Geschichten aus dem Leben. Claus Beese

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Geschichten aus dem Leben - Claus Beese

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zu diesem Vatermonster hinüber. Was ist das nur für ein Mensch? Managertyp, eindeutig, das sieht man an den Schuhen und an den Socken. Alles akkurat aufeinander abgestimmt und teuer. Das ist nicht der Turnschuh-Papa, der am Sonntag mit seinem Sohn zum Fußballspiel fährt oder das ganze Wochenende mit dem Sohnemann ein Baumhaus baut. Wahrscheinlich wirft er spät abends, wenn er nach Hause kommt, noch einen Blick auf sein schlafendes Kind und erkundigt sich bei Mama nach den Schulnoten.

      Ja, und diese Mama gibt es jetzt nicht mehr. Das arme Kind sitzt da und stiert todtraurig aus dem Fenster. Mütterliche Instinkte regen sich in mir. Finster blicke ich diesen sogenannten Vater an, der inzwischen das, ach so wichtige, Telefonat beendet hat und frage: „Darf ich Ihrem Sohn ein paar Gummibärchen geben?“

      „Von mir aus!“ Der gleichgültige Unterton in der Stimme schockiert mich. Aber Oskar lächelt. Ich wühle in meinem Rucksack, finde zwei Päckchen Gummibärchen und überreiche sie dem strahlenden Kind.

      „Wie sagt man?“

      „Danke“, sagt Oskar.

      Aha, Vati erzieht. Dieser Vater ist echt ein Arsch. Irgendwann, wenn er sein Kind ins Leben entlässt, ist alles Herzliche und Mitfühlende erloschen und dieses Kind wird sich so verhalten wie dieser Kühlschrank von Chefredakteur.

      „Papa, ich muss mal!“ Oskar springt auf.

      „Moment“, der Vater erhebt sich, „ich komme mit.“

      „Nein, das kann ich alleine!“

      „Okay, links den Gang runter.“

      „Mensch, Papa, das weiß ich!“

      Kaum hat Oskar das Abteil verlassen, klingelt Papas iPhone.

      „Hallo, Schatz, schön, dass du anrufst“, säuselt er und wendet sich ab, „Du bist süß! ... Nein, wir sitzen im Zug ... Oskar ist gerade aufs Klo.“

      Aha, das Kind ist nicht da und Papa kann ungestört Süßholz raspeln.

      „Wann es passiert ist? Am Samstagnachmittag ... Mmh ... Ja, er war fix und fertig und hat den ganzen Abend geheult. Ich habe ihm gesagt, das gehört zum Leben dazu, damit muss man fertig werden ... Die Beerdigung? Ja, war okay für ihn. Ja, ja, ich glaube, er hat das gut verkraftet ... Ja, ich dich auch! Tschüss, mein Schatz!“

      Papa lächelt versonnen. Das glaub' ich jetzt nicht. Kaum hat er die Mutter des Jungen unter die Erde gebracht, hat er ein neues Eisen im Feuer, nicht zu fassen. Das Kind hat seine Mutter verloren und er redet darüber, als wäre es eine sechs in Mathe. Unglaublich! Ich wende mich angewidert ab. So ein Kotzbrocken!

      Vielleicht war er jedoch von der Mutter des Jungen geschieden und die Frau am iPhone war seine „Neue“. Wahrscheinlich nimmt er den Jungen jetzt ganz zu sich, nicht bloß alle vierzehn Tage am Wochenende. Na, der wird sich wundern. Nicht nur Urlaubsstimmung, Zoobesuche, Kino und Eis essen. Nee, nee, harter Alltag kommt nun auf diesen Wochenendvater zu.

      Wieder klingelt das iPhone. „Hallo, meine Süße!“ Wieder dieses versonnene Lächeln. „Nein, Oskar ist gerade nicht da!“

      Aha, die Luft ist rein, jetzt geht das Gesülze wieder los. Das grenzt schon an Vielweiberei!

      „Also tschüss! Bussi!“

      Was finden die Frauen nur an diesem Vatermonster. Okay, er ist groß, schlank, hat eine sportliche Figur und der Dreitagebart steht ihm verdammt gut. Aber gefühlsmäßig ist dieser Kerl der absolute Supergau. Das Kind ist definitiv länger als zehn Minuten weg und er telefoniert.

      „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich einmische, aber Ihr Sohn ist schon ziemlich lange weg.“

      „Da machen Sie sich mal keine Gedanken, der kennt sich in Zügen aus. Der fährt jeden Tag mit dem Zug zur Schule.“

      Verantwortungslos ist dieser Mensch auch noch, dachte ich's mir doch.

      „Na ja, wenn Sie meinen.“

      Jetzt zieht er sein Jackett aus und krempelt die Ärmel hoch. Er ist wirklich verdammt gut gebaut, hat kräftige, gepflegte Hände und ist an den Unterarmen tätowiert. Aber es ist ja allgemein bekannt, schöne Männer sind eitel und egoistisch.

      „Ganz schön heiß, heute. Und dann diese schwarzen Klamotten.“

      Großer Gott, jetzt wird er auch noch gesprächig, allerdings passe ich bestimmt nicht in sein Beuteschema. Der steht mit Sicherheit auf solche Model-Typen, Claudia-Schiffer-Verschnitt auf High-Heels.

      „Sie waren heute auf einer Beerdigung?“

      „Ja.“

      Rums, die Abteiltür wird aufgestoßen und Oskar stürmt herein.

      „Papa, das glaubst du jetzt nicht! Ich habe gerade mit dem Schaffner geredet und der konnte sich an mich erinnern, der war am Samstagnachmittag dabei. Er hat gesagt, es wäre ganz furchtbar gewesen und ich hätte ziemlich Pech gehabt! Es tat ihm richtig leid!“

      Es muss ein Unfall gewesen sein, das wird mir schlagartig klar. Ich lasse alle schweren Unfälle, die sich in der letzten Woche in der Region ereignet haben, Revue passieren. An einen Unfall mit Todesfolgen, bei dem eine Frau ums Leben kam, kann ich mich nicht erinnern. Möglicherweise war der Unfall nicht in der näheren Umgebung und meine Zeitung hat nicht darüber berichtet. Aber dass der Schaffner dem Jungen im Zug sein Beileid ausspricht, ist so was von pietätlos. Dazu ist nur ein Mann fähig!

      „Papa, was gibt’s heute Abend zu essen?“

      „Oh, das habe ich ganz vergessen! Wir können nicht zum Supermarkt fahren, weil das Auto in der Werkstatt ist und der Kühlschrank ist leer! Tiefkühlpizza ist da.“

      Oskar verzieht das Gesicht: „Nicht schon wieder Pizza, die gab es erst gestern.“

      Mein Gott, dieser herzlose Mensch ist nicht mal in der Lage, seinen Sohn vernünftig zu ernähren.

      „Spielst du heute Abend was mit mir? Ist doch langweilig so alleine.“

      „Das geht heute wirklich nicht. Da ist noch jede Menge Hausarbeit zu erledigen.“

       „Och, Papa!“

      Tja, es ist schon ein Unterschied, wenn plötzlich ein Kind mit im Haushalt lebt. Aber wenigstens kümmert er sich um die Hausarbeit, oder ist seine Putzfrau im Urlaub?

      „Ich kann dich verstehen“, wende ich mich an den Jungen, „ich hatte auch keine Geschwister und das war manchmal ziemlich öde.“ Dieses Kind braucht doch Verständnis für seine neue Lebenssituation.

      „Wieso meinen Sie denn, ich hätte keine Geschwister?“, fragt Oskar erstaunt.

      „Na ja, ich dachte mir, weil du erzählt hast, du wärst allein und du warst vorhin so traurig und dann noch die Beerdigung.“

      „Papa, die Frau meint tatsächlich, ich wäre ein Einzelkind!“ Oskar findet das sehr lustig und will sich ausschütten vor Lachen. Auch der Vater lacht, ein wunderschönes Lachen, und zeigt dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne, wahrscheinlich alles Jacketkronen oder Implantate.

      Das iPhone klingelt wieder. Oskars Vater brummelt: „Entschuldigung“, wendet sich ab und führt ein eindringliches Gespräch, wie ich höre, mit der Autowerkstatt und nicht wieder mit einer Frau. Er hebt die

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