Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Jakob Ponte - Helmut H. Schulz

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später oft der Macht, nein, verschiedener, vieler Mächte ins Antlitz geblickt, und bin das Gefühl nie ganz losgeworden, ihr immer etwas schuldig bleiben zu müssen. Da aber alles Gewohnheit ist, schickte ich mich bald in das Unvermeidliche, was nicht heißen soll, ich hätte mich unterworfen! Im Laufe der Jahre entwickelte ich Kraft genug, um die Macht zu unterlaufen, eignete mir das Rotwelsch der Bildungsanstalt an, und bekämpfte die Einrichtung Schule von ihrem eigenen Boden aus.

      Ein Mensch namens Käsekorb unterrichtete uns in deutscher Sprache und in den Grundrechnungsarten. Das Lesen geschah vermittels der Fibel, das Schreiben auf der Schiefertafel mit einem grauen Griffel, der die Eigenschaft besaß, selbst einem leichten Druck nachzugeben und in mehrere Teile zu zerfallen. Er hinterließ grauweiße Spuren auf dem Schiefer, die sich leicht von selbst verwischten. Beide Geräte waren also eigentlich unbrauchbar, aber geeignet, Konflikte mit dem Lehrer heraufzubeschwören. Herr Käsekorb bevorzugte die Methode des kollektiven Lesens. Wir mussten die entsprechende Seite der Fibel aufschlagen und ihm nachsprechen: O-ma, O-pa, Ma-ma, O-ma und O-pa, Ma-ma und Pa-pa ... und so weiter, um eine Probe der didaktischen Kunst jenes Lehrers zu geben. Ich war zufällig nach vorn gesetzt worden und durfte wie jeder andere meinen Platz ohne Erlaubnis Käsekorbs nicht verlassen oder wechseln. Daran lag mir auch bald nichts mehr, obgleich ich zuerst lieber hinten gesessen hätte, um nicht aufzufallen. Es ist das alte Lied; in der Höhle des Löwen ist man noch immer am sichersten, oder wie ich später lernen sollte, periculosa in securitas; in der Gefahr lag auch hier Sicherheit. Nicht dass Lehrer Käsekorb einem Löwen ähnlich gesehen hätte, im Gegenteil. Beim Unterricht trat er vom Katheder herunter vor mich hin und bot einen wahrhaft exotischen Anblick. Bei seinen Monologen über die Unarten der Kinder und über die Mittel, sie zu züchtigen, schweiften seine Blicke langsam im Raum umher, blieben bald hier, bald dort haften, bis sie an der Decke zur Ruhe kamen. In diesem Falle sah ich das Unterste seiner gelblichen Augäpfel und die üppig wuchernden Haare in seinen Nasenlöchern. Einem Pesthauch gleich wehte sein Atem über mich hin, der die wunderbare Eigenschaft besaß, den Geruch aller Speisen und Getränke, die der Lehrer Käsekorb genossen hatte, auszuströmen. Ich drehte und wendete mich, um diesem Dunst zu entrinnen, aber der Lehrer legte mir seine Hände auf die Schultern und hielt mich eisern fest. Auch Käsekorbs Sprache war absonderlich; immer hatte ich Mühe, die stimmhaften von den stimmlosen Konsonanten zu unterscheiden, denn der Lehrer litt unter einem doppelten Sprachfehler. Er stieß nicht nur mit der Zunge an die Zähne des Oberkiefers, was einen Zischlaut ergab, sagte also ßwei, statt zwei; er war überdies auch der Aussprache des K nicht mächtig und bildete aus dem Wort Knie eine Vokabel, die sich wie Gnie anhörte, schriftsprachlich kaum abzubilden. Am meisten beschäftigte mich sein Name. Dazu brauchte ich meinen Lehrer gar nicht zu sehen. Selbst geringe Anlässe genügten, um Anfälle von Heiterkeit bei mir auszulösen, zum Beispiel der Anblick von altem Käse oder der eines Korbes. Harzer Käse inspirierte mich zu Hohngelächter über den Mann Käsekorb; ich verstand, dass mir dieses Gefühl half, mit dem Schrecken fertig zu werden, den Käsekorb verbreitete, der kein gemütlicher Mensch gewesen ist. Etwas lächerlich zu machen bedeutet immer den Versuch, Angst zu überwinden. Deshalb werden in Diktaturen auch die Kolporteure harmloser Witze über die Mächtigen eingesperrt, und die Sänger von höhnenden Liedern über die Schwächen autokratischer Systeme davongejagt. Umgekehrt haben die Präsidenten und Minister verstanden, dass es ihnen nicht an den Kragen geht, wenn sie die dumme Auguste gewähren und ihre Pamphlete trällern lassen, sondern dass solche Kritik sie volkstümlich macht und ihre Einrichtungen eher stabilisiert als stört.

      Der Dissident ist immer auch ein Teil des Machtgefüges, ohne es zu ahnen. Selbstverständlich finden sich auch genug Schreier, die einem Autodafé Beifall klatschen und sich der Macht bei solchen Gelegenheiten schmeichlerisch anbieten. Seume sagt darüber kurz und bündig, aber zutreffend: vor dem Liede zittern die Tyrannen ... Käsekorb war also alles andere als lächerlich. Er pflegte Vergehen mit einem dünnen federnden Rohrstock zu bestrafen, indem er mit kurzen geübten Hieben über die Fingerspitzen kleiner Kinder schlug. Unter seiner Anleitung kratzte ich mit dem Griffel Schriftzeichen auf die Schiefertafel, bemüht, ihn nicht zu zerbrechen, und schrieb sütterlinschriftliche, bald auch lateinische Buchstaben in ein Heft. Diesem Lehrer verdanke ich auch erste Kenntnisse im Subtrahieren und Addieren und die Reihen des kleinen Einmaleins, ließ mich aber auch in die Irre führen und nahm alles genauer als nötig, schrieb ßwei statt zwei, weil Lehrer Käsekorb verlangte, wie man's spricht, nur sprach er es eben anders, als man schrieb.

      Nach den ersten großen Ferien trat er vor die Klasse und malte ein Wort an die Tafel, mit dem Befehl, es sich zu merken. Hinfort redeten wir ihn als Herr Caskorbi an. Mit dem Namen Käsekorb schwand der ihm anhaftende Geruch. Allerdings verlor der Lehrer Caskorbi nach seinem Namenswechsel für mich menschlich alles Interessante. Gleichgültig sah ich seinen Auftritten entgegen und verstand es auch bald, mich seiner Tyrannei zu entziehen und ihn als einen unberechenbaren und gefährlichen Trottel mit Vorsicht zu behandeln.

      Der Pedanterie einer alten Jungfer blieb es vorbehalten, mir die Musik für einige Zeit zu verleiden. In ihren Adern schien kein Blut zu rollen, sondern ein Gemisch aus Wasser, Säure und Bitterstoff. Wenn Fräulein Krebs den Kopf nach hinten oder zur Seite warf, so flogen ein paar Ohrgehänge wie aus einer Schleuder mit herum, sodass ich immer fürchtete, sie müssten ihre Ohrläppchen, die freilich ungemein lang herabhingen, zerreißen. Sobald sie uns zum Singen aufrief, schlich sie durch die Reihen, den Kopf vorgestreckt, um einen Brummer zu erwischen. Die Geige wie eine Wippe unter den Arm geklemmt, den Bogen zum Kampf gegen die Kinder gezückt, blieb sie bei diesem oder jenem stehen, und stieß misstönende schrille Rufe aus. Das gepeinigte Kind sang lauter und demzufolge falscher, was die Lehrerin veranlasste, es je nach Geschlecht als einen Ochsen oder als eine Kuh zu bezeichnen. Kühe allerdings hatten wir keine in der Klasse, weil die Einrichtung in Geschlechtern getrennt war. Zur Strafe musste der Brummer allein singen, was allemal kläglich ausfiel, denn man kann einen Menschen zwingen Steine zu klopfen, ihn aber nicht zum harmonischen Singen bewegen. Meine schlechten Noten in Musik konnten sich meine Angehörigen nicht erklären, denn zu Hause sang ich wie eine Lerche und bin wie erwähnt auch zur Verstärkung des Laienchores als Kindersopran herbeigezogen worden, einmal sogar als Aushilfe bei der Oper als einer der Drei Knaben in der Zauberflöte des Musikmagiers Wolfgang Amadeus.

      Am ehesten zu ertragen war der Turnlehrer, der eine Trillerpfeife zwischen den Zähnen hielt, wenn er uns im Laufschritt durch die Turnhalle trieb, in einem verblödenden Trab, bei dem wir uns anrempelten und mit den Ellenbogen stießen, froh, uns bewegen zu können. Der aufmerksam gewordene Lehrer pfiff Protest und brachte uns wieder zur Ordnung. Er verschmähte es zu prügeln, zog aber körperbegabte Menschen in auffallender Weise vor. Ich hatte das Glück, meine Gliedmaßen gut zu beherrschen; auch gefielen mir die Leibesübungen am Turnreck und an der Kletterstange, sie kamen meinem Drang nach Bewegung entgegen. Fröhlich schwang ich meinen dürren Leib zwischen den Holmen des Barrens, und Lehrer Marx, so hieß er, sah es mit Wohlgefallen. Andere Pädagogen gab es in der sogenannten Volksschule nicht, als die, von denen ich berichtet habe; sie sind Plagen genug gewesen.

      Endlich machte ich die Bekanntschaft anderer junger Menschen und zog einen großen Nutzen daraus. Da einige meiner Jugendfreunde den Leser durch meinen Bericht begleiten werden, sollen hier erste Beschreibungen ihrer Vorzüge und Schwächen folgen.

      Zuerst aber muss eine kurze Bilanz gezogen werden. Es war nicht zu leugnen und gab nichts zu beschönigen, im Ganzen bereitete mir die Schule kein Vergnügen, und da ich sie nicht lieben konnte, rächte sie sich mit miserablen Zensuren. Das wiederum regte meine Familie zur Kritik an. Wieder fielen negative Äußerungen über meinen abwesenden und fraglichen Vater, Worte, deren Härte und Feindseligkeit mich befremdeten. »Er wird genauso faul wie der Argentinier«, hieß es über mich. »Was hat er denn eigentlich geleistet, dieser sogenannte Argentinier? Staubsauger verkauft hat er! Ein Vertreter also, haha!«

      Zu jener Zeit wurden die Kinder zu Ostern eingeschult. Wir arbeiteten uns einige Wochen lang bis zu den großen Ferien hindurch ab, die allerdings kürzer waren als heute und etwa im Juli begannen. Wir vergessen leicht, ich habe schon darauf hingewiesen, dass Kinder einen anderen Zeitbegriff haben als wir, die Erwachsenen, deren Tag aus vielen Gründen kürzer

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