Sonne am Westufer. Fabian Holting

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Sonne am Westufer - Fabian Holting

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und warteten jetzt ungeduldig vor ihrem Fahrzeug stehend auf ihren traurigen Einsatz. Die Leute von der Spurensicherung waren wohl noch längst nicht mit ihrer Arbeit fertig. Die beiden Kriminalbeamten in Zivil waren nicht mehr zu sehen. Vermutlich standen sie noch unten am Ufer, machten sich ein Bild von der ganzen Angelegenheit und ließen sich die ersten Erkenntnisse von den Kollegen der Spurensicherung mitteilen. Bessell sah sich das Ganze von der Ferne aus nur noch einen kurzen Augenblick an und drehte dann ab, um die wenigen Schritte zu dem kleinen Lebensmittelgeschäft zu gehen. Vor dem Schaufenster standen drei Frauen und sahen hinüber zum Schauplatz des Geschehens. Dabei unterhielten sie sich mit ausdrucksvollen Gesten. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie von Bessell keinerlei Notiz nahmen. Auch Bessells zaghafter Versuch zu grüßen, wurde nicht erwidert. Im Laden nahm er nur einen Einkaufskorb, schlenderte langsam und ohne Hast zwischen den Regalen umher und wählte nach und nach das Nötigste aus. Brot, etwas Aufschnitt, eine Packung Eier sowie Reis und Nudeln. Die Kassiererin, eine junge Frau, bediente ihn so neutral, als wäre im Ort nichts weiter vorgefallen. Kurz zuvor hatte sie noch Weinflaschen in ein Regal einsortiert. Sie schien sich für den Toten am See nicht weiter zu interessieren und wünschte Bessell beim Verlassen des Ladens einen schönen Tag. Bessell stand wieder auf der Straße; das Bild war unverändert. Auch die drei Frauen waren noch immer da und schauten hinüber. Bessell ging die Hauptstraße entlang, und als er an seiner Straße angelangt war, blieb er nicht noch einmal stehen, um hinüberzuschauen, sondern ging gleich weiter zu seiner Wohnung. Obwohl es immer noch so aussah, als könnte es jederzeit regnen, war es die ganze Zeit über trocken geblieben. Die geschlossene Wolkendecke hatte also dicht gehalten. Über den Hügelzügen oberhalb des Ortes zogen vereinzelt Wolken dahin, als hätten sie sich von den anderen losgerissen. Auf den Stufen zu Bessells Ferienwohnung standen zwei Männer. Sie lehnten lässig am Treppengeländer und schienen sich über etwas zu unterhalten, was beide zum Lachen brachte. Als einer der Männer Bessell sah, hörte er abrupt auf zu lachen und ging die wenigen Stufen hinunter auf die Straße. Schon von Weitem sprach er Bessell auf Italienisch an.

      »Signore Bessell, habe ich recht?« Bessell nickte erstaunt.

      »Wir haben auf Sie gewartet, weil wir ihnen einige Fragen stellen möchten.« Der zweite Mann kam jetzt ebenfalls die Treppe hinunter.

      »Aber entschuldigen Sie«, fügte der Mann, der ihn angesprochen hatte hinzu, während er ihm die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte.

      »Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Angelo Favalli und das ist mein Kollege Fabio Caroni. Wir sind von der Polizia Cantonale in Locarno. Bessell gab auch dem anderen Mann die Hand. Am Fenster gegenüber bewegte sich etwas. Bessell blickte hinüber und sah Frau Hengartner für einen kurzen Augenblick am Fenster stehen. Gleich darauf trat sie vom Fenster zurück und ihre Konturen verschwanden. Favalli und sein Kollege hatten den kurzen Blickkontakt mitbekommen. Sie sahen einander kurz an, dann wandte sich Favalli wieder Bessell zu.

      »Vielleicht können wir uns in Ihrem Haus weiter unterhalten?«

      »Aber natürlich, gerne«, sagte Bessell wenig überzeugend. Bessell ging voraus und holte im Gehen seinen Schlüssel aus der Hosentasche. Als er aufgeschlossen hatte, bat er die beiden Männer hinein und während sie an ihm vorbei in die Wohnung gingen schaute er noch einmal hinüber zum Fenster auf der gegenüberliegenden Seite. Doch das Tageslicht spiegelte sich zu stark in der Fensterscheibe, so dass er nichts und niemanden sehen konnte. Bessell führte die Polizeibeamten in eine Art Wohnküche. Die Ferienwohnung bestand nur aus diesem Raum, einer kleinen Abstellkammer und einem Schlafzimmer und einem recht großzügigen Badezimmer. Favalli trat an Bessells Schreibtisch heran, während sein Kollege den Kaminofen in der anderen Ecke des Raumes scheinbar teilnahmslos musterte. Bessell stand etwas unbeholfen in der Mitte des Zimmers und sah mal zu dem einen und mal zu dem anderen Polizeibeamten. Die beiden Männer waren etwa Mitte dreißig, sehr sportliche Typen und ungefähr gleich groß. Mit ihren schwarzen, in etwa gleich lang geschnittenen Haaren sahen sie sich sogar ähnlich. Doch während Favalli einen Dreitagebart trug, war das Gesicht seines Kollegen glattrasiert. Beide trugen sie kurze Lederjacken, die jedoch vollkommen unterschiedlich geschnitten waren und einen voneinander deutlich abweichenden Geschmack verrieten. Als würde der Anblick eines Notebooks und ein unaufgeräumter Schreibtisch, auf dem sich bedruckte Papiere, Zeitungsartikel und das eine oder andere Buch stapelten, Hinweis genug sein, bemerkte Favalli ohne Bessell dabei anzusehen:

      »Sie sind also Schriftsteller?« Seine Stimme klang etwas ungläubig.

      »Ich schreibe, das ist richtig, aber ich bin noch ganz am Anfang und habe erst einen Roman bei einem kleinen, unbedeutenden Verlag unterbringen können«. Bessell war anzusehen, dass ihm die Situation mit den beiden Polizisten in seiner Wohnung unangenehm war. Er fragte sich die ganze Zeit, warum sie gerade ihn aufgesucht hatten. Außerdem hatte er längst bemerkt, dass sie Informationen zu seiner Person eingeholt hatten. Wie sonst, hätte der Mann mit dem Namen Favalli ihn gleich auf seine schriftstellerischen Ambitionen ansprechen können. Zudem sprachen sie ihn gleich auf Italienisch an. Bessell bat den beiden Männern an, sich zu setzen. Es machte ihn nervös, dass sie im Raum umhergingen und alles neugierig betrachteten. Außerdem wollte er endlich wissen, was sie eigentlich von ihm wollten. Gehorsam folgten sie Bessells Angebot und nahmen auf einem Sofa gleich neben dem Kaminofen Platz. Bessell setzte sich ihnen gegenüber auf einen breiten Sessel.

      Für einen kurzen Moment saßen sie sich schweigend gegenüber. Beide Kommissare hatten ihre Ellenbogen auf die Oberschenkel aufgestützt und eine nach vorn gerichtete Sitzposition eingenommen. Während Kommissar Caroni noch immer etwas verlegen wirkte und seinen Blick durchs Zimmer wandern ließ, schaute Angelo Favalli mit einem fragenden Gesichtsausdruck Bessell an. Bessell hatte sich im Sessel zurückgelehnt und wartete auf ein Ende des allgemeinen Schweigens, dessen Dauer ihm mittlerweile wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Favalli senkte seinen Blick und betrachtete für einen kurzen Augenblick die Innenflächen seiner Hände. Dann ließ er sich auf dem Sofa zurückfallen, platzierte seinen linken Arm auf dem Polster der Rückenlehne, so dass es beinahe so aussah, als wollte er seinem Kollegen die Hand auf die Schulter legen. Und bevor er anfing zu sprechen, sah er Bessell noch einmal eindringlich und übertrieben wichtig in die Augen.

      »Wie lange kennen Sie schon Frau Hengartner, Ihre Nachbarin?«

      Favalli nahm Bessells verblüfften Gesichtsausdruck wahr, der sich noch immer nicht vorstellen konnte, was die beiden Polizisten überhaupt von ihm wollten. Natürlich war ihm bereits in den Sinn gekommen, dass es sich um den Toten unten am Strand um jemanden aus dem Ort handeln konnte, aber warum man gerade ihn befragen wollte, einen Zugezogenen, der obendrein erst wenige Monate hier wohnte, war ihm vollkommen schleierhaft.

      »Kennen ist wohl zu viel gesagt. Wir sind uns schon hier vor dem Haus begegnet. Sie ist ja nur gelegentlich da, um nach dem Rechten zu sehen. Zumindest jetzt in den Wintermonaten.«

      Bessell hatte nicht gleich an das Gespräch mit Frau Hengartner in dem Restaurant in San Nazzaro gedacht. Jetzt fiel es ihm wieder ein, doch er schwieg darüber. Favalli fuhr sich mit der Hand durch die nach hinten gekämmten Haare. Sein Kollege Caroni saß mittlerweile etwas teilnahmslos daneben und starrte Bessell an, als würde dieser nicht auf Italienisch antworten, sondern in einer ihm völligen fremden Sprache.

      »Und Herrn Hengartner, wie oft sind Sie ihm schon begegnet?«

      »Ihm noch seltener, schließlich wohne ich hier in Gerra noch nicht sehr lange.«

      »Wann genau haben Sie die Wohnung bezogen?«

      »Erst letztes Jahr im November, aber ich war im Sommer für zwei Wochen hier und dann noch einmal Ende September für wenige Tage.«

      Der Tote musste irgendetwas mit seinen Nachbarn, zu tun haben. Soviel war Bessell jetzt klar geworden. Doch er traute sich nicht zu fragen, zumal er davon überzeugt war, dass die beiden Kommissare es ihm ohnehin noch anvertrauen würden. Nach einer kurzen

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