Dame in Weiß. Helmut H. Schulz

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Dame in Weiß - Helmut H. Schulz

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unangenehm gewesen wäre, so gibt es für mich genügend Gründe, dieser Haltung Verenas zu misstrauen. Sie wünschte das Löwenjunge; den Krieger, der nicht nach Zweck und Ziel eines Kampfes fragt, wünschte die voraussetzungslose Tapferkeit, die sich bedingungslos schlug. Einen Sohn, der sich nicht gewehrt haben würde - und sei es mit einem Topf -, hätte Verena als weichlich, als unmännlich empfunden.

      »Man muss Knaben wagen lassen, wenn man Männer haben will, lehrt ein englisches Sprichwort, wobei ich gern einräume, dass ein geistreicher Draufgänger vielleicht ein Widerspruch ist. Ohne aufbrausendes Gefühl und ohne Spontaneität bei fehlender Verstandeskontrolle gibt es keine Handgreiflichkeiten. Und es gibt auch immer nur lachende Sieger und niemals lachende Verlierer ...«

      Hinter diesem Gerede steckte ein Erziehungsideal, das zum Helden führte. Das dauernde Anstacheln, sich zu wehren, musste die Bereitschaft wecken und wachhalten, ein Held zu werden.

      »Aber das gilt dann doch wohl für alle Zeiten«, wandte sie ein. »Immer wenn sich ein Moment von öffentlichem Interesse an der Erzeugung von Helden beimischt, gibt es die Achillesse und die Hagens. Zweifellos gehört der Kampf zum menschlichen Leben.«

      »Ich bin nicht dagegen, sich zu wehren, sondern gegen das Training zum Heldentum, Mama. Wird einem kleinen Jungen Beifall gespendet, weil er einem anderen kleinen Jungen mit einem Topf auf den Kopf schlägt, so wird der schlagende Junge sicherlich großes Vergnügen empfinden, zumindest so lange, wie ihm nicht selbst Schmerz zugefügt wird. Dann verdoppelt der Schmerz vielleicht seine Wut, oder umgekehrt, er dämpft sie. Ein lächerlich primitiver Vorgang.«

      Dass, diese Episoden im kindlichen Alter eine notwendige Vorbereitung auf das Leben sind, wusste ich so gut wie sie.

      Mala guerra.

      »Hirngespinste«, damit tat sie alles ab, »es war keine Kleinigkeit, dich neunzehnhundertdreißig zu empfangen. Dein Vater war arbeitslos, erst während ich mit dir ging, entschloss er sich zu einem Berufswechsel. Ich bleibe dabei, so schlecht sind die Jahre vor dem Krieg nicht gewesen.«

      »Es kam unser bestes Jahr«, sagte Verena, »als dein Vater vom Bau des Westwalls zurückkehrte, mit einer Urkunde und einem bronzenen Orden.«

      Bei ihren Erzählungen sprachen ihre Augen mit; meine Mutter drückte sich stets durch Zeichen aus. Ihre Gestik ist manchmal bedeutsamer gewesen als ihre Worte.

      »Wann war das?«

      »Es muss neunzehnhundertsiebenunddreißig gewesen sein.« Es fiel mir nicht schwer, mich in diese Zeit zurückzuversetzen. Ich verbrachte Wochen bei dem alten Stadel und hielt mich ebenso viele Wochen bei Friedrich Wilhelm Arzt auf. Wenigstens er trug einen Namen in den Farben seiner Zeit, Farben, die schon etwas verblichen wirkten. Mit der Wende zum Germanischen tauchten andere Namen auf, die Baldurs, die Brunhildes. Meine Großmutter Margarete Arzt, geborene Haubold, nannte ihren Mann einfach Fritz.

      »Wieso war es euer bestes Jahr?«

      »Von der Perspektive her«, sie gebrauchte einen damals unbekannten Begriff, ohne sich dieser Tatsache bewusst zu sein. Erst nach meinem Hinweis erklärte sie: »Also dann nenne es Zukunftserwartung, wir hatten eine große Hoffnung Hannes.«

      Sie nannte mich selten beim Namen, schon gar nicht bei meinem vollständigen. Namen, tat sie es wirklich einmal, dann klang es sonderbar und förmlich.

      »Wir reisten mit einem Schiff nach. Norwegen. Es war herrlich. Dein Vater kaufte ein Doppelgrundstück. Wir wollten in einem Jahr oder vielleicht auch in zwei Jahren ein Haus bauen.«

      Sie unterbrach sich, um ihr Haar zurückzustreichen, und presste die Lippen zusammen, sodass auf ihrer Oberlippe eine senkrechte Schraffur entstand.

      »Daraus wurde dann nichts.«

      . Sie warf mir einen empörten Blick zu, wendete sich kurz ab, um mich sofort wieder anzusehen, eine ihrer typischen Bewegungen, mit denen sie Missfallen ausdrückte.

      »Ganz recht, daraus wurde nichts«, sagte sie. »Du sprichst das mit einer Befriedigung aus, die mich befremdet.«

      Wirklich empfand ich Befriedigung darüber, dass diese Hoffnungen zunichtegemacht worden waren. Unerträglich wäre es gewesen, hätte sich diese Mittelmäßigkeit mit einem kräftigen Schuss sozialem Dünkel auch noch in einer kleinbürgerlichen Leistung durchgesetzt. Wie alles gekommen war, darin lag, aus der Entfernung gesehen, etwas Korrigierendes.

      Die von Verena erwähnte Urkunde musste meinen Eltern ein Gefühl des Gebrauchtwerdens vermittelt haben: Im Kampf um die Sicherung des deutschen Lebensraumes stand der Arbeitsbeauftragte des Volkes Stadel im Ehrendienst in der Westmark. Deutschland wird leben, weil sich immer Männer finden, die ihre Arbeit Deutschland weihen.

      »Mein Junge, glaube ja nicht, wir hätten keine Visionen gehabt. Die Träume in Deutschland zu untersuchen hieße, eine Menge über uns zu erfahren. Man sollte den Deutschen überhaupt verbieten, zu träumen oder Tagebücher zu führen. Soldaten dürfen es ja auch nicht, und sicherlich mit gutem Grund.«

      Zum ersten Mal redete sie derart entschieden und bitter über diese dunkle Seite ihrer Erinnerungen. Die Lehrerstochter hätte mit Recht von sich sagen können, dass ihr Leben in zwei Kriegen und den Krisen dazwischen vergangen war.

      Sie seufzte: »Neunzehnhundertachtzehn kam ich aus der Gemeindeschule, so hieß die Schule damals, zum Kriegsende und zu den Revolutionswirren«, sie gebrauchte das Wort, wie es passiver und undifferenzierter nicht geht: »Der Sieger aus solcher Art Wirren setzt dann auch immer die Norm.«

      Verena erwartete einen Einwand; da ich schwieg; bemerkte sie: »Du bevormundest mich heute nicht? Bist du krank?« Und da ich weiter schwieg, »mir blieb damals keine Wahl. Ich musste arbeiten.«

      Ich hätte das Gespräch gern abgebrochen, zog ein Buch aus dem Regal, das in Griffnähe stand, und las den Titel. Ein Balzac, wie sie überhaupt und ausschließlich die alten Bücher las. Seit Jahren erschloss sie sich mit berechnender Absicht keine jüngeren Autoren.

      »Ich ging zu Max Hirsch, du erinnerst dich.« Als ob ich mich einer Zeit hätte erinnern können, in der ich noch nicht geboren und sie ein vierzehnjähriges Mädchen war. »Max Hirsch war ein Konfektionär; alle Konfektionäre in Berlin waren damals Juden, oder fast alle«, schneller Blick zu mir. »Ich lernte Expedientin, aber ich muss sagen, bei Max Hirsch habe ich herzlich wenig gelernt. Dafür habe ich umso öfter das Dienstmädchen gespielt.«

      Sie legte eine Pause ein, um uns den Rest Tee aus der Kanne einzugießen, schüttete Zucker in die Tasse und rührte mit ihrer zarten und gebrechlichen Hand den Tasseninhalt so lange um, bis sich der Zucker gelöst hatte. »Du kennst das«, sie machte mich zum Komplizen, wie immer, und wie immer konnte ich mich nicht davon befreien, denn es war meine Mutter, die berichtete, der ich keine grobe Lüge zutrauen durfte. »Ich habe es dir oft erzählt, die Scherben im Abwaschwasser, damit ich mich schneiden sollte ...

      »Was besagt das schon? Die Leute waren deine Arbeitgeber, zufällig sind es Juden gewesen. Deine Feindschaft hatte doch nichts mit der Rasse zu tun.«

      Sie tat erstaunt. »Na hör mal, ich hätte eine persönliche Feindschaft gegen Juden gehabt? Nicht die Spur. Ich kann nur sagen, was ich weiß. Die ganze Sippschaft war hinter den weiblichen Angestellten her, hinter uns jungen Mädchen.« Sie ließ die Distanzierung folgen: »Es versteht sich übrigens, dass ich und niemand aus unserer Familie mit dem einverstanden gewesen ist, was dann kam. Aber der Sache nach, im Prinzip? Juden sind anders, ich habe sie erlebt. Und weshalb machen diese Leute auch heute noch und überall, selbst in Amerika, so

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