Afghanistan Horsegirl. Norbert F. Schaaf
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Читать онлайн книгу Afghanistan Horsegirl - Norbert F. Schaaf страница 7
„Wegen mir“, sagte Hermann. „Und wie geht’s nun weiter?“
„Abstieg. Wird eine ziemliche Kraxelei.“
Die Männer halfen sich gegenseitig, ihre Lasten aufzunehmen und schüttelten sie auf den Schultern zurecht.
„Fertig“, sagte Hermann. „Auf geht’s.“
„Abwärts“, sagte Haschem.
Aufrecht, als hätten sie jeder eine Bohnenstange verschluckt, wegen der Gewichte auf der Brust und auf dem Rücken, stiegen sie mit vorsichtigen Schritten den schmalen, steilen Saumpfad hinab. Hermann kam wieder rasch ins Schwitzen.
„Wie schaffst du´s?“ fragte er.
„Recht gut“, antwortete Haschem, der überhaupt nicht schwitzte, obwohl seine Muskeln zuckten von der Anstrengung des steilen Abstiegs.
Immer schroffer und schwieriger ließ sich das Gefälle begehen, bis sie nach zwei Stunden einen großen Felsblock vor der Kante der Schlucht erreichten.
„Halt“, gebot Haschem. „Vielleicht ist schon jemand da. Ich mache den Adlerschrei, um uns anzukündigen.“
„Muss das sein?“
„Sicher ist sicher. Oder willst du wirklich, dass man auf uns schießt – mit dem ganzen Zeug im Rucksack?“
„Nicht mal im Traum“, erwiderte Hermann. „Obwohl gar nichts passieren kann, da wir Sprengmasse und Zündkapseln getrennt tragen.“
„Sicher ist sicher“, bekräftigte Haschem, legte die Hände trichterförmig an den Mund und stieß einen Schrei aus, schrill und scharf wie ein Adlermännchen, das seinen Rivalen warnt, bevor es zum Angriff übergeht.
Nichts rührte sich. Erst als Haschem zum zweiten Mal schrie, erhielt er eine Antwort. Und gleich darauf erschien ein Adlerweibchen und blickte sich im Schwebeflug erstaunt und suchend um. Der Afghane kicherte noch in sich hinein, als sie beim Rand der Schlucht ankamen und ihr Gepäck neben dem Felsen ablegten, an der Stelle, an der das verbliebene Stahlseil angebracht war.
„Schau“, sagte er und wies auf ein Loch im Felsen. „Da ist das andere Seil aus der Verankerung gerissen.“
„Niemand hat Schuld“, konstatierte Hermann nach einem prüfenden Blick. „Der Fels ist abgesprengt worden, nachdem Sickerwasser von oben in den Berg eingedrungen und gefroren ist.“
„Deshalb werden wir ja auch drei neue Trossen verankern. Bist du Fachmann für solche Sachen, German?“
Hermann, der Ex-Pionieroffizier und Brückenbauingenieur, nickte nur. „Bist du Experte im Seilbalancieren, Haschem?“
„Ich werde mich rüberhangeln. Du wirst sehen.“
Sie packten Bohrmaschine und Zubehör aus und gingen an die Arbeit. Nachdem die Ösenhalterung für die Paralleltrosse verankert war, rollten sie die Trommel ab, und Haschem machte sich bereit, die abgrundtiefe Schlucht zunächst mit einer Hanfleine zu überqueren, an der Hermann das erste Stahlseil befestigte.
„Womöglich ist die Verankerung drüben ja noch intakt“, gab er dem Jungen mit auf den Weg.
Ohne zu zaudern hangelte sich Haschem, das Leinenende zwischen den Zähnen, die Kniekehlen über dem schwankenden Stahlseil eingehängt, sich kraftvoll Hand vor Hand vorwärts ziehend, über die mehrere hundert Meter tiefe und fast fünfzig Meter breite Felsenschlucht, deren Steilhänge zu beiden Seiten beinahe lotrecht abfielen.
Hermann ließ die Hanfleine, die er zur Sicherung mit einem Karabinerhaken am Stahlseil eingehängt hatte, durch seine Hände laufen, wobei er Haschem bei seiner stetigen, nie unsicheren Vorwärtsbewegung gedankenvoll mit den Augen verfolgte. An der Art, wie er sich mit zupackenden Händen an dem drei Zentimeter dicken Stahlseil voranzog, erkannte Hermann, dass der junge Mann diesen Drahtseilakt wohl nicht zum ersten Mal vollführte.
Hermann verspürte starken Hunger im Magen und schwere Gedanken im Kopf. Seinem Hungergefühl gab er regelmäßig nach, doch unnütze Gedanken pflegte er sich nicht zu machen. Er nahm sich nicht wichtiger als jeden anderen, obwohl er sich selbst für einen ganz besonderen Menschen hielt, diesen Status freilich jedem anderen ebenfalls zubilligte. Was anderen widerfahren mochte, konnte auch ihm selbst passieren. Wenn andere starben, bei Verkehrsunfällen, bei Raketenangriffen, bei Selbstmordanschlägen, er selbst aber lebte, glaubte er sich dennoch nicht gegen den Tod gefeit. Natürlich vertraute er sich selbst und erwartete selbstverständlich, dass andere ihm ebenfalls trauten, die wiederum ihm gleichermaßen vertrauen durften. Vor allem mussten sich Leute, die zusammenarbeiteten, voll und ganz vertrauen – oder gar nicht. Die Frage war, ob man sich den Menschen immer aussuchen konnte, dem man vertrauen musste. Da blieb oftmals keine Entscheidungsfreiheit, das einerseits. Andererseits gab es da immer die andere Seite, für jedermann. Die andere Seite, das war der Feind, das waren die feindseligen Menschen. Und für jeden waren es stets die anderen, für die einen die Taliban, für die anderen die Besatzungssoldaten, und die Warlords, die Drogenbarone, die Al-Quaida, die Regierungstruppen, die Polizisten, die Paschtunen, Hasaras, Tadschiken, Usbeken, Pamiris und die Zivilisten, Greise, Frauen und Kinder. Alle empfanden andere als Gegner, und man musste froh sein, wenn die anderen sich wenigstens richtig einschätzen ließen, sich berechenbar erwiesen. Heute waren die anderen nicht in Sicht. Da musste man sich jetzt keine Gedanken machen. Da gab es andere Dinge. Hermann, für sich allein und unbeobachtet, erlaubte sich einen kleinen Seufzer.
Er sah Haschem auf der anderen Seite der Schlucht anlangen und sogleich die Hanfleine mit dem Stahlseil daran einholen, das er, Hermann, mit beiden Händen nachführte. Er sah, dass er Haschem vertrauen konnte. Über den Burschen musste er sich keine Gedanken machen, und das Problem mit der Hängebrücke war nicht schwieriger als jede andere Aufgabe. Er wusste, wie man Brücken baute, Brücken jeder erdenklichen Art, er hatte schon viele Brücken gebaut. Brücken jedweder Art und Konstruktion und Größe. Brücken über Flüsse und Täler und Wege, aber auch Brücken von Mensch zu Mensch. Diese Hängebrücke hier sollte die lebenswichtige Verbindung wiederherstellen zwischen den Ackerbauern und Viehzüchtern einer ländlichen Bergregion und den Märkten von Kundus und Faïzabad, auf die Mensch und Tier schon lange verzichten mussten.
Das lose Stahlseil hing aufgrund seines Gewichts tief in der Schlucht durch, doch Haschem hatte es rasch nach oben gezogen und machte sich sofort daran, es in der Öse der intakten Halterung im Fels zu verspleißen. Als er fertig war, gab er Zeichen durch zwei kräftige Schläge auf das Seil, und während er mit der Hanfleine zurückhangelte, begann Hermann mit dem Verankern und Spannen der Stahltrosse auf seiner Seite. Dies vollendet, wiederholten die Männer ihr Werk mit den beiden anderen notwendigen Strängen, wobei sie mehrmals über die Stahlseile balancierend die abgrundtiefe Schlucht überquerten, um Löcher zu bohren, Metalldübel einzusetzen und Ösenschrauben anzubringen. Als alle Trossen verankert und gespannt waren, nicht zu lasch, damit die Konstruktion nicht in unkontrolliertes Schwingen geriet, nicht zu stark, damit sie nicht aus dem Fels gerissen wurde, verbanden der Afghane und der Deutsche vereint in einem erneutem Drahtseilakt die unteren Stränge in gemessenen Abständen untereinander durch die mitgebrachten Metallstäbe und hernach die unteren mit den oberen zu beiden Seiten.
Nach einem Imbiss verstauten sie befriedigt das Gepäck, das erheblich geschwunden war, in und an die beiden Rucksäcke und versteckten die fast leere Stahlseilrolle in einer Felsspalte. Mit spielerischer Leichtigkeit turnten sie, jeder seinen Rucksack auf dem Rücken, über die teilfertige Hängebrücke, um auf die Kameraden zu warten und sie beim Anbringen des Maschendrahtbodens