. Sogar Handschuhe bekommt er. Das alles und die viele Zeit, die Olga mit ihm verbringen kann, lassen ihn wieder ganz ausgelassen und sogar fröhlich werden. Als sie dann auch noch von einem freundlichen Nachbarn einen Schlitten geschenkt bekommen, ist er überglücklich. Schlitten gefahren ist er auch noch nie. Zuerst traut er sich gar nicht, den Hang bei ihnen hinunterzufahren. Olga zieht ihn dann ein Stück hinter sich her. Das war auch schön. Erst als Olga sich dann selbst mit ihm draufsetzt, ihn vorne zwischen ihre Beine nimmt und festhält, traut er sich einen kleinen Berg hinunterzufahren. Aber er wird immer mutiger. Am nächsten Tag versucht er es schon alleine. Dann gibt es kein Halten mehr.
Toni will seinen Schneemann mit auf den Schlitten nehmen. Dass das nicht geht, will er nicht glauben. Da kommt Olga auf eine Idee: „Wir bauen ein Schneemann-Kind, das setzen wir auf deinen Schlitten, dann kannst du mit ihm hinunter fahren.“
Gesagt, getan. Mit großem Eifer macht er mit.
Toni hinten drauf: „Ich halte dich, du brauchst keine Angst zu haben.“ Und auf geht’s. Aber leider nicht lange. Vor lauter sich selbst Festhalten rutscht der Schneemann vom Schlitten herunter. Toni will dies verhindern und das Ergebnis ist natürlich, dass sie in einen hohen Schneeberg kippen.
Olga eilt so schnell es geht hinterher, um zu helfen. Toni schreit schon wie am Spieß. Dabei rutscht Olga aus und fällt auch noch dazu. Sie zieht Toni, der den Mund voll Schnee hat, aus der Schneewehe. Es ist ja nichts passiert, es ist eben der Schreck. Als er dann sieht, dass sein Schneemännchen kaputt ist, heult er aufs Neue los.
„Nie mehr werde ich Schlitten fahren.“ Das hat er aber am nächsten Tag schon wieder vergessen.
So vergehen glückliche Wochen.
Andrej bemüht sich, jetzt öfter nach Hause zu kommen. Er will ja, dass Toni sich auch an ihn, den neuen „Vater“, schnell gewöhnen soll.
Der Frühling hält endlich Einzug.
Da ihr Grundstück an einem Osthang liegt, hält sich hier der Schnee noch hartnäckig. Unten in der Stadt ist hingegen nichts mehr davon zu sehen. Dort liegt jetzt dreckiger Matsch. Aber letztendlich - der Winter verliert. Von ihrem Schneemann im Garten ist zum Schluss nur noch ein verrußtes Häufchen übrig geblieben.
Toni weint: „komm bitte nächstes Jahr wieder.“
Im Garten bekommen die Bäume Knospen. Das Gras sprießt schon sachte. Schneeglöckchen lugen schon länger zwischen den Schneeresten hervor.
Wenn Andrej heimkommt, ist er jedes Mal glücklich, mehr als sonst. Er bemerkt jetzt erst, wie einsam Olga vorher war.
Sie ist jetzt richtig aufgeblüht. Eine wunderschöne Frau war sie schon immer, aber jetzt geht ein richtiges Strahlen von ihr aus. ER hat die schönste Frau der Welt.
Hat ER sie überhaupt verdient (?).
Als er so etwas zu ihr sagt, nimmt sie ihn nur zärtlich in die Arme und flüstert ihm ins Ohr: „Oh moj glupyj, malenjkij medwezhonok.“ (Oh du mein kleines Bärchen)
Olgas und auch Andrejs Leidenschaft war ja die Musik.
Wenn sie daheim war, spielte sie in jeder freien Minute.
Hatte sie vorher schwere sentimentale Lieder vorgezogen - in Gedanken oft abwesend – spielt sie jetzt viel beschwingter. Ihr befreites Singen in ihrem samtweichen Mezzosopran füllt die Räume aus wie hallender Glockenschlag.
Toni sitzt neben ihr auf dem Bänkchen und lehnt den Kopf an ihre Seite. Ihre Stimme und die Instrumenten-Töne durchdringen ihn. So ein Gefühl hat er noch nie erlebt. Die Musik fließt in ihn hinein.
Sie muntert ihn auf mitzusummen. Das sind in erster Linie russische Volkslieder. Bei einfachen Liedern traut er es sich sogar schon. So lernt er gleichzeitig leicht russisch. Ebenso war es nur eine Frage der Zeit, bis er seine Hand auf ihre legte.
Ja, und eines Tages kommt Andrej gerade freudig die Treppen herauf, steckt den Kopf zur Zimmertüre hinein und hat schon auf den Lippen: „Na, werde ich heute nicht an der Haustüre empfangen?“ - da wird er von zwei Engelsstimmen mit vierhändiger Klavierbegleitung begrüßt.
Es geht so schnell, darauf war er gar nicht gefasst:
Mit Tränen in den Augen, nichts hatte ihn bisher so sehr gerührt, steht er da wie erstarrt - dieser Moment soll nie enden. Was für ein Glück war in ihr Heim eingekehrt. Die Töne füllen den Raum, die Luft vibriert. Es durchrieselt ihn, er kann nicht dagegen ankämpfen. Die großen hohen Räume der alten Villa begünstigen die Wirkung. Wahrscheinlich würde dieser Effekt nur noch in einem hohen Kirchenschiff gesteigert werden können.
Olga und Toni bemerken ihn gar nicht. Andrej bleibt nichts anderes übrig, als reglos unter der Türe stehen zu bleiben.
Die Zwei haben sich gefunden. Fast wird er ein bisschen eifersüchtig.
Saß Olga früher vor dem Fenster und wartete ungeduldig auf ihn, empfing ihn dann stürmisch an der Haustüre, so bemerkt sie ihn jetzt gar nicht. Er wird sich damit abfinden müssen, dass sie jetzt zu Dritt sind und dass diese beiden jetzt viel mehr Zeit miteinander verbringen.
Sie hatten beide ja Sorge gehabt, ob sich Toni hier einleben - ob er sie akzeptieren würde. Es ließ sich aber sehr gut an.
Wohl haben sie am Anfang nachts an der angelehnten Türe gelauscht. Man vernahm ab und zu ein Wimmern, auch mal ein Weinen. Olga setzte