Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Jakob Ponte - Helmut H. Schulz

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Beitrag in die Archive eingelagert werden können. Was ich indessen nicht vorausgesagt hatte, war das Bombardement unserer Stadt Freiburg. Zum ersten Mal war eine offene, tief im Hinterland gelegene deutsche Stadt von regulären feindlichen Kriegsfliegern angegriffen worden; was aber wie später erzählt wurde, eine listige Provokation gewesen sei. Die Interpretation solche Vorgänge, Prophetien und Verdrängungen, gehören zum historischen Stoffwechsel. Jedermann kann schließlich der Geschichtsschreibung entnehmen, was er für die Wahrheit hält oder was diese aktuell als wahr ausgibt, je nach Auftraggeber ...

      Genug, hier hatte meine Eingebungskraft versagt. Als ich wieder auf den Beinen stand, trat Hochwürden Fabian sein Amt als mein Erzieher an, und ich glaube, er übernahm mit Freude die Vaterrolle und Frankreich ward in vierzehn Tagen niedergeworfen! Den Priester muss sich der geneigte Leser als einen Mann vorstellen, der die Vierzig überschritten hat. Sein Gesicht erinnerte an das Porträt Mann mit roter Kappe von Luca Signorelli, wenn ihr es kennt. Diese Kenntnis verschaffte mir eine Kopie des Bildes, das mein geistlicher Lehrer besaß; wer noch keine Reproduktion gesehen hat, es ist das Gesicht eines Fleischessers und Weintrinkers, ein starkes Gesicht ohne Fett, mit knolliger Nase, festen Lippen, harter Kinnpartie und bläulichen geschwollenen Lidern. Dazu stellte Fabian das lebende Abbild dar, ein Mann von der Größe und Gestalt eines Athleten. Mit geraffter Soutane eilte er leichtfüßig die Stufen seiner Kirche hinauf und hinunter, schwang sich wie ein Rennreiter in den Sattel seines Damenfahrrades, raste auf Skiern im sicheren Hüftschwung die vereisten und verschneiten Hänge unserer Berge hinunter, und verfügte über eine Menge überraschender Kenntnisse von der Welt und von der Kultur der Europäer, unter anderem besaß er eine prächtige Bibliothek verbotener Werke und wunderbar obszöner Darstellungen. Mir brachte er an jenem Tag seine erdrückende Körperlichkeit zum Bewusstsein, als er dicht an mich herantrat, den Zeigefinger unter mein Kinn legte und es zu sich erhob, bis es in meinem Nacken schmerzte. Beklommen starrte ich ihn an. Endlich ließ er mich los, trat zurück und lehnte seinen Rücken an den mächtigen Schrank im Esszimmer mit Säulen, Schnitz- und Drechselwerk, in dem Großmutter ihr Geschirr und Tafelsilber verwahrte. Ein Erker, eine Art Kanzel mit schrägen Seitenfenstern, bildete einen Raum, in dem wir uns vorzugsweise bei kleinen Mahlzeiten aufhielten. Alle wichtigen uns betreffenden Angelegenheiten wurden hier besprochen. Hochwürden setzte sich in einen Sessel, aber Fauteuil ist der passendere Ausdruck, stellte die Beine weit auseinander, sodass seine Soutane, einem Rock ähnlich, zwischen den machtvollen Schenkeln hing. Er hielt eine lange, mir nicht verständliche Rede, aber da er und ich einen weiten Weg miteinander gegangen sind, kann ich mir Tonfall und Inhalt unseres ersten ernsthaften Gesprächs recht gut vorstellen, auch ohne Mamas Notizen. Sie begleitete den Vortrag mit einem aufmerksamen und bescheiden zustimmenden Lächeln. »Jakob soll ein guter Mensch werden, ein anständiger Mensch. Fest im Glauben«, ließ sie sich vernehmen, obschon sie selbst alles andere als gläubig war.

      »Versteht sich, die Frage ist, in welchem Glauben, da wir einige zur Auswahl stellen können«, sagte Hochwürden. »Nein, fürs Erste haben wir diesen Knaben Mores zu lehren und also aus einem Paradies zu vertreiben, dem Paradies unserer reinen Kindheit, was soviel bedeutet, wie dem wunderbaren herrlichen Heidentum unserer Lüste!«

      Mama standen die Fragen im Gesicht, aber sie nickte und wagte es nicht, die Sache durch eigene Beiträge zu verwirren. »Wir beide, Jakob, werden uns miteinander befassen«, sagte Hochwürden freundlich zu mir, »merke wohl, Jakob, ich bin dein künftiger Confessarius, was bedeutet, dass du demnächst mein Beichtkind wirst. Was ist eine Beichte?« Diese Frage diente ihm als Brücke zur weiteren Erläuterung; man unterscheide drei Arten Sünden; die wider Gott, die Sünde wider unseren Nächsten und die Sünde wider uns selbst, wozu Trotz, Trägheit, Unmäßigkeit im Essen und Trinken gehörten, und so weiter und so fort ... »Wir alle lügen oft und gern, du in Sonderheit, wie mir deine Mama erzählt hat«, worauf ich zustimmend nickte, während er allgemeiner werdend fortfuhr: »Wir stehlen, wir eignen uns also Dinge an, die einem anderen gehören. Wir verlangen nach dem Weib unseres Nächsten«, er korrigierte seinen Missgriff, »dies wohl noch nicht, aber es kommt so schnell und so sicher wie der morgige Tag, weil dieser gemeine Trieb in unserer dämonischen Natur liegt. Wir müssen daraus den Schluss ziehen, dass Natur an sich bedenklich ist. Kurzum, mit uns ist im Großen und Ganzen nicht viel los, obschon wir uns am wohlsten fühlen, wenn gar nichts mit uns los ist, haha!«

      Konnte ich diese Kasuistik schon nicht verstehen, so dachte ich, wenn es so ist, wie er sagt, so wäre die Welt entschieden merkwürdig, denn was käme schließlich bei einem solchen Leben heraus? Müssten wir nicht ewig hinter uns blicken, ob uns nicht der Zuchtmeister auf den Fersen ist? Ziehe ich hier wieder Mamas Tagebuch zurate, dann auch, um bei meiner ersten Unterweisung in geistlichen Dingen ein mir neues Gefühl der Erregung zu beschreiben. Alles in mir war gespannt, ich spürte, dass ich meiner künftigen Bestimmung einen Schritt nähergekommen war. Hochwürden machte mich mit dem Ernst des Lebens bekannt, und ich nahm die Gefahr wahr, wurde instinktiv bereit, die Summe an Gewinn und Verlust aus dem System von Verboten und Beschränkungen zu ziehen.

      »Warte nur«, beschied Hochwürden, der mir vielleicht die Gedanken von der Stirn ablas. Von dem, was er noch gesagt haben mag, ist mir nur der überraschende Schluss in Erinnerung geblieben, als er fragte, ob ich das weitläufige Geflecht von Erbsünde, Beichte, den Sakramenten, dem Fegefeuer, Hölle und Himmel und der Rolle der Kirche und der Geistlichkeit darin begriffen hätte. Ehrlich bestürzt antwortete ich mit einem: Nein!

      »Gut, mein Kind, ich selbst verstehe es bis heute nicht ganz«, gab er zu. Endlich wurde mir deutlich, was er von mir erwartete; keine Wunder, keine übermenschlichen Anstrengungen. Nichts anderes hatte er vor, als einen Durchschnittsmenschen aus mir zu machen, der ihnen einfach nur glauben sollte. Sie wollten mich auch nicht mehr bei einem argen Frevel gegen ihre Ordnung ertappen müssen; sie wünschten bereits vorher zu wissen, ob ich sie belügen, betrügen und bestehlen wollte. Hier habt ihr die Quintessenz jeden Glaubens, auch des Parteienglaubens, ihr Knaben! Unterwerfung heißt das Gebot! Diese Forderungen zu erfüllen, fühlte ich jedoch keine Berufung.

      »Nun könntest du meinen«, fuhr er fort, »es wäre leicht, Gott zu hintergehen. Du denkst, wenn ich einfach verschweige, was ich getan habe oder vorhabe zu tun, so erledigt sich die Sache von selbst, als sei sie nicht geschehen. Soll mir erst mal einer auf die Schliche kommen.« So in etwa hatte ich in der Tat gedacht, er musste Gedanken lesen können, anders war seine Kenntnis nicht zu erklären. Ich betrachtete seine Hände, behaarte Pranken mit breiten Nägeln, die wie Metall glänzten. Anscheinend war die Lektion damit beendet, und was hätte auch noch gesagt werden können, was angedroht? Jedenfalls stand er auf und nahm das Bild meines Vaters aus dem Wechselrahmen. Er tat es ganz ungeniert, betrachtete die Vorder- und Rückseite und las laut vor: Hasta la vista! War das der Argentinier? Mamas Stimme zitterte, als sie die Frage bejahte und leise hinzufügte, er wisse doch alles, er habe ihn doch gekannt, wie ihm auch die Umstände vor Augen stünden, dank der Beichte, über die er ja schweigen müsse. In der Tat wisse er es, erwiderte Hochwürden; den Mann, den Argentinier habe er allerdings nie wirklich gesehen, erinnere sich aber noch gut daran, wie er vor der Kirche gestanden und Bräutigam und Braut erwartet habe. Leider seien nur die werten Angehörigen der Braut gekommen, und am Schluss habe der Bräutigam noch immer gefehlt; einen Schnupfen habe er sich bei der Warterei geholt, das sei alles gewesen. Erneut las er die Worte auf dem Porträt meines Erzeugers: »Hasta la vista! Auf Wiedersehen. Das klingt nicht gerade verheißungsvoll, es hört sich eher an wie Auf-nimmer-Wiedersehen«

      »Er hat vielleicht Abhaltungen«, sagte Mama spitz, auf deren Gesicht rote Flecken erschienen.

      »Ja, die hat er ganz gewiss. Machen Sie sich nichts vor, Maria«, sagte mein geistlicher Lehrer nachlässig lachend, »der Bursche ist auf und davon, keine Tragödie, wenn ich Ihr Kind, diesen kleinen schwarzen Teufel ansehe, aber für die Schwäche Ihres Körpers sollten Sie sich doch nach einem Mann umsehen, wohlbemerkt, nach einem Ehemann, nicht diesen Windhund von Doktor.« Energisch bestritt Mama, mehr als eine vorübergehende Neigung zu Doktor Wilhelmi empfunden zu haben, wie er als ihr Beichtvater ja wohl wisse.

      »Ach, halten Sie mich nicht für dumm«, sagte er,

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