Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Jakob Ponte - Helmut H. Schulz

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diese frühe Hinneigung zum Menschen, zum Weibe zumal, die sich bei mir ausbildete; in der Kindergruppe wurde der Keim zu einem vorerst noch dunklen Trieb, der sinnlichen Freude am anderen Geschlecht, in mir geweckt. Ich ging also gern in die Kinderstunde und genoss die Wirkung, die ich selbst ausstrahlte. Neben mir setzten sich die hübschesten kleinen Mädchen, vielleicht weil ich heiter und gesprächig war, vielleicht aus anderen Gründen, wer weiß. Übrigens sagten alle Erwachsenen, dass die Kinderstunde einen guten Einfluss auf mich ausübe. Wir bastelten dem Führer Geschenke, oder wir schrieben Briefe an ihn, ungeachtet der Tatsache, dass wir noch gar nicht schreiben konnten. Alles wurde an den Lustsitz des Reichskanzlers geschickt. Und wirklich, er mag sich über unsere Briefe gefreut haben. Wir selber freuten uns auch, wenn es uns gelungen war, ihm einen Brief zu schreiben, das heißt, der Tante in die Feder zu diktieren. Bei meiner Neigung, alles auf mich zu beziehen, war ich nicht mehr weit davon entfernt, mit dem Führer zu sprechen, ihn zu hören, zu sehen, wie er die Lippen bewegte: Du hast mir geschrieben? Ich danke dir, Jakob! Ich werde mich erkenntlich zeigen«, denn wer etwas geschenkt bekam, dem oblag die Pflicht, seinerseits zu schenken. Ich befand mich also im Zustand völliger Unschuld, die Tante aber auch. Der Führer muss ihre erste und einzige Liebe gewesen sein. Nie gelang es ihr, das Wortpaar Unser Führer auszusprechen und in normaler seelischer Verfassung zu bleiben, meist war sie den Tränen nahe, wie ich mit Erstaunen feststellte. Die Tante fesselte mich also ungemein, und so achtete ich nicht so sehr darauf, was, sondern wie sie es sagte. Ihr Gesicht erinnerte an das eines bestimmten Vogels, und zwar des Schuhschnabels. Seiner eckigen Form wegen passte der Unterkiefer der Tante nicht recht zur oberen Gesichtshälfte. Mit träger Langsamkeit glitten die Lider über ihre gelblichen Augäpfel auf und nieder, was einen verblüffenden Effekt erzielte. Zu Hause probierte ich aus, ob ich auch die Geduld aufbringen würde, meine Lider wie Jalousien zu bewegen, worauf mir Großmutter kurzerhand verbot, solche Grimassen zu schneiden.

      Während der wöchentlichen Kinderstunde mussten wir aufstehen, und die Hand zum Deutschen Gruß erheben. Die Tante zeigte, wie man es macht; mit geschlossenen Fingern und steif abgestrecktem Arm. Verzückt starrte sie mit erhobener Hand in die Luft, dazu klappten ihre Augendeckel in der erwähnten Art und Weise, obschon ich nicht weiß, ob diese Lidträgheit allen Schuhschnäbeln eigen ist und nicht nur dem einen Exemplar, das ich im Erfurter Zoo bei einem Besuch gesehen hatte. Zwischen diesen Andachtsübungen hüpften wir im Kreise herum. Kurz gesagt, alles war so albern wie nur möglich, aber nicht ohne Wirkung auf uns, wenigstens auf mich. An den Umgang mit Erwachsenen gewöhnt, war ich Gleichaltrigen voraus und nach anfänglicher Begeisterung des Kindergartens schnell überdrüssig. Mama bestand jedoch darauf, dass ich weiter einmal wöchentlich zur Tante ging, und mir blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen.

      Eines Nachmittags, als wir im Erkerzimmer Kaffee tranken, fragte Großvater, was wir eigentlich in der Kinderstunde täten. Treuherzig berichtete ich, dass wir Briefe an den Führer schrieben, worauf Hochwürden verwundert, aber zutreffend bemerkte, dass wir ja noch nicht schreiben könnten. Also musste ich erklären, wie diese Kundgebungen unserer Loyalität zustande kamen. Dummheit, diese sogenannte Tante müsse ein ausgewachsenes Exemplar an Dummheit sein, sagte er. Großmutter nickte, aber sie schränkte ihre Zustimmung auch wieder ein, indem sie darauf hinwies, dass wir kleinen Leute mehr als andere auf den Großmut der Mächtigen angewiesen seien. Im Städtchen kannten sich alle, zumindest kannten sich diejenigen, die etwas vorstellten, oder die sich einbildeten etwas zu sein, und folglich einander hudelten, verabscheuten und anschwärzten. Der Geistliche schlug vor, mich aus der Kinderstunde herauszunehmen, selbst wenn Geschäftsleute bestimmte Rücksichten nehmen müssten, was er respektiere. Ich war aufgeregt, stand ich doch im Mittelpunkt, und ließ mich zu einer Darbietung hinreißen. Des Beifalls gewiss, machte ich vor, wie die Tante mit den Augendeckeln klappte, spielte eine regelrechte kleine Etüde und fragte mit verstellter Stimme: Möchtest du, dass ich dem Führer schreibe, wie lieb du ihn hast? Oder soll ich ihm schreiben, dass du ihn nicht lieb hast? Ich zeigte ihre Art des Deutschen Grußes; es war sicherlich eine gelungene Vorstellung meiner Anlagen und Talente, sodass sich Großvater vor Vergnügen auf die Schenkel schlug, und selbst Großmutter zu einem Lächeln bewegt wurde. Als ich geendet hatte, stieß Mama einen Seufzer des Entzückens aus, und wendete sich an alle mit der Frage, ob ich nicht zum Schauspieler geboren sei. Nur Meister Fabian, auf unser aller Wohlergehen bedacht, lächelte nicht, er hielt den Kopf gesenkt und sagte eindringlich: »Höre, Jakob, du darfst so etwas unter keinen Umständen woanders aufführen!«

      Nach einer Weile schickten sie mich nach oben; ich vermute, dass sie meinen Fall besprachen, und mich nicht dabeihaben wollten. Oben betrachtete ich den Bronzekopf des Führers, hob die Hand zum Deutschen Gruß und blickte zweifelnd auf die Büste. Er gefiel mir nicht, ich meine, er gefiel mir als Mensch aus Gips nicht, ich kannte keinen mit einem so kleinen Bart, keinen, der das Haar so merkwürdig zur Seite kämmte. Auch schien mir die Nase des Führers zu groß. Auf dem Platz unter meinem Fenster regte sich etwas, ich öffnete es weit und stellte mich so auf, dass ich gesehen werden konnte und übte öffentlich den Gruß, den ich der Tante abgelauscht hatte. Ein paar Leute blieben lachend stehen, andere zeigten nach oben und drohten mit Fäusten zu mir herauf; erschrocken warf ich das Fenster wieder zu. Mama kam hereingestürzt und fragte, ob ich verrückt geworden sei. Ihre letzten Worte klangen in mir nach: »Gott sei Dank wirst du bald zur Schule kommen, dann hören die Faxen auf!« Aber in die Kinderstunde durfte ich nicht mehr ...

      Der Leser, dessen Geduld ich mit den wahrheitsgetreuen Berichten aus meinen frühen Kindertagen in der Provinz womöglich gelangweilt habe, wird fragen, wozu das alles? In der Tat hat noch niemand eine Antwort darauf geben können, weshalb sich politische Zustimmung stets in übertreibenden Formen zu äußern pflegt. Und es sei immerhin erwähnt, dass sich der normale Zeitgenosse regelmäßig und willig unter das Joch des Gefühlskollektivs beugen lässt, und sich dabei mit sich selbst ganz im Reinen befindet. Auch die sogenannte Demokratie zeigt in ihren Ritualen Züge kollektiven Wahns, auch sie muss ihre Anhänger an die Redefront rufen, das Volk an die Pose des öffentlichen Redners und Schauspielers gewöhnen, um es auf eine Lehre einzuschwören, mit der rechten unter dem Schlüsselbein, wo sie das Herz vermuten.

      Wir treten nunmehr in meinen neuen Lebensabschnitt ein. Was bis hier geschehen, das sollte in meinem Leben gewissermaßen die Keimzelle für alles Spätere werden, ich war in meinem Grundgestus fertig, meine Erziehung war abgeschlossen. Wenn ich an anderer Stelle sagte, dass ich gut beraten gewesen bin, als ich mir das Knochenhauerinnungshaus zum Schauplatz meines ersten Wirkens aussuchte, so hätte ich mir nach beinahe sechsjähriger Lebenserfahrung wiederholen dürfen, dass es keine schlechte Wahl gewesen ist, eine, wie ich sie nicht besser hätte treffen können, wäre ich gefragt worden. Meine Großeltern sind gewöhnliche, herzenswarme, freundliche, habgierige, ziemlich nutzlose und überdies beschränkte Menschen gewesen; nur meine arme Mama brachte das Element der Gestrauchelten in unser bürgerliches Heim, und Hochwürden Fabian, den Arzt Doktor Wilhelmi an der Seite, geleitete uns sicher durch den unsicheren Alltag, wie die letzten Episoden bewiesen haben. In die Kinderstunde brauchte ich also nicht mehr zu gehen. Mama hielt es nach den Erfahrungen, die ich mit der Tante gemacht hatte, für besser, mich zu Hause unter Kontrolle zu behalten. Merkwürdigerweise sind Weltanschauungslehren darauf aus, die zahlreichen kleinen und großen Einzelwesen, deren Reichtum gerade in ihrer Individualität besteht, gleichzumachen und sich und uns einzureden, wir seien alle von ein und derselben Art, mit gleichen angeborenen Farben, Eigenschaften und Rechten, was augenscheinlich unwahr ist. Da sich dieses Kapitel mit der Erziehung kleiner Jungen und Mädchen befasst, so durfte, was ich zu berichten hatte, auch hier stehen.

      Mama abonnierte mittlerweile eine Zeitung für mich, welche sich Die Deutsche Kinderschar nannte. Es handelte sich um ein kindergerecht aufgemachtes Blatt mit lustigen Zeichnungen, kleinen Gedichten und längeren Texten; ich bin nicht sicher, ob ich sie als Prosa bezeichnen darf. Mir gefiel die Zeitung ganz außerordentlich, und Mama sagte das eine über das andere Mal zu Großmutter, sie glaubte, jetzt werde Jakob vernünftig, er nehme Lehre an und könne sich schon sehr gut in diese unsere Welt hineinversetzen. Und das stimmte, obschon ich noch immer nicht lesen und nicht einmal begreifen konnte, warum ich es lernen sollte; also mich beschäftigte die Zeitung sehr, aus der mir Großvater gern vorlas. Nach mehrmaliger Wiederholung konnte

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