Dame in Weiß. Helmut H. Schulz

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Dame in Weiß - Helmut H. Schulz

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den Erschießungen zeigte. Ich habe ein paar Nächte lang nicht schlafen können, und ich habe es für ganz falsch gehalten, sie dir ebenfalls zu zeigen, einem Zwölfjährigen, fanatisiert bis in die Knochen.«

      »Fanatisiert? Red dir nichts ein, Mama, in Wirklichkeit hattet ihr Angst, mit euren Kindern zu sprechen, sich ihnen zu offenbaren, eure Ängste bloßzulegen. Die stille Vereinbarung galt unter euch, ja den Mund zu halten, allein mit diesen Sachen fertig zu werden. Ihr konntet mit eurem Hitler nicht mehr Schritt halten.«

      »Man hat ja auch gesagt, Größenwahn, und wie sich hinterher herausstellte, war Hitler Paranoiker.«

      Ich musste lachen, sie sah mich mit Erstaunen an und bemerkte: »Wüsste nicht, was es da zu lachen gäbe.«

      »Wegen der nachträglichen Rechtfertigung - was soll man mit einem Verrückten machen?«

      Sie schwieg, hob mehrmals die Schultern, und mich reute es, laut geworden zu sein. Ich wollte sie wieder auf das Thema zurückbringen, wie mein Vater war, und sie nahm das Angebot an.

      »Als ich ihn kennenlernte - ich arbeitete bei Max Hirsch -, ließ er sich bei Peek und Cloppenburg anstellen, es soll diese Firma ja heute noch geben. Er war Buchhalter, warte mal; ich schätze, er ist knapp zwanzig gewesen, trug Anzüge von C & A, er sang sogar, auf einer Werbeschallplatte mit, - drum gehen Sie, Sie wissen ja, gehen Sie zu C & A -. Wir sind schon weit in den zwanziger Jahren, wie du siehst.«

      Ruhrbesetzung, Inflation, Kapp-Putsch, alles vorbeigegangen ohne eine Spur von Nachdenklichkeit?

      »Die meisten Deutschen dachten nicht nach. Worüber hätten sie nachdenken sollen? Wir begriffen ja kaum, woher diese vielen Symbole kamen. Die Welt, unsere Welt, war auseinandergebrochen, das war die Zäsur, der Schlussstrich. Also dein Vater ging außerordentlich gut angezogen. Wir lernten uns in einem Theaterverein kennen.«

      Das war eines der großen psychologischen Rätsel für mich, in dieser Zeit gingen sie in einen Verein, um als Laienschauspieler aufzutreten, Feste zu arrangieren, Reisen zu veranstalten, nach bester, übelster deutscher Vereinstradition, und das, wo sich auf der Straße, vor ihrer Tür ein Kampf auf Leben und Tod abspielte.

      »Du kannst das kaum beurteilen. Es war nach dem Kriege damals ganz ähnlich wie nach dem jetzigen Krieg. Die lange zurückgehaltene Lebenslust, die Not, machten sich im Frieden in einer sicherlich übertriebenen Vergnügungssucht Luft. Man wollte endlich leben. Es wird so oft von einer Scheinblüte geredet, es war keine, sie war echt. Wir lebten gut und heirateten Neunzehnhundertachtundzwanzig.«

      Was sie mit wenigen Worten entwarf, darauf bauend, dass ich ihr nicht auf die Sprünge kommen konnte, war das Auswechseln der einen gegen die andere Legende. So glaubte ich nicht meine Mutter zu hören, sondern den historischen Kommentator: Zuerst brach das Kaiserreich zusammen, dann kam die Inflation, kamen die Konjunktur und die Krise, es kam Hitler, der Erretter Deutschlands. Zuletzt mussten wir eingestehen, uns in allem geirrt zu haben. So läuft eben Geschichte ab. Nichts lässt sich dagegen unternehmen.

      Sie unterschlug, dass Christoph Stadel, ihr Mann und mein Vater, von Peek und Cloppenburg zum Wolffschen Telegrafenbüro gewechselt war, als Börsenberichterstatter, wenigstens der Familienlegende nach und falls es bei diesem Nachrichtendienst einen solchen Berichterstatter überhaupt gegeben hat.

      »Mit Gewissheit«, sagte Verena, »mein Schwiegervater besaß gute Verbindungen, und da hast du es: Diese Zeiten ließen uns Spielraum. Wir wiegten uns in dem Traum, aus deinem Vater einen Börsenmakler zu machen. Dein Vater war Fachmann, als Buchhalter konnte er mit Geld umgehen.«

      Auch eine überraschende Verkleidung, aus dem kleinen unglücklichen Soldaten, dem Laien-Hamlet und Buchhalter, der mit spitzer Feder die Positionen auf Kredit und Debet verteilte, der sich für einen Schreib- oder Rechenfehler von einem Oberbuchhalter oder vom Hauptbuchhalter rüffeln lassen musste, aus dem Werbesänger für Anzüge war in den Träumen ein Börsenmakler geworden, der Bankorders abwickelte und vielleicht auch selbst zu spekulieren vorhatte.

      »Daraus wurde ja auch nichts.«

      »Nein, daraus wurde nichts.« Sie schüttelte den Kopf. Eine komische Variante, ein Abschluss dieser Karriere·ergab sich Jahre später, als meine Familie zehntausend Mark Reichsanleihe zeichnete, wozu sie aufgrund irgendeiner Erbschaft in der Lage war.

      »Wir hätten mit dem Geld schon nichts mehr anfangen können«, erklärte meine Mutter. Sie legte mir ihre Hand auf den Arm, zum Zeichen, dass sie etwas Wichtiges mitteilte.

      »Es war kurz vor dem Krieg. In unserer Familie geschah immer etwas entweder zu spät oder zu früh, jedenfalls nie zur rechten Zeit.«

      Und das war endlich eine Wahrheit, es geschah immer zum unrechten Augenblick - dieses Schicksal teilte meine Familie mit dem anderer deutscher Familien, die auch Reichsanleihe zeichneten, weil es rein gar nichts anderes mehr gab als Geld in Hülle und Fülle und einen Krieg, der vor der Tür stand.

      Das also dürfte erreicht gewesen sein ...

      Christoph Ernst Stadel traf die Entlassung 1929. Er bezog Arbeitslosenunterstützung. »Eine schlimme Zeit«, bestätigte Verena. »Es kam aber solch ein Arbeitslosenhilfsprogramm, und dein Vater entschloss sich, nicht auf ein Wunder zu warten, sondern sich umschulen zu lassen.«

      »Warum wartete er eigentlich nicht auf ein Wunder?«

      »Na, hör mal!«

      Das Wunder kam nicht, aber das Hilfsprogramm, und so wurde Christoph Stadel beim Nachrichtendienst der Deutschen Reichspost Hilfsarbeiter. Er grub Löcher für Telegraphenstangen und schüttete diese Löcher wieder zu. Er zog später, als er durch Fleiß und aufgrund seiner Gelehrigkeit weitergekommen war, Leitungen; Strippen, wie er selbst sagte, er gewann über mancherlei Lehrgänge bestimmte Fertigkeiten, und er wurde, was er wurde. Beamter. Und erhielt eine Urkunde: Für gute Leistungen in der Wettkampfgruppe Energie-Verkehr-Verwaltung im Berufswettkampf aller schaffenden Deutschen ...

      Aber das alles hatte einen Preis gehabt.

      »Ohne Papas Entscheidung für uns wäre es nicht möglich gewesen.«

      Diese Umschreibung musste für die Verschleierung eines anderen Sachverhalts herhalten. Ein Briefwechsel, der uns als arisch-herkommend ausweist, Auszüge aus pommerschen Kirchenbüchern, Fotokopien oder amtliche Beglaubigungen finden sich; die Texte kraus und in gewundenem Deutsch, wurde allhier geboren, aber sie belegen eindeutig die indoarische Abstammung meines Vaters, es rollt kein nachweisbares Tröpfchen Blut Andersstämmiger in unseren Adern, und deshalb durfte mein Vater Telegrafenbauhandwerker und Beamter und Oberleitungsaufseher werden, und in die Nationalsozialistische Arbeiterpartei eintreten.

      »Himmelherrgottnochmal, wie kannst du nur so leicht darüber hinweggehen! Nie bist du auch nur einen Tag in so einer Lage gewesen wie ein Arbeitsloser. Das Arbeitslosenheer war groß, aber«, sie dehnte dieses Aber lang aus, »ich gebe zu, wir waren uns in den Zielen mit diesen Männern und Frauen einig. Niemand kann vorhersagen, wie etwas kommen wird. Und ich sehe keinen Unterschied, ob jemand seiner Rasse wegen unterdrückt wird oder wegen seiner sozialen Herkunft. Solange du einen Vater im Westen hattest, konntest du dir an den Fingern abzählen, wo deine berufliche Karriere hier enden würde, mein Sohn. Sieh endlich ein, dass da gar kein Unterschied ist. Tüchtig muss man sein, um voranzukommen. Manchmal bin ich stolz auf dich. Dein Vater war zu wenig unternehmend, ganz recht, sonst wäre eben doch alles besser gekommen oder zumindest anders. Wie die Mächtigen mit ihren Minderheiten umgehen, das ist doch das Wichtigste, nicht aus welchen Motiven heraus, Gründe finden sich immer«, sagte die Lehrerstochter, »und Schuld? Ich kann nur sagen, wer mir

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