Sonne am Westufer. Fabian Holting
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sonne am Westufer - Fabian Holting страница 3
»Buona sera«, begrüßte Bessell den alten Mann, der seinen Gruß ein wenig heiser erwiderte und gleich anfing auf Italienisch über das schlechte Wetter zu schimpfen, ohne es aber allzu ernst damit zu meinen. Währenddessen stand der Dackel neben ihnen und zitterte am ganzen Leib. Gelegentlich sah er mit seinen wässrigen Augen traurig zu seinem Herrchen auf und schien wissen zu wollen, wann es endlich weiterginge. Nachdem alles über das Wetter gesagt war, verabschiedete sich der alte Mann und beide gingen sie wieder ihres Weges. Bessell sprach fließend Italienisch. Seine Mutter war Italienerin und hatte ihn zweisprachig erzogen.
Als Bessell das Restaurant an der Hauptstraße von San Nazzaro erreichte, fing es wieder an zu regnen. Unter einem schmalen Vordach neben dem Eingang saß ein Mann mittleren Alters mit Schlips und im Anzug. Er hatte seinen rechten Ellenbogen auf einem runden Caféhaustisch aufgestützt und hielt lässig eine Brissago zwischen Daumen und Zeigefinger. Genüsslich blies er mit geschürzten Lippen den dünnen Rauch in den trüben Lichtschein einer kleinen Außenlampe neben der Eingangstür. Dabei schaute er gedankenverloren auf die gähnend leere Terrasse des Restaurants, die im Sommer mit Tischen und Stühlen voll stand. Auf den Pflastersteinen hatten sich große Regenpfützen gebildet. Mit einem tiefen Grummeln erwiderte er Bessells Gruß und hob die Hand, mit der er den langen dünnen Zigarillo hielt, noch etwas höher. Ein überheizter und etwas stickiger Gastraum empfing Bessell. Das kalte Licht weniger Neonlampen unter der holzgetäfelten Decke erhellte den Raum gerade so, dass es noch halbwegs gemütlich wirkte. Es waren nur noch wenige Tische besetzt. An zwei Tischen wurde noch gegessen. Die übrigen Gäste waren damit beschäftigt, sich bei einem Glas Wein über Gott und die Welt zu unterhalten. An einer Art Stammtisch saßen drei Männer und unterhielten sich mit lauten Stimmen. Während einer der Männer kaum dreißig Jahre alt sein konnte, mussten seine beiden Gesprächspartner nahe dem Rentenalter sein. Bessell setzte sich ganz in die Nähe, an einen freien Tisch, direkt vor eines der vorhanglosen Fenster, in denen sich die Szenerie des Gastraumes schemenhaft spiegelte. Zufrieden sah er in die Runde und lehnte sich in seinem Stuhl etwas zurück. Bessell mochte die authentische Atmosphäre dieses Restaurants, auch wenn er sich gerade jetzt im Winter eine andere Deckenbeleuchtung gewünscht hätte. Der Wirt, der ihn bereits kannte, trat an seinen Tisch heran und begrüßte ihn freundlich. Gleich hinter ihm folgte die Bedienung, eine junge Frau um die zwanzig Jahre alt mit hohen Wangenknochen und lockigen brünetten Haaren. Sie erinnerte Bessell an die junge Sophia Loren, wenngleich ihre Taille nicht ganz so schlank und ihre Lippen weniger voll waren. Bessell nahm die Speisekarte entgegen und bestellte sich eine kleine Karaffe Merlot Ticino. Der Merlot wurde gebracht, während Bessell noch darüber grübelte, was er zu Abend essen könnte. Als er sich einige Minuten später bei der Bedienung Risottoreis mit Schweinerippchen bestellte, kam der Brissago-Raucher von draußen herein und setzte sich zu den drei Männern. Seit einigen Minuten schon, hatten sie sich über geklaute Schweizer Bankdaten unterhalten und ließen ihrer Empörung darüber freien Lauf. Besonders die beiden älteren Männer sprachen von Datendieben und Wirtschaftsspionen, die für lange Jahre eingesperrt gehörten. Als sie auf die deutschen Behörden als Käufer dieser Daten zu sprechen kamen, sahen sie zu Bessell herüber. Bessell kannte allenfalls einen der Männer vom Sehen, doch sie wussten offenbar, dass er aus Deutschland kam. Nachdem Bessell scheinbar teilnahmslos aus seinem Weinglas getrunken hatte und sich wieder gemütlich zurücklehnen wollte, sprach ihn einer der beiden älteren Männer auf Italienisch an.
»Was halten Sie von deutschen Behörden, die Hehlerware von Kriminellen kaufen?« Ohne ein Wort zu sagen, lächelte Bessell die vier Herren an. Dann räusperte er sich verlegen. Das Gespräch hatte er zwar aufmerksam verfolgt, aber dabei versucht sich nichts anmerken zu lassen. Obwohl ihn das Thema interessierte, verspürte er wenig Lust, kurz vor dem Abendessen mit voreingenommenen Schweizern eine tiefgründige Diskussion über dieses brisante Thema zu führen.
»Nun …«, fing er an und sah dabei hinüber zum Tresen, weil er hoffte, dass die Bedienung ihm gleich seine Schweinerippchen bringen würde. Dann hätte er eine Ausrede, nicht allzu viel zu diesem Thema beitragen zu müssen.
»Wissen Sie, das ist keine einfache Frage. Als kleiner Steuerzahler ärgert man sich natürlich über die Steuerflüchtlinge und sieht es gerne, wenn der Staat dem ein Ende macht. Schließlich macht es einen auch wütend zu sehen, wie Schulen, Kindergärten oder auch Universitäten langsam verkommen oder was noch viel schlimmer ist, gar nicht erst gebaut werden.« Bessell dachte nach.
Er hatte wenig Interesse daran, seine Standpunkte vor diesen Männern zu vertreten. Der Mann mit Schlips und Kragen, der draußen vor der Tür die Brissago geraucht hatte, nutzte Bessells Gedankenpause und hakte nach.
»Aber ist der Staat dann berechtigt, gegen die Steuerbetrüger mit kriminellen Mitteln vorzugehen und andere dazu anzustiften, vertrauensvolle Daten zu klauen und an den Höchstbietenden zu verkaufen?«
Bessell dachte einen Moment darüber nach, dann antwortete er:
»Zu solchen Mitteln haben Staaten immer schon gegriffen, aber keiner regt sich auf, wenn auf diese Weise Gewaltverbrecher, Vergewaltiger oder Terroristen überführt werden. Nur wenn es scheinbar unbescholtenen Bürgern an den Kragen geht, dann gibt es auf einmal Bedenken.«
Einer von den beiden älteren Männern machte eine abweisende Handbewegung. Der Jüngste am Tisch musste lachen, weil er schon ahnte, dass es bei dieser Diskussion keine Einigung gäbe. Die Bedienung kam mit Bessels Risottoreis und den Schweinerippchen und stellte beides freundlich lächelnd auf den Tisch. Sie drehte sich um und erkundigte sich bei den vier Männern, ob sie noch etwas bringen könnte. Der Mann im Anzug bestellte fünf Grappa und sah Bessell dabei wohlwollend an. Bessell hatte bereits bemerkt, dass keiner von ihnen diesen Meinungsaustausch furchtbar ernst nahm. Trotzdem wollte er noch etwas hinzufügen, um die Wogen ein wenig zu glätten.
»Aber vielleicht machen die deutschen Behörden es den Steuerflüchtlingen auch zu leicht und deshalb sollten sie sich erst einmal an die eigene Nase fassen und die Steuergesetze verschärfen.«
Bessell rückte seinen Teller zurecht und nahm das Besteck in die Hand. Während der Jüngste in der Runde wieder leise lachte, pflichteten die drei anderen Männer Bessell bei. Die Grappas wurden gebracht. Bessell legte das Besteck aus der Hand und griff nach dem kleinen Glas. Er bedankte sich, und nachdem sie sich zugeprostet hatten, kippte er die Hälfte des Tresterschnapses hinunter. Dann aß er weiter und wenig später standen die Männer auf. Sie verabschiedeten sich laut rufend vom Wirt und anschließend von Bessell. Einer der Männer klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Dann kehrte Ruhe ein und zum Schluss saß Bessell als letzter Gast allein im Restaurant. Er hatte sich noch einen doppelten Espresso und einen italienischen Weinbrand bringen lassen. Vielleicht würde er später in seiner Wohnung noch einmal an sein Notebook gehen und die eine oder andere Seite schreiben. Er hatte schon öfter nachts gearbeitet. Die Bedienung räumte der Reihe nach die Tische ab und wischte sie sauber. Der Wirt setzte sich zu Bessell. Sie sprachen über das Wetter und die Sommertouristen, deren Anzahl nach Meinung des Wirts im letzten Jahr deutlich geringer war, als in den Jahren zuvor.
Während der Wirt mit ihm sprach, hielt Bessell seine dickwandige Espressotasse in der Hand und betrachtete die angetrocknete Crema. Er war mit den Gedanken ganz woanders.
Bei aufziehendem Nebel ging Bessell den Weg zurück zu seiner kleinen Wohnung im Nachbarort. Um diese Zeit fuhr auf der Uferstraße nur noch gelegentlich ein Auto oder Lasterwagen an ihm vorbei. Über dem See lagen schon dichte Nebelschwaden und die Lichter am gegenüberliegenden Ufer waren nicht mehr zu erkennen. Das leise Plätschern der Wellen drang nur noch gedämpft zu ihm hinauf. Der Wind über dem Wasser