Dame in Weiß. Helmut H. Schulz

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Dame in Weiß - Helmut H. Schulz

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nach Pirmasens ging - ich glaube, der Ort hieß so -, gab es irgendeinen Ball. Ach, es war ein netter Abend.«

      Ich berechnete ihr Alter, damals hatte sie die Dreißig schon überschritten.

      »Ich war ein Erfolg, darf ich sagen.«

      »Und wie war ich?«

      »Du warst natürlich nicht mit«, erklärte sie. »Und natürlich ging es dir gut. Allen ging es gut.« Sie zwang mich, ihr ins Gesicht zu sehen.

      »Ich kann nur davon ausgehen, wie wir gelebt haben«, verteidigte sie sich. »Und wir sind nicht die. Ausnahme, sondern die Regel gewesen.«

      Ich nickte. Das Thema war heikel, weil Verblendung nicht mit Schuld gleichzusetzen ist.

      Die Wohnung, in der Verena lebte, war unverändert. Ich geriet auch heute, Jahrzehnte später, wieder in den Sog der Stille, der Ruhe vor der Welt draußen, wo dem Klang eines geflüsterten Wortes Bedeutung zukam.

      Von den Zimmern lagen zwei zum Hof. Eines war damals das Schlafzimmer meiner Eltern gewesen; ein weiteres daran anschließendes Zimmer hatte mir gehört; bis ich nach dem Krieg endgültig ausgezogen war. Damals stand die Zwischentür meist offen. Tagsüber hörten wir nur den Schlag des Westminstergongs einer Standuhr im Schlafzimmer.

      Es gab noch zwei oder vielleicht nur anderthalb Zimmer, durch eine Tür miteinander verbunden. In dem halben hatte mein Vater seinen Schreibtisch und seinen Bücherschrank, hier stand das Telefon, das erste Radio, das wir besaßen, ein Mende-Super, der erste Fernseher, den wir kauften. Und jetzt saßen wir im großen Balkonzimmer mit Möbeln aus der Gründerzeit, Vorhängen aus Samt und den goldgerahmten Ölbildern der Arzts, meiner Großeltern. Nichts war verloren gegangen oder zerstört worden; Sachen schienen dauerhafter zu sein als Menschen.

      »Wir hatten Glück; da es sich in beiden Fällen um Durchgangszimmer handelte, setzte man uns keinen Mieter rein.«

      Sie vergaß oder verdrängte, dass sie monatelang in der Angst gelebt hatte, aus der Wohnung gesetzt zu werden. Wir hatten als belastet gegolten. - Die Böcke sollten von den Schafen getrennt werden, und einige Leute waren auf unsere Wohnung scharf. - Einen besseren Vorwand, uns hinaussetzen zu lassen, hätten sie 'kaum gefunden.

      Ich öffnete den Klavierdeckel, suchte einen Dreiklang, aber ich fand kaum noch die Töne des C-Dur-Akkordes. Das Instrument war verstimmt, wie immer. In all den Jahren klangen falsche Töne mit; stets sollte es gestimmt werden.

      »Es war ein Mann hier«, sagte sie, »der wollte es stimmen, aber er war ungeschickt.«

      Angelockt durch meine Spielversuche, trat sie heran, spielte ein paar Takte, und ihr Spiel ließ mir die Nachmittage meiner Kindheit neu erstehen. Die beiden Zimmertüren blieben damals immer offen, oder ich öffnete sie selbst. In jenen Tagen spielte Verena gut, besser als heute. Gelegentlich geriet sie aus dem Takt, ich hörte es an einem verzögerten Anschlag. Hin und wieder legte sie Noten auf und kämpfte verzweifelt mit den Schwierigkeiten des Primavistaspiels. Ihr Ehrgeiz griff zu hoch. Meist endeten diese Versuche mit einem zornigen Glissando und dem Knall des Deckels.

      »Du hättest dir ruhig ein bisschen Mühe geben können. Unbegabt bist du nicht gewesen, aber zerstreut. Zumindest, als du ins Reifealter kamst.«

      »Ins Reifealter bin ich nie gekommen, Mama.«

      Unser Glück oder Unglück bestand darin, eine Generation mit Zukunft ohne Vergangenheit zu sein. Unsere Eltern waren uns 1945 fremd, fremder als sich zu anderen Zeiten Jung und Alt gegenübergestanden. Unsere Entwicklung riss ab, als sie noch kaum begonnen hatte.

      »Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte sie, den Deckel über den Klaviertasten schließend. »Du konntest von Glück sagen, du hattest ein Zuhause. Für dich sorgten Vater und Mutter. Du durftest auch nach fünfundvierzig zur Schule gehen, dich auf das Abitur vorbereiten. Mein Gott, du warst vierzehn, was ist das schon für ein Alter!«

      Verärgert lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück.

      »Na also, da haben wir es ja wieder mal geschafft, uns zu streiten«, sagte ich.

      »Haben wir uns gestritten?' Davon weiß ich nichts. Nur darfst du nicht so tun, als hätte ich schuld, dass alles kam, wie es leider Gottes gekommen ist.«

      Ich wollte ihr erklären, dass ich sie keineswegs beschuldigte, alles verursacht zu haben, aber sie unterbrach mich.

      »Und im Übrigen kannst du dich heute nicht beklagen. Es geht dir gut. Dummheiten, die du nicht unterlassen konntest, darfst du dir getrost selber zuschreiben; ich will dir etwas sagen, du bist einfach zu empfindlich.«

      Ich war empfindlich, und mir lag viel daran, mit ihr zu einer Verständigung zu kommen. Mir schien, sie habe nie über sich und über ihre Irrtümer nachgedacht. Seit Jahren gab sie sich oberflächlich, tat, als wären die besten Jahre ihres Lebens einigermaßen glimpflich verlaufen.

      Und dieses Charakterbild meiner Mutter passte nicht zu ihrem Verhalten, später, nach dem Krieg, zu dem Kampf ums Überleben, den sie bestanden hatte.

      »Ich bin nicht mehr der kleine Junge, für den du mich noch immer hältst.«

      »Zu halten scheinst«, sagte sie prompt, »sonst pflegst du dich so auszudrücken; zu halten scheinst, wenn du mir beibringen willst, wie dumm ich bin im Gegensatz zu dir.«

      Ich hasste ihre Stichelei, doch ich schwieg auch deshalb, weil es, sinnlos gewesen wäre, auf ihre Ausweichmanöver einzugehen.

      »Aber ich rede, wie es mir passt, das merk dir, mein Sohn.«

      »Ob ich es noch schaffe, dich zur Vernunft zu bringen?« Sie überlegte' eine Weile, zuckte dann die·Schultern und fragte: »Bevor ich sterbe? Meinst du das?«

      Ich nickte.

      »Wären die Verhältnisse geblieben, wie sie waren, würden wir reich sein, oder sagen wir: wohlhabend. Wir hätten unsere Italienreise, unseren Wagen, unser Haus, ähnlich dem in der Wilhelmshagener Straße, kannst du dich erinnern?«

      Ihr Gerede enthielt ein Programm. Jenseits der Grenze in Richtung Westen hatte man geschafft, was meine Mutter für den Gipfel des Erreichbaren überhaupt hielt. Der Volkswagen war zur handfesten Wirklichkeit geworden, hatte die Welt erobert, ein Symbol deutscher Tüchtigkeit, Strebsamkeit, Beständigkeit. Die Italienreise gehörte zum Alltag, Fortsetzung des Kraft-durch-Freude-Wunders, an welchem Verena als junge Frau teilhatte, und das eigene Haus war mehr als der Glückstreffer in einer spektakulären Lotterie. Es war die Krönung eines mühevollen bürgerlichen Lebens.

      Sie lebte mir etwas von ihrer Norm vor, indem sie beharrlich auf ihre Fähigkeit hinwies, mit solchem Glück zufriedener zu sein als andere mit einem Ideal, das sie entweder nie erreicht oder im Laufe der Zeit wieder verloren hatten.

      »Oder willst du leugnen, dass Wohlstand gut ist?«

      »Sehe ich so verrückt aus, Mama?«

      Sie sah mich prüfend an.

      »Immerhin hast du das Haus in der Wilhelmshagener Straße mehr gemocht als dein Zuhause hier bei uns. Selbstverständlich hat meine Schwester auch alles darangesetzt, dich zu sich herüberzuziehen; Barbara, das Neutrum mit dem Mutterkomplex. Ich könnte dir ...«

      Mit dem Haus in der Wilhelmshagener Straße verbindet

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