Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Jakob Ponte - Helmut H. Schulz

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mich immer dringlich, wann sie endlich komme, falls der Termin ihres Erscheinens meinem Zeitgefühl nach überschritten war. Sie kam stets, wenn auch manchmal mit Verspätung. Ich wusste schon, dass ich mit zunehmendem Alter immer andere Zeitungen bekommen würde, immer größere, mit anderen Bildern und umfangreicheren Texten, und so fort bis hin zum Völkischen Beobachter, den Großvater im Abo erhielt, den Angriff, zu schweigen vom Schwarzen Corps, eine Zeitung, deren Name mir als besonders geheimnisvoll gefiel. In der Provinz wirken Symbole länger und direkter als in großen Zentren mit den Angeboten an Chiffren und Piktogrammen, die sich überdies auch noch rascher abnutzen und verbrauchen. Bis heute aber ist mir ein Gedicht aus jener Zeit im Gedächtnis geblieben, dessen stampfender Rhythmus wahrscheinlich frühzeitig meinen Sinn für das Gebrauchslyrische weckte, indem ich denn auch erfolgreich wurde. Später habe ich auf dieser frühen Erfahrung aufbauen und ein großes Publikum um mich versammeln können; nämlich als ich die Errungenschaften des Sozialismus und dahinter die strahlende Zukunft des Kommunismus in rollenden Zeilen besang, häufiger dachte ich an die erste Zeit meiner künstlerischen Bildung zurück. Daher könnte man bei meiner Autobiografie auch von einem Bildungsroman sprechen. Ein Gedicht lautet folgendermaßen: Wir sind jung, wir sind noch klein, / Wir kennen nicht Kampf noch Sorgen, /Wir wachsen in die Zeit hinein, / Wir sind das Deutschland von morgen! So die Überlieferung, und ich sehe Mama noch vor mir, die Zeitschrift auf den Knien, mit den Händen den Takt des Gedichtes schlagend, während Großmutter aus ihren scharfen beobachtenden Vogelaugen spöttische Blicke zu ihr abschoss.

      Hochwürden Fabian bewegte spielerisch die Tasse mit dem Rest Kaffee; er kippte sie so weit, dass die Flüssigkeit jeden Augenblick auszulaufen drohte; mir wäre solch ein Spiel untersagt worden. Interessiert fragte Großvater, ob vielleicht auch Noten dazu abgedruckt seien. In Musik war diese Kunst allerdings nicht gesetzt worden. In jener Zeit, ehe ich aus der Kinderstunde entfernt wurde, stand ich bei irgendeiner Gelegenheit im Wappensaal des Rathauses auf einem Podium, hinter mir die Winzlinge noch aus der Kindergruppe in Reih und Glied unter Obhut der Tante Schuhschnabel, stellte die Füße zusammen, dass sie einen rechten Winkel bildeten, hob die Hand zum Gruß und rief strahlend-frisch: Heil Hitler! Danach sprach ich mein Gedicht. Es muss ergreifend gewesen sein, viele, alle blickten ratlos ergriffen zu Boden oder weinten, standen auf und klatschten Beifall, unser Kreisleiter legte mir seine Hand auf die Schulter. Lächelnd verneigte sich Mama nach allen Seiten. Selbst Doktor Wilhelmi hatte sich von seinem Stuhl erhoben; sie trat auf ihn zu und warf sich ihm um den Hals. Beide hielten sich lange umschlungen, bis Großmutter eingriff, mich grimmig vom Podest herunterholte, mir den Mantel anzog und vor sich hin sprach: »Deine Mutter lässt wahrlich keine Gelegenheit aus, sich ins Gerede zu bringen!« Ich aber erklärte ihr, dass sie nur wütend sei, weil Doktor Wilhelmi meine Mama lieb habe und sie ihn! »Na, wahrhaftig«, sagte sie lachend, »kluges Kind, das du bist! Aber was rege ich mich über diese Hurenwirtschaft eigentlich noch auf!«

      5. Kapitel

      Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten, ein solches goethesches Weltkind bin ich gewesen oder geworden, von Propheten geleitet, von meinem Inneren her in Ängste und Rauschzustände versetzt, erlebte ich mich selber wie im Zentrum eines Wirbelsturms, ehe ich im Hafen des Erkennens und der Stille in unserer Landesnervenheilanstalt vorläufig zur Ruhe kam. Kein Mensch lernt gern, keiner arbeitet gern, und nur wenige finden Gefallen daran, sich befehlen zu lassen. Dies gehörte zu meinen kindlichen Einsichten; aber unglücklicherweise ruhen die Fundamente der Staaten just auf diesen drei Säulen, auf Bildung, Arbeit und Unterordnung. Es gibt sicher viele Arten, mit den Lebensproblemen fertig zu werden; man kann aufbegehren, kann sich fügen und in Stumpfsinn fallen; es ist eben doch nicht einfach, all die kleinen Individualisten gleichzumachen. Daher hat die Welt eine große Zahl didaktischer Systeme hervorgebracht. Hier ist zu bedenken, dass ich im Jahre meiner Einschulung 1942 erst oder beinahe schon sieben Jahre zählte; meine Erfahrungen waren auf den häuslichen Kreis verwiesen, und kulturell auf die kirchlichen Rituale beschränkt. Ich befand mich als Weltkind durchaus bereits in einem Zwiespalt, ohne diesen schon ganz zu empfinden. Um die spätere Erkenntnis hinzuzufügen; ich habe mich nie in einen Gewissenskonflikt hineinbewegen lassen, sondern alles genommen, wie es kam und mir einen Reim darauf gemacht oder, alles ging mir am Arsch vorbei, wie man heute sagt.

      Bis hier war mein Dasein von den beiden Autoritäten Staat und Kirche in Gestalt der Tante Schuhschnabel und meinem Wahlvater Fabian bestimmt. Für den katholischen Laien ist die Ordo Missae ein Buch mit sieben Siegeln, eine Art Hokuspokus; mir war sie durch den regelmäßigen Messebesuch vertraut, die reine, abwechslungsreiche bunte gedankenlose mechanische Äußerlichkeit. Die jeweilige Präfation bis zu den Höhepunkten, etwa dem Offertorium, wenn der Messpriester Kraft seiner Weihe Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi verwandelt, was nebenbei bemerkt, den spottlustigen Jean Paul dazu verleitet hat, den Priester über Gott zu stellen, weil Letzterer sich nicht selbst erschaffen könne, was der geweihte Diener des Herrn jederzeit vollbringt, in der Tat ein Widerspruch in sich und reinste Scholastik.

      Neben Großmutter in der Gebetbank kniend, nahm ich anscheinend gutgläubig auf, in Wirklichkeit aber kaum noch wahr, was vorn geschah, die verschiedenen geistlichen Gewandungen, Stola, Manipel und Zingulum, das zu den Handlungen gehörende Gerät, dem Kelchvelum, die Patene mit der Hostie, Korporale und Palla und lernte nebenher die lateinisch gesprochenen Begleittexte der Messe, das von der Gemeinde gesagte Judica me, Deus, et discorne causam maem de gente non sancte, vor dem nicht recht schaffenden Volk errette mich; oder das eindrucksvolle qui tollis peccata mundi, vom Lamm, das die Sünde der Welt trägt und so fort bis zum geläufigen Dominus vobiscum, von der Gemeinde gemurmelt. Erst durch die Übertragung ins Deutsche gewinnt das alles Sinn und wird als Symbolik vertraut. Meine Großmutter, eine reine Milieuchristin, hielt sich an Regeln, sie achtete streng auf die Formen, und ich verfolgte mechanisch, in Gedanken woanders, den Wechsel des Messpriesters und seines ministrierenden Gehilfen von der Evangelienseite auf die Seite der Epistel, oder umgekehrt, belauschte die neben mir kauernde alte Frau, saß oder stand, je nach dem es die Messregel erheischte. Da ich Hochwürden Fabian als Hausgenossen kannte und achtete, der übrigens Diakon und Domkapitular seiner Kirche war, mit dem Bild des Heiligen Sebastian neben dem Hauptaltar, dieses armen Märtyrers, dessen Körper sie mit Pfeilen gespickt haben, war er mir weniger als Geistlicher nahe, denn als Mensch, sah aber doch seiner Verwandlung in eine Art Gott und Priester mit Ehrfurcht an.

      Insofern aber war meine religiöse Bildung in der Tat nach sechs Jahren unauffälliger Erziehung so gut wie abgeschlossen, ich hätte mich als einen vollkommenen Katholiken bezeichnen dürfen, weniger als einen gläubigen. Großmutter wünschte, mich nun sobald als möglich in der Firmung zu sehen, aus welchen Gründen auch immer, indessen mein Onkel Meister Fabian den Termin hinauszögerte. Nun mag manches für ihr Verlangen gesprochen haben meine Firmung zu betreiben; noch hielt zwar das Konkordat zwischen Nationalsozialismus und Vatikan, aber einzelne Konfessionsschulen waren bereits geschlossen worden, und der Krieg schien nicht so bald enden zu wollen. Niemand konnte das Danach der Wende vorhersagen, aber dass der Friede furchtbar sein werde, weshalb sie alle den Krieg genießen sollten; diese Lehre war weit verbreitet.

      Was den Akt der Firmung selbst betrifft, so wurde sie für gewöhnlich vom Bischof vorgenommen, und sollte nur in Ausnahmefällen dem Priester überlassen bleiben. Aber ich hatte natürlich die schwarz gewandeten Bürschlein mit ihren Akkoluthen oder Beiwohnern verstört und trübsinnig wie Krähen in Reihen auf der Firmbank hocken sehen, bis sie der Bischof aufrief, ihre Stirnen mit dem Chrysamen bestrich, das Salböl mit der heiligen Watte wieder entfernte und die Firmlinge mit einer Formel auf ihren Lebensweg schickte: Ich bezeichne dich mit dem Zeichen des Kreuzes und stärke dich mit dem Chrysamen des Heiles, in nomine ... und so weiter, um nach dem Empfang des Backenstreiches mit dem Pax tecum weggeschickt zu werden. Es war das erste Mal, dass ich meinen Meister sozusagen kirchenamtlich in Stellvertretung des Bischofs beschäftigt sah und noch dazu mit mir, denn Großmutter hatte ihren Willen und meine vorzeitige Firmung durchgesetzt. So sprach er denn betont streng und ernst die Formel: Widersagt ihr dem Satan und all seiner Verführung, worauf wir, die kleine Schar Firmlinge, in corpore versprachen, ihm zu widersagen. Was im Anschluss daran, mit dem: sei

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