Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Jakob Ponte - Helmut H. Schulz

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Most auch noch so ungestüm gebärdet haben, eine Belehrung durch den Altmeister der Deutschen. In der Tat aber sollte ich am Ende so etwas wie ein Verkünder allerletzter Wahrheiten werden, freilich ohne selbst ganz an meine Sprüche zu glauben, und ich habe den Verdacht, mich damit in keiner kleinen Gesellschaft zu befinden. Leider aber enthält Großvaters Vorhersage meines Erachtens eine grauenhafte Wahrheit, sodass nicht mir, sondern ihm das letzte Wort zufällt. Diese Episode aus meiner Kindheit wurde später oft kolportiert. Jakob will kein Lokomotivführer werden, haha! Den Spott, der damit verbunden war, ertrug ich, eingedenk der Vorteile, die ich genoss, weil ich standhaft geblieben war. Mir ist durchaus klar gewesen, in welchem Maße ich von meiner Familie abhing. Mama, Großmutter und Großvater konnten mich, wenn sie wollten, kommandieren, was von Zeit zu Zeit auch geschah, aber ich durfte mir nicht einfallen lassen, ihnen zu befehlen. Der bloße Versuch hätte sie veranlasst, mich wie einen Hund aufzujagen. Die Beobachtung ihrer Schwächen verlangte meine höchste Konzentration. Darin brachte ich es zur Meisterschaft. Bald vermochte ich es vorauszusehen, wann der Kohleneimer so weit geleert war, dass ihn einer füllen musste. Und es gab viele, allzu viele mit Kohle geheizte Öfen im Hause! Warum sollte gerade ich derjenige sein! Gab es nicht drei rüstige Erwachsene im Haus? Und das Dienstmädchen, der am Ende diese Aufgabe zufiel, die Eimer im Keller mit Kohlen zu füllen und hinaufzuschleppen! Ich schloss mich ein, stellte mich schlafend, entlief ins Freie, bis sie die Sache erledigt hatten. Andererseits lernte ich es auch, Hinfälligkeit und Dankbarkeit vorzutäuschen. Letztere nutzte ich meist zur Vorbeugung und spielte listenreich den einen gegen den anderen aus. Wegen dieser Fähigkeiten hielten sie mich für ein fixes Kerlchen …

      Der Tonfall, in dem ich über meine ersten Lebensjahre berichte, mag aus dem Rahmen fallen, aber es muss bedacht werden, dass ich neben der vagen Erinnerung an diese Zeit nur die Möglichkeit habe, den Dingen mit meinen heutigen sprachlichen Mitteln auf den Grund zu kommen, es sei denn, Mamas Tagebücher geben darüber Auskunft. Und, ihr Knaben späterer Zeit, ihr wisst nicht, wie gut ihr es mit euren alleinerziehenden Müttern getroffen habt! Ihr könnt ihnen beinahe alles einreden und vorgaukeln; sie glauben an euch, an eure Begabung wie an eine Offenbarung! Ihr seid ihnen der Mannersatz in ihrem langweiligen Leben, es sei denn, sie wenden sich der Politik zu, um vollends zu verderben, in Geschwätz und Zank. Ich war ein Einzelkind, außerehelich gezeugt, ich trug Mamas Namen Ponte. Auf die Frage, ob ich meinen Papa liebe, hätte ich antworten müssen: »Nein, ich kenne ihn gar nicht, ich habe nur eine Mama«, aber ich sagte verlogen genug: »Ja, ich habe Papa von Herzen lieb. Leider ist er gerade nicht da.« Übrigens handelt es sich wohl um eine blöde Frage, auf die es im Grunde keine Antwort gibt, da einem Kind ja nicht anheimgestellt wird, seinen Erzeuger zu lieben, der es womöglich gar nicht gewollt hat. Facia Pater notus est, quid filius faciat, sagen klassische gebildete Menschen, von denen es damals noch viele gab, aber dass ein Vater über den Tatendrang seines Sohnes stets im Bilde ist, wie es die Römer für wünschenswert erachteten, ist zu bezweifeln. Im Regelfall hat der Erzeuger nicht die mindeste Ahnung, was der pubertierende, masturbierende Sohn treibt, ob er mit dem Geld, welches er ihm abgezapft hat, eine Grammatik kauft, wie er vorgab, oder es mit einer Dirne durchbringt, was nicht die schlechteste Art ist, Geld auszugeben. Balzac hat recht; es gehört zur Jugend, zwar nie Geld zu haben, aber immer welches zu verschleudern, und Mister Hemingway erinnerte sich nur eines Falles, wo einer seiner Söhne beim Besuch Geld mitbrachte, anstatt welches zu fordern. Die Überzeugung des lateinischen Vaters betraf mich allerdings nicht, weil mein Erzeuger entweder ein Lump oder tatsächlich verhindert war, uns nach Argentinien zu holen oder wohin es ihm sonst beliebte. Vaterrolle spielte mein Großvater, ein Mann von mittlerer Statur mit weichem Bauch und auswärts gestellten Füßen. Sein Haar floss in dichten Wellen nach hinten, und der Ausdruck seines Gesichtes verriet den Sybariten, den fröhlichen Esser und Trinker, aber auch einen sanguinischen Menschen, das Gegenteil seiner Frau, meiner Großmutter. Der scharfe Blick ihrer Raubvogelaugen, unter deren Blitzen er sich ängstlich duckte, ließ an ihrem einnehmenden herrischen Charakter keinen Zweifel. Wie schon gesagt, arbeitete Großvater als Uhrmacher und bisweilen auch als Juwelier, aber er war weder ein guter Uhrmacher noch ein talentierter Goldarbeiter; ihm fehlte es an Sitzfleisch. Nur kannte Großmutter seine Schwächen zu gut; mit Strenge bannte sie ihn an seinen Arbeitsplatz; gegen ihre Härte kam er nicht auf. Um ihn durch mich beaufsichtigen zu lassen, hatte sie einen hohen Stuhl neben seinen gestellt, damit ich zusehen konnte, wie er, die Lupe einklemmte, seinen dicken Kopf über das zuckende Uhrwerk beugte und mit einem spitzen Instrument darin herumwirtschaftete. In Augenhöhe kreiselten zierliche kleine Gazebecher mit jenen Uhren, die uns zur Reinigung anvertraut worden waren. Eigentlich hätten sie zerlegt werden müssen, und manchmal ließ sich dieser Aufwand auch nicht umgehen. Meist tat Großvater aber nur, was unbedingt nötig war.

      Wir unterhielten uns, das heißt, er erzählte, und ich hörte ihm zu. Es gab allerdings auch Tage, an denen er ruhig längere Zeit arbeitete. Sein Eifer hielt aber nicht vor, er wurde mürrisch und stellte das Reden ein; dann behauptete er, sich nicht wohlzufühlen und verschwand einfach aus der Werkstatt, angeblich einer Besorgung wegen. War es ihm gelungen, der Aufsicht seiner Frau zu entkommen, machte er einen Streifzug durch die Restaurants der Stadt. Beginnend mit dem Ratskeller, wo seine Liedertafel einmal in der Woche übte, zog er allein oder mit einem Kumpan kreuz und quer durch Müllhaeusen. Angeheitert heimgekehrt versprühte er Lebenslust, ohne Großmutters vernichtende Blicke zur Kenntnis zu nehmen. Danach erging es ihm übel, niedergeschlagen saß er an seinem Arbeitstisch und befummelte lustlos die Uhrwerke. Seine Meinungen über das Handwerk und über die Kunden, seine Urteile über Menschen klangen nach seinen Exzessen harsch und niederträchtig. »Alles Murks«, gab er kund, »früher ist es besser gewesen, die Uhren und die Menschen.« Stand er im Begriff, seine Arbeit zu unterbrechen, schob ich ihm ein Werkzeug zu, und er griff in Gedanken danach, legte es nach einem Blick wieder weg und suchte sich selbst das passende auf seiner Werkbank. »Früher«, fuhr er fort, »war auch das Essen besser und also die Köchinnen. Ist das hier ein Leben? Da höre ich diese alte Gewitterflinte«, stieß er ergrimmt aus, »ein gieriges, ein nichtsnutziges Weib. Aber deine Mutter taugt auch nicht viel. Na, die hat ja ihre Quittung gekriegt, durch diesen sogenannten Argentinier, einen gewöhnlichen Vertreter, und zwar in Staubsaugern, haha!« Großmutter warf einen Blick in die Werkstatt, sah ihren Mann arbeiten und zog sich befriedigt zurück, nicht ohne mir freundlich zuzunicken. »Da war sie schon wieder, hast du gesehen? Eine ruhelose alte Megäre«, sagte er leise, »sie denkt, ich weiß nicht, weshalb sie dich hergesetzt hat. Deine Mutter will weg, dazu braucht sie Geld. Aber daraus wird nichts, die Alte rückt nichts raus. Ich muss mir ja auch stehlen, was ich für mich brauche.«

      Wir alle hingen von seinem Fleiß ab, die Leute kamen, um ihre Uhren reparieren zu lassen, kauften aber auch den billigen Krimskrams, Vasen und Figuren, um sie in die Vitrinen zu stellen. Das Geschäft ging gut. »Es gibt sehr alte Uhren; die gehen vielleicht nicht ganz genau, aber dafür gehen sie immer, noch in hundert Jahren; man braucht sie nicht zu reparieren. Nein, man kann sie gar nicht reparieren. Dann gibt es die mittleren aus der ersten Zeit der Industrie, die gehen noch einigermaßen. Und jetzt? Alles Murks!«

      Manchmal kam es zum Krach, wenn er schlechte Arbeit geliefert und ein Kunde reklamiert hatte. Dann schoss Großmutter herein, um ihn abzukanzeln, und zischte böse: »Will Er uns ruinieren? Da, wieder eine Reklamation! Hier rumsitzen und mit dem Kind schwatzen! Wenn Er so weitermacht, werden wir eines Tages betteln müssen.« Mit dem altmodischen Er sprach sie ihren Gatten an, wenn sie sehr aufgebracht war. Sie schmetterte die beanstandete Uhr mit solcher Wucht auf den Tisch, dass die herumliegenden Teile aufflogen, als hätten sie Flügel. Großvater schrie auf und griff hastig nach den herumkollernden millimetergroßen Federchen und Rädchen; er brauche eben einen Gesellen, schrie er. Ein Werkstattgehilfe war sein Traum, nicht aber der Traum seiner Lebensgefährtin. Großmutter lachte ihm ins Gesicht. Das könne ihm so passen; unbedacht schlug er mit der weichen Faust auf die Werkbank, und abermals hüpften die Teile auf. Dann weinte er still, den Kopf auf den Arm gelegt. »Nun sieh dir diesen Jammerlappen an«, sprach Großmutter geringschätzig, während er sie, sobald das Feld von ihr geräumt worden war, seinerseits beschimpfte, ihre wahre Flüche nachschickte. »Hast du gesehen? Präg es dir gut ein, dieser verdammte alte Drachen! Nimm dich vor den Weibern in acht, mein Kind. Sie taugen allesamt nichts! Aber ich werde ihr zeigen, wer hier Herr im Hause ist! Und er schwang die Faust gegen sie, die längst wieder im

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