Verloren. Josef Rack

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Verloren - Josef Rack

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Schreibtisch, die anderen dahinter.

      Die Etagenaufsicht legt ihren Bericht ab.

      Die Rektorin, ihrer Macht bewusst, macht mit aller Schärfe deutlich, dass dieses Verhalten inakzeptabel ist, die staatliche Förderung der Jugend nur durch bedingungslosen Gehorsam funktioniert und so die gewünschten Früchte tragen kann. Jegliches Abweichen und Unterlaufen der geforderten Disziplin untergräbt die Autorität und stellt die Zielsetzung in Frage, ist unkollegial und kontraproduktiv.

      Die höchstlöblichen Fördermittel verpuffen ins Leere, es ist praktisch eine Vernichtung der Staatsmittel. Jede Abweichung wird bestraft. Ein Beschuldigter erhält die Möglichkeit, durch freiwillige Zusatzdienste entstandenen Schaden wieder gutzumachen und so durch sein zukünftiges, vorbildliches Verhalten für die anderen ein gutes Beispiel abzugeben.

      Der Schüler Janos wird eine Woche alle sanitären Anlagen in seiner Etage säubern, an anstehenden „freiwilligen“ Aufgaben wird er sich vier Wochen lang beteiligen.

      Ein Eintrag ins Schwarze Buch erfolgt, sowie eine Benachrichtigung seiner Eltern.

      Mitverantwortlich sind aber auch solche, damit wendet sie sich an die Zimmergenossen, die durch ihr Wegsehen und Dulden eines Fehlverhaltens dies fördern. Ihre Pflicht ist, jedes destruktive Verhalten sofort zu melden.

      (Also, das ist ihr Vergehen).

      Sie erhalten einen schriftlichen Verweis.

      Es wird erwartet, dass auch ihr zukünftiges Verhalten vorbildlich ist.

      „Abtreten!“

      Wie begossene Pudel schleichen sie davon.

      Der Unterricht an diesem Tag kostet sie sehr viel Anstrengung.

      Abends auf ihrem Zimmer herrscht natürlich eine gedrückte Stimmung. Irgendwelche Gedanken, dem Schuldigen eins auszuwischen, stehen außerhalb jeder Möglichkeit, dies würde schlimmste Folgen haben. Janos übersieht sie künftig beflissentlich, was ihnen aber nur recht ist. In den nächsten Wochen ist Janos aber sowieso im Zimmer kaum bemerkbar.

      Durch seine zusätzlichen „freiwilligen“ Dienste ist er froh, wenn der Tag zu Ende ist und er so schnell wie möglich ins Bett kommt. Er tut ihnen sogar langsam leid.

      Es gibt aber auch schöne Momente.

      Je nach Fortschritt ihrer Entwicklung werden spezielle Arbeitsgruppen gebildet, die dann für bestimmte Auftritte und Vorführungen von Musik- oder Gesangstücken proben. Zu diesen Proben kommt dann auch Olga, sie macht bei den Auftritten oft selbst aktiv mit. Dies sind Zeiten, da macht es Toni besonderen Spaß. Nichts von lästiger Mühe, hier ist er motiviert.

      Das Burgviertel ist wie eine abgeschlossene Insel.

      Entrückt vom Großstadtlärm und –treiben herrscht hier ein eigenes Leben. Sind die jungen Menschen hier durchgegangen, warten auf sie höhere Aufgaben in diversen Universitäten. Mit der Zeit ist sich jeder bewusst, dass er hier die erste wichtige Stufe durchwandert, die manchem eine große Karriere bringen kann.

      In den wärmeren Jahreszeiten stehen die Fenster offen.

      Musik und Gesänge jeglicher Art dringen hinaus und wetteifern mit den Stimmen der Vögel. Diejenigen, die gerade Freizeit haben, lassen sich auf den vor den Gebäuden stehenden Bänken nieder.

      Toni sitzt oft dort, meistens hat er Übungsblätter dabei und „büffelt“. Aber es kommt auch vor, dass er die Augen schließt. Die Töne, die aus den Fenstern kommen, saugt er auf wie ein Schwamm. Immer mehr zieht es ihn dahin, wo die Mädchen ihren Unterricht haben.

      Wenn er die Augen zu hat, fühlt er sich in die Zeit zurück versetzt, wo ihm Olga etwas vorgesungen hat. Da ist in ihm die Liebe zur Musik entstanden.

      Diese Mädchen haben so schöne Stimmen und die romantischen Texte tun ein Übriges. Das Verlangen, so ein Mädchen in den Armen zu halten und selbst zu erleben, was der Text verspricht, wird ihm zum Traum. Wie gerne würde er in warmer Abendsonne mit einem Mädchen auf einer Bank sitzen und die Zeit anhalten. Das ist aber undenkbar. Mädchen und Jungen dürfen sich nicht zusammen aufhalten, schon gar nicht, wenn sie nur zu zweit sind.

      Die Bänke sind übrigens auch farblich gekennzeichnet: rot für die Mädchen, gelb für die Jungen.

      So sitzen die Jungen auf „ihren“ Bänken und etwas entfernt davon die Mädchen. Alle haben etwas zum Lernen dabei. Aber die Blätter bleiben auch öfter unbeachtet, umso mehr wandern die Augen und die Gedanken zu den nahen und doch unerreichbar entfernten Zielen ihrer Wünsche.

      Es ist schon gewagt, beim Kommen oder Gehen zu dicht an einer bestimmten Bank, auf der ein Mädchen sitzt, vorbeizugehen oder gar an der Stelle den Schritt zu verlangsamen. Von stehen bleiben oder gar ein Wort zu wechseln, ganz zu schweigen.

      Immer ist irgendwo eine Aufsichtsperson unterwegs.

      Auch Schüler sind für diese Aufsicht zugeteilt. Solche Dienste sind im Allgemeinen sehr unbeliebt. Man steckt in der Zwickmühle. Drückt die Aufsicht ein Auge zu oder schreitet ein, wenn etwas Ungehöriges bemerkt wird?

      Oder meldet es gar - was in der Regel verlangt wird?

      Alles unterliegt einer permanenten Kontrolle, keiner kann dem anderen trauen. Aber bekanntlich macht Not ja erfinderisch.

      Toni grübelt, wie er es anstellen kann, mit einem Mädchen in Kontakt zu treten.

      Es bleibt nicht aus, dass ein Mädchen einer Gruppe, die für einen bestimmten Gesangsabend übt, sein besonderes Interesse weckt.

      In der Gruppenaufstellung hat er es so eingerichtet, dass er schräg hinter ihr steht. Das kastanienbraune lange Haar weht im Lufthauch des geöffneten Fensters leicht hin und her. Ein zarter Duft von Rosenöl umschmeichelt sie. Toni vergisst oft, in seine Noten zu sehen. Er neigt den Kopf vor, eine Haarlocke wischt wie eine Feder über seine Nase, den Duft von Rosen saugt er ein. Es benebelt ihn richtig: Die zarte Haut ihrer Wangen, der schöne sanft geschwungene lange Hals, der Nacken mit kurzen Flaumhaaren, die kleinen Ohren. Wenn sie sich etwas auf die Seite dreht, sieht er ihre Stupsnase. ‚Ich glaube, ich werde Maler’ denkt Toni. Manchmal bekommt Toni ein schlechtes Gewissen, da es doch eigentlich unanständig ist, jemanden so intensiv zu studieren, ohne dass derjenige etwas davon weiß. Aber er will ihr ja nichts Böses. Das, was er ihr zu sagen hätte, wenn er es sich trauen könnte, würde ihr vielleicht gefallen. Also kann sie doch auch nichts dagegen haben. Was würde er ihr denn sagen? ‚Dass sie eine herrliche Stimme hat’ ‚Dass sie so wunderschön ist?’ ‚Dass sie so schöne Haare hat?’ ‚So schöne Wangen, eine niedliche Stupsnase?’ Oder gar: ‚Dass sie so einen wunderschönen verlockenden Mund hat?’

      Dann denkt er wieder: ‚Wenn die das wüsste?’

      Am liebsten würde er selbst aufhören zu singen, nur um ihrer Stimme besser lauschen zu können. Das Mädchen kommt ihm vor wie ein süßer Traum. So nah und doch unerreichbar.

      So viel er weiß, ist sie schon fünfzehn, zwei Klassen über ihm und heißt Ildiko. Sie wird ihn noch gar nicht bemerkt haben, bestimmt ist er in ihren Augen noch ein kleiner Bub mit seinen 13 Jahren. Wenn er dann singt, strengt er sich ganz besonders an, er will ihr ja imponieren.

      Das Schöne an den abendlichen Proben ist, dass die Schüler - und natürlich auch die Schülerinnen - einzeln bzw. mit ihrem direkten Nachbarn den Weg zurückgehen

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