Afghanistan Horsegirl. Norbert F. Schaaf
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Читать онлайн книгу Afghanistan Horsegirl - Norbert F. Schaaf страница 6
Die Stunden vergingen und ihr Weg führte immer weiter durch dieses Labyrinth aus Fels und Steilwand, aus Schlucht und Abgrund.
Von irgendwoher ertönte ein lauter Pfiff.
„Was war das?“ fragte der Rotblonde.
„Nur ein Tier“, antwortete der Begleiter.
„In dieser Einöde?“
„Ja. Hier oben lebt das Marmot, wie der Nager hierzulande heißt, das langschwänzige Murmeltier. Es hat wirklich einen langen, fetten Schwanz. Besonders zum Ende des Sommers. Hier oben ist es nicht überall vollkommen kahl.“ Der junge Afghane redete im Plauderton, er kicherte sogar dabei, es vermochte ihm bei dem anstrengenden Bergwandern den Atem nicht zu verschlagen.
Plötzlich kamen sie zu einem so langen dunklen, engen Tunnel, dass sie dachten, er würde nie ein Ende nehmen, und in dem man unsichtbare Berggeister an den Wänden entlang huschen zu hören glaubte.
Schwer atmend bewältigten sie wieder einen jähen, schwierigen Anstieg, und der schmale Felsabsatz, den sie nicht mehr lange vor Einbruch der Dämmerung erreichten und von dem sie endlich weit unten ein Tal entdeckten, war so schmal, dass die Männer mehrmals die Augen schlossen und öffneten, um nicht schwindlig zu werden.
Keiner der Männer hatte während dieser gefahrvollen Stunden Durst oder Hunger verspürt. Jetzt aber, wieder auf halbwegs sicherem Pfad, hatten sie nur den einen Wunsch: zu trinken. Der Afghane entnahm der Seitentasche seines Rucksacks eine Wasserflasche, öffnete sie und reichte sie dem Begleiter mit aufmunterndem Blick. Dieser nahm sie mit kleinem Zögern und trank langsam, Schluck für Schluck, bevor er die halbvolle Flasche zurückreichte.
Plötzlich spürten sie den leichten, kühler gewordenen Wind. Durch die Sträucher, die Krüppelbäume und die Gräser ging ein leichtes Rauschen, das Herannahen der Nacht ankündigend. Schon stiegen Adler mit schnellem Flügelschlag bis zu den Gipfeln der Berge empor, die noch für kurze Zeit vom Abendlicht beschienen waren, bevor sie sich dann rasch verdüstern würden. Der Rotblonde verfolgte mit seinen Blicken die Greifvögel bei der Rückkehr in ihre Nester. Und er dachte daran, dass sie, sein Fahrer und er, die langen Stunden bis zur Morgendämmerung in diesem hohen Gebirge in Düsternis und Kälte verbringen mussten im Schlafsack, der allein sie vor dem eisigen Nachtwind schützen würde.
Der Rotblonde richtete seinen Blick den steilen Berghang entlang nach unten. Dunkelheit hatte sich bereits über das Tal gelegt, klare Konturen waren nicht mehr auszumachen.
„Ist das die Schlucht?“ fragte er.
„Ja.“
„Ich habe keine richtige Erinnerung mehr an sie.“
„Morgen früh, wenn es hell ist, kann man sie deutlich erkennen.“
„Ja“, bestätigte der Rotblonde. „Aber jetzt werden wir erst mal etwas essen. Wie war noch mal dein Name? Er ist mir entfallen, verzeih.“ Dass er ihm entfallen war, wurmte ihn, und es war sicher kein gutes Zeichen.
„Mein Name ist Haschem“, antwortete der junge Mann. „Ich bin Haschem Modh aus Khanabad. Komm, ich helfe dir mit der Trage.“
Der große, schlanke rotblonde Mann mit dem Sommersprossengesicht, das aussah wie sonnen- und windgegerbt, ging in die Knie, streifte die Trageriemen von den Schultern und ließ die schwere Last mit Haschems Hilfe zu Boden gleiten. Sein Hemd war nassgeschwitzt. Sie halfen sich gegenseitig beim Ablegen der Tragelasten.
„Danke“, sagte Haschem. „Und dein Name ist German, ja?“
„Hermann“, entgegnete der Rotblonde, der sich nicht wunderte, dass der andere seinen Rufnamen kannte, „Hermann Karfurt. Aus Deutschland. Also sag nur weiter German zu mir, wie alle anderen.“ Er lehnte seinen Rucksack vorsichtig an einen Felsblock und schnallte den Schlafsack ab. Der Afghane tat es ihm gleich, und die Männer rollten die Schlafsäcke aus. Sie aßen jeder noch eine Kleinigkeit von dem Proviant aus Haschems Rucksack, den er außen neben sich abgestellt hatte, bevor sie sich in die Daunen verkrochen. Die Helligkeit war mit einem Schlag von den Berggipfeln verschwunden und hatte jäher Dunkelheit Raum gegeben.
Die Männer wünschten sich guten Schlaf und eine ruhige Nacht, und keiner von beiden wunderte sich im Geringsten darüber, dass der jeweils andere kein Gebet verrichtete, ja nicht einmal daran zu denken schien.
Rasch waren die Männer, zusätzlich ermüdet von dem beschwerlichen Marsch, eingeschlafen – mit guten Gedanken: An die Frau, die ihm versprochen war, der Afghane, an die Frau, die er noch kennen lernen würde, irgendwann, vielleicht bald, der Deutsche.
Einmal wachte Hermann Karfurt auf, er hatte stark geträumt, an Genaues vermochte er sich nicht zu erinnern, doch es war um eine junge Frau gegangen, sehr anmutig und sehr begehrenswert, aber mit sogleich verschwimmenden Gesichtszügen und weich gezeichneten Körperkonturen. Hermann fragte sich wieder einmal, wie es in einem Land wie diesem überhaupt Liebe geben konnte. Es herrschten strenge Regeln, das Leben war hart, und alles erschien so unveränderbar. Hier der Koran und die Tradition, da die Trennung der Geschlechter und der Status der Frau. Wo hatte da die Liebe ihren Platz? Nie hatte er etwas davon bemerkt. Er geriet ins Grübeln, eine Gedanke überkam ihn: Wäre ich Muslim, hätte ich meine erste Liebe womöglich geheiratet, indem ich sie gekauft hätte, ganz einfach – wenn ich das Geld gehabt hätte. Darüber schlief er wieder ein, eingekuschelt in den Schlafsack, die kleine freie Stelle seines Gesichts empfand die schneidende Kälte.
Er erwachte von dem Geklapper, das Haschem verursachte beim Hantieren mit dem kleinen Samowar, den er zum Teekochen aus seinem Rucksack gezaubert hatte, wie auch den Gaszünder, mit dem er aus bereits gesammelten dürren Zweigen ein kleines Feuer entfachte. Nach nicht allzu langer Zeit sang der Samowar und duftender grüner Tee war zubereitet, den die Männer ebenso genüsslich wie geräuschvoll in sich hinein schlürften. Sie aßen noch etwas Hartbrot und getrocknete Aprikosen aus dem Proviantvorrat, bevor sie ihre Sachen abmarschbereit zusammenpackten.
„Die Schlucht“, sagte Haschem und deutete zu Tal, „jetzt kannst du sie sehen, German.“
Der Rotblonde nahm ein kleines, aber leistungsstarkes Fernglas aus der rechten Brusttasche seines verschossenen großkarierten grauen Popelinhemdes hervor, setzte es an die Augen und drehte die Einstellrädchen zurecht, bis die Ränder der Schlucht sich scharf von der Umgebung abhoben. Er schwenkte das Glas zwei- dreimal hin und her, bevor er innehielt und befriedigt ausatmete.
„Die Trosse?“ fragte Haschem. „Ist sie straff?“
Hermann nickte und reichte das Fernglas weiter.
„Niemand zu sehen“, sagte Haschem.
„Wieso auch?“ erwiderte Hermann. „Wenn die Hängebrücke unpassierbar ist.“
„Das ist sie nicht mehr lange“, sagte Haschem überzeugt. „Ehe die Sonne im Zenit steht, haben wir drei neue Stahlseile gespannt. Und dann sind die Kameraden da und installieren den Steg vollends.“ Er bewegte leicht das Fernglas nach oben. „Schau, sie haben bereits den Maschendraht herbeigeschafft.“
Hermann nahm das Glas. „Gut“, sagte er. „Einen neuen Holzsteg würden sie gleich wieder abfackeln.“
„Oder als Feuerholz rausreißen, ja. Aber der Tiere wegen werden sie den Maschendraht trotzdem wieder mit Holz belegen. Wenn vom nächsten Treibholz noch genug übrig bleibt. So