Der Herr des Krieges Teil 4. Peter Urban

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Der Herr des Krieges Teil 4 - Peter Urban Warlord

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Splitter und Blankwaffen verursachen konnten. Doch beim Anblick dieser Verletzung wurde ihr speiübel. Innen drin war es lebendig! Fette Maden hatten sich im rohen Fleisch eingenistet. Sie versuchten sich vor ihrer Pinzette zu verstecken und verschwanden immer tiefer im Leib des Patienten. Sarah dankte dem Himmel, daß der Leopard in einem Zustand war, in dem er nicht mehr spürte, was ihm geschah. Er glühte vor Fieber: Seine Augen waren geschlossen. Die Zunge hing ihm seitlich aus dem Mund. Der Kiefer war völlig verkrampft. John Dunn, der Soldat, ihr bewährter Helfer in so vielen schweren Stunden, der alte Kämpfer – er fiel einfach um! Sarah hatte kein Recht darauf, in Ohnmacht zu fallen, oder ihrem Ekel und ihrer Hilflosigkeit nachzugeben und aus dem Gebäude ins Freie wegzulaufen und den Mann seinem Schicksal zu überlassen. Sie würgte den Anfall von Übelkeit hinunter und zog mit zittrigen Fingern eine fette Made aus dem Fleisch, die sie angewidert in einen Eimer schmiß. „Tommy“, flüsterte sie leise Trommler Meadows zu, der mit den Baumwolltupfern und Kompressen neben ihr stand, „schütte John bitte einen Eimer Wasser über den Kopf und hilf dem alten Mann nach draußen an die frische Luft! Und hole Miss Mary. Ich brauche jemanden, der mir zur Hand geht!“

      Der Fünfzehnjährige war heilfroh, daß die gute Lady Lennox ihn gehen ließ. Er war kreidebleich. Nur seine Jugend und seine robuste Kondition hatten ihn während der letzten Stunden davor bewahrt, es Sergeant Dunn gleichzutun und auch in Ohnmacht zu fallen.

      Der Leopard aus Coles Division war kräftig. Er starb ihr nicht unter den Händen weg: Irgendwie gelang es der Ärztin, alles Ungeziefer aus der Wunde zu entfernen. Gegen den Wundstarrkrampf hatte sie kein Mittel. Gegen eine Infektion oder Wundbrand vorzugehen, dafür war es bereits zu spät. Die Verletzung auszubrennen, wäre das sichere Todesurteil für den Mann gewesen. Es war jetzt fast eine Woche her, daß der Ärmste seinen Arm verloren hatte. Sie wusch alles mit Alkohol aus, stopfte alkoholgetränkten Mull in das riesige Loch, verband, flößte ihrem Patienten eine unvernünftig hohe Dosierung Laudanum durch die verkrampften Kiefer ein und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß man sich seiner erbarmen möge. Dann gab sie Zeichen, den Soldaten vom Tisch zu tragen und rief nach dem nächsten Patienten. Jedesmal, wenn ihr diese Worte entfuhren: „Bringt den Nächsten!“, betete sie, daß es nicht Arthur sein würde oder ihr kleiner Bruder oder Jamie oder Marys Mann ... Mary hatte bessere Nerven als John und der junge Meadows. Sie hatte Tommy aufgetragen, auf Paddy aufzupassen. Ruhig stand sie neben Lady Lennox, reichte ihr die Instrumente, verband Verletzungen, flößte Halbtoten oder Sterbenden eine gnädige Portion Whisky oder starke Drogen ein, fand für den einen oder den anderen, der noch bei Bewußtsein war, ein tröstendes Wort oder ein freundliches Lächeln. Während Sarah sich über den nächsten Leoparden beugte, ging ihr durch den Kopf, daß die Frauen in diesem Krieg eigentlich mutiger und tapferer waren als ihre Männer, die sich draußen auf den Schlachtfeldern gegenseitig totschlugen. Es gehörte nicht viel dazu, einem Mann sein Leben zu nehmen: Ein schneller Schuß, ein kurzer Hieb oder Stich! Aber es bedurfte allen Mutes dieser Welt und jedes Quentchens Glauben, um vor einer sich windenden, grauenvoll verstümmelten Kreatur nicht wegzulaufen ... Sarah hatte das unbestimmte Gefühl, daß man ihr schon bald einen Leoparden auf den Tisch legen würde, vor dem sie weglaufen mußte, weil sie nicht ertragen konnte, ihn krepieren zu sehen ... weil sie ihn so in Erinnerung behalten wollte, wie er vor dem Gemetzel gewesen war. Seitdem sie es bei Talavera nicht fertiggebracht hatte, Wellingtons Verletzung zu versorgen, sondern nach John Hume hatte rufen müssen, fragte sie sich, was sie wohl beim nächsten Mal tun würde.

      Die Gerüchte, die in Lesaca umgingen, waren furchterregend: Es hieß, Marschall Soult habe den Iren bei Irurita, am Verdariz-Paß vernichtend geschlagen. Die alliierte Armee lief in völliger Auflösung davon. Eine andere Version war, daß Lowry Cole bei Roncesvalles gefallen sei und seine Knochen, gemeinsam mit denen von 6000 Leoparden in den Bergen verrotteten. Ein Bauer hatte berichtet, daß sie sich in der Ebene vor Pamplona geschlagen hätten: Er wußte nicht, wer den Tag gewonnen hatte, aber man hatte ihm erzählt, das Picton das alliierte Feldheer geführt habe, denn Wellington, Hill und Beresford seien in den Bergen gefallen. Niemand wußte eigentlich, was wirklich geschehen war. Jeder hatte nur von irgendwem, irgend etwas gehört und dann seine eigene Geschichte daraus gesponnen: Lady Lennox fuhr sich mit der blutigen Hand übers Gesicht, so als ob das Blut des Leoparden auf ihrem Tisch die unheimlichen Geschichten verscheuchen konnte. Mary Seward reichte ihr Nadel und Faden: Sie war bleich, unter ihren Augen lagen tiefe Ringe. Schon seit Stunden hatte sie kein Wort mehr gesagt. Sicher dachte sie in diesem Augenblick genausoverzweifelt über Robins Schicksal nach, wie Sarah über das von Arthur und ihrem kleinen Bruder.

      Unbemerkt traf ein einsamer Reiter in Lesaca ein. Er führte sein zu Tode erschöpftes Pferd am Zügel. Nur an der Satteldecke des Tieres konnte man überhaupt noch erkennen, das es sich um einen britischen Offizier handeln mußte. Er trug ein total verdrecktes, zerfetztes Hemd am Leib. Die Uniformjacke fehlte. Seine vormals beigen Lederreithosen waren vom rotbraunen Schlamm der Pyrenäen verfärbt. Lord Fitzroy Somerset hatte Sorauren bereits am 29. Juli verlassen. Lord Wellington hatte Marschall Soult vernichtend geschlagen. Dann hatte er seinen Adjutanten auf den Weg geschickt, um Sir Thomas Graham und Teile der Ersten Division aus Positionen hinter Lecumberri und Irurzun an die Front zu geleiten. Als der Ire erkennen mußte, daß sein junger Adjutant nach sechs Tagen äußerster Anstrengung am Rande des Zusammenbruchs angelangt war, hatte er ihn am Vorabend einer weiteren Schlacht nach Hause geschickt. Ein Mann, der nicht mehr klar zu denken vermochte, war nicht nur eine Gefahr für sich selbst. Er wurde zu einer Gefahr für alle anderen!

      Somerset stellte sein halbtotes Pferd einfach in den Stall, neben dem Wehrturm. Er sattelte nicht einmal ab. Er sank nur neben dem Braunen ins Stroh und schlief sofort ein. Erst kurz vor sechs Uhr am Abend, Tommy Meadows wollte die zurückgebliebenen Pferde des Hauptquartiers füttern, denn der alte Dunn fühlte sich immer noch elend, fiel auf, daß ein Tier zuviel da war. Der Trommler des 33. Regiments fand den schlafenden Somerset im Stroh. Er hatte Marys kleinen Sohn Patrick dabei, denn seine Mutter war noch bei Lady Lennox im Lazarett. Tommy war schon lange bei den Soldaten: Zuerst schickte er das Kind fort. Vielleicht war Sir Arthurs Adjutant ja verletzt! Der Kleine brauchte schlimme Sachen nicht unbedingt mitanzusehen: „Paddy, lauf schnell zu Onkel John! Lord Somerset ist zurückgekommen!“, bat er den Rotschopf. Als der Bursche aus dem Stall verschwunden war, drehte Meadows den Offizier vorsichtig auf den Rücken. Er sah kein Blut, also war es wohl nur die Anstrengung!

      „Sir, ich bin’s, Tommy! Wachen Sie auf! Ich bringe Sie ins Haus, damit Sie sich ausruhen können!“

      Somerset rappelte sich mühsam hoch: „Wir haben die Adler geschlagen! Drei Mal haben wir’s ihnen gezeigt!“

      „Dem Himmel sei Dank!“, entfuhr es Meadows. Er hatte wie alle anderen unter der Ungewißheit gelitten, und die schrecklichen Gerüchte waren einfach unerträglich. Er half Wellingtons Adjutanten auf die Beine und zurück ins Hauptquartier, wo er ihn Sergeant Dunns Fürsorge anvertraute. Dann rannte er wie ein Wilder durchs Dorf zum Lazarett. Außer den Chirurgen des Medizinischen Stabes gab es keine Offiziere mehr im Ort. Sie waren alle an der Front. Er wollte Sir James McGrigor Bescheid sagen und Lady Sarah und Miss Mary. Ein paar Sorgen weniger würden allen gut tun.

      Lord Fitzroy Somersets Eintreffen befreite ganz Lesaca von den schlimmsten Ängsten. Zumindest wußte nun jeder, daß die schrecklichen Gerüchte, die man ihnen zugetragen hatte, falsch waren: Zwei Tage nach der Rückkehr von Wellingtons jüngstem Adjutanten verstummten plötzlich die Kanonen und kein Lärm ferner Kämpfe drang mehr – vom Wind getragen – in die Berge hinauf. Jeder vermutete, daß das letzte große Zusammentreffen zwischen den Leoparden und den Adlern stattgefunden hatte. Wer gewonnen, wer verloren hatte! Es war noch Rätselraten, doch aller Wahrscheinlichkeit war es Englands Feldmarschall und nicht der Herzog von Dalmatien, der die Ebene vor Pamplona gerade als Sieger verließ.

      Sie hatten Fitz ins Bett stecken müssen, so zerschlagen und kaputt war der Offizier gewesen. Doch in seinem Enthusiasmus und jugendlichen Überschwang hatte er ihnen zwischen zwei Löffeln heißer Suppe und zwei Bissen Brot geradezu begeistert alles erzählt, was er wußte. Die französischen Verluste im Verlauf der drei ersten Zusammenstöße waren verheerend gewesen.

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