Verloren. Josef Rack

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Verloren - Josef Rack

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von dem auch die Länder betroffen waren, in denen die deutschen Neusiedler ihre neue Heimat gefunden hatten, veränderte die Einstellung der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Deutschen.

      Aus Freunden wurden plötzlich Feinde, die man loshaben wollte.

      So wie damals eine Völkerwanderung in Richtung Osten stattfand, erfolgte jetzt die Umkehrung. Ort für Ort wurde „gesäubert“.

      Die Frage war aber: Wer war „Deutscher“ – das musste erstmals festgestellt werden.

      Viele „Deutsche“ hatten auch, um bestimmte akademische Berufe oder ein Amt im Staatsdienst ausüben zu können oder aus sonstigen Gründen, ihre Namen in einen ungarischen umschreiben lassen.

      Bereits bei der Volksbefragung zu Kriegs-Anfang mussten sich die Ungarndeutschen entscheiden, ob sie sich zu der ungarischen oder deutschen Staatsangehörigkeit bekennen wollten. Niemand hatte aber eine Ahnung, welche Auswirkungen dies einmal haben würde.

      Die politischen Veränderungen wirkten sich verheerend aus: Solange die deutsche Armee siegreich war, waren viele Ungarndeutsche gern „Deutsche“. Viele, auch richtige Ungaren, dienten in der deutschen Armee, freiwillig oder auch zwangsrekrutiert. Mit den Niederlagen fand aber auch ein Gesinnungswandel statt.

      Die bekennenden „Deutschen“ wurden in Listen – in Transportlisten - eingetragen.

      Wieder wusste man nicht, was mit ihnen passieren würde.

      Die sich zur ungarischen Nationalität bekannten, also die „Ungarn“ blieben in Ungarn. Es wurden aber alle enteignet.

      So entwickelte sich ein richtiges Katz- und Mausspiel:

      Die Leute versuchten auf verschiedene Weise und mit den raffiniertesten Tricks, ihre wertvollsten Gegenstände vor dem Zugriff zu verstecken. Manches wanderte nachts unter einen Strohhaufen, unter Sägespäne, Misthaufen oder man vergrub es in der Erde.

      Einzelne Häuser wurden schon schrittweise von Fremden bezogen. Die rechtmäßigen Besitzer mussten ausziehen und schauen, wo sie unterkamen. Dies konnte in Scheunen, Ställen, bei der Verwandtschaft oder auch in den Weinkellern sein, die jeder hatte.

      Gefährlich war aber das Verstecken von Gegenständen, alles war ja schon zu Volkseigentum erklärt. Überall Spitzel und Sympathisanten der Kommunisten.

      Letztendlich waren aber die Bemühungen, sich den Enteignungen zu widersetzen, zwecklos. So verteilten sich andere Entwurzelte, auch Enteignete aus den Nachbarländern, auf die verlassenen Besitztümer – im Ungewissen, ob das für immer war und deshalb ohne besonderes Engagement.

      Die zurückbleibenden Deutschen mussten so mit ansehen, wie ihr bescheidener Besitz größtenteils verwahrloste und verfiel.

      Alles „Deutsche“ wurde auf jeden Fall untersagt.

      Letztendlich hatten diejenigen Glück, die sich für „deutsch“ entschieden hatten – das zeigte sich aber erst nach vielen Jahren, nachdem sie in ihrer „neuen alten“ Heimat integriert waren und es ihnen besser ging.

      Von „Glück“ zu reden, betraf aber nicht die Alten, von denen sich viele nie mit dem Verlust ihrer Heimat abfinden konnten.

      Kapitel 3

      Die Vertreibung beginnt

      1945. Das traurigste Weihnachtfest aller Zeiten.

      Vor zwei Tagen hatte auch hier das Schicksal zugeschlagen, jetzt war dieser Landstrich dran: Die Deutschen werden ausgesiedelt – (schönes Wort)

      So voll war die Kirche noch nie. In dem 4000-Seelen-Ort lebten über 3000 Deutsche – alle katholisch und die meisten mussten fort. Viele verharrten vor der Kirche, damit sie auch noch einen Segen vom Pfarrer erhielten.

      Neues Jahr 1946.

      Eisiger, harter und schneereicher Winter.

      Mit dem Notwendigsten, was jeder so tragen kann, geht es ins Ungewisse.

      Zu Fuß machen sich die Menschen auf den Weg durch Schnee in eisiger Kälte - Richtung Budapest. Angetrieben auch von ungarischer Miliz.

      Manche haben das Glück, mit einem Pferdefuhrwerk mitfahren zu können oder wenigstens ihre Habseligkeiten auf einen Wagen aufladen zu dürfen.

      Teilweise werden auch manche, vorrangig Kranke, mit Militärlastwagen oder Sanitätswagen transportiert.

      Ein elender Zug windet sich durch den Schnee.

      Die letzten Blicke zurück - Tränen in den Augen. Im trüben Wintertag, die graue Silhouette - der Kirchturm - zum allerletzten Mal. Viele beten, bekreuzigen sich. Sie spüren, das ist für immer. Sie denken an die Angehörigen, die sie auf dem Friedhof zurücklassen müssen. Das ist im Moment das Schlimmste.

      Nicht einmal Blumen konnten sie ihnen zum Abschied hinstellen - jetzt im Winter. Mancher hatte noch zum Abschied einen Rosenkranz an das Kreuz eines Angehörigen gehängt.

      Most megj tovab - Auf, weiter geht’s

      Kleine Babys, unkenntlich eingewickelt in Tragetücher, die sie vor der Kälte schützten sollen, um den Hals gehängt, wimmern, weinen… Hunger… stillen? Trocken legen? – wie denn?!

      Immer schauen, dass man zusammenbleibt…

      Wo ist die Oma? … Wo ist denn nun wieder der Toni?

      Wo ist der Johann? - So geht es unterwegs.

      Der Tag vergeht. Müdigkeit. Die Beine schmerzen. Die Finger frieren. Die Nase läuft.

      Schon wieder austreten – wartet auf mich…

      Die dahinter Nachkommenden strömen auf der ausgetretenen Schneespur vorbei.

      Militärfahrzeuge kommen hupend von hinten, Soldaten fluchen.

      Menschen quälen sich seitlich in tieferen Schnee, um auszuweichen.

      Platz da – wir sind die Sieger! Mancher fällt in den zugewehten Straßengraben. Mühsam wieder herauskrabbeln, weiter geht’s. Ja niemanden verlieren!

      Mutter, ich hab so einen Hunger…

      In Decken eingehüllt, um sich vor dem beißenden Schneewind zu schützen, bewegt sich der gesichtslose Zug.

      Welches sind meine Angehörigen? Alle sehen gleich aus…

      Aus anderen Orten stoßen weitere Menschenschlangen dazu und vermischen sich.

      Es wird immer unübersichtlicher.

      Der Strom wird immer größer. Manches Gepäckbündel bleibt am Rande liegen. Ist es zu schwer geworden? Verloren?

      Viel wichtiger ist, dass man seine Angehörigen nicht verliert, dass alle zusammenbleiben.

      Eine Oma mit den sowieso kranken Beinen kommt nur langsam und mit Unterstützung ihres Sohnes weiter – sein Gepäck muss er auch schleppen und sein jüngstes Kind hängt an seinem Hosenbein.

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