Sonne am Westufer. Fabian Holting
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Die Arbeit gefiel ihm nicht besonders und Saskia bekam er kaum noch zu Gesicht, weil sie beständig auf Reisen war. Und dann hatte er es satt und kündigte. Er wollte von da an Romane schreiben und vielleicht würde er auch das irgendwann einmal bereuen. Es kam ihm schon jetzt vor, wie der Sprung aus einem Flugzeug, ohne zu wissen, ob der Fallschirm, den er am Leibe trug, auch wirklich funktionsfähig war. Ein freier Fall eben, mit ungewissem Ausgang. Ein Sprung von der Klippe, in der Hoffnung, dass das Wasser, in das er fiel, auch tief genug sein würde.
5
Das Boot schaukelte in gemächlichem Tempo über die im Laufe des Nachmittags in Bewegung geratene Wasseroberfläche. Kreuz und quer kräuselten sich kleine Wellen wie brodelndes Wasser in einem Kochtopf und schwappten gegen den Bug und die Außenwände des Bootes. Doch der Wellengang war harmlos und Bessell hätte auch schneller fahren können, aber er wollte nicht riskieren, dass seine Einkäufe, die sich in der blauen Klappbox zu seinen Füßen stapelten, nass wurden. Die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden, die den See schützend umgaben. Doch der Tag leuchtete noch nach, und bis die Dunkelheit endgültig über den See und seine Uferorte hereinbrechen würde, hätte Bessell längst wieder seine Anlegestelle erreicht. Dennoch hatte er das grün-rote Buglicht und das weiße Hecklicht angeschaltet, obwohl weit und breit kein Boot zu sehen war. Diesmal würde er in weitem Bogen seine Anlegestelle ansteuern, genauso, wie das Linienschiff im Sommer. Der laute Signalton des Zuges war kurz und eindringlich zu hören. Der Zug mit seinen hell erleuchteten Waggons schien mitten durch die Häuser des Ortes zu fahren. Oben an der Hauptstraße stand jemand. Es war eine Frau, die in eine braune Daunenjacke gehüllt war und zu ihm hinuntersah. Im dämmrigen Licht konnte Bessell nicht erkennen, wer es war. Als sein Boot den kleinen Anleger erreicht hatte, geriet die Hauptstraße mit seinem Fußweg aus seinem Sichtfeld. Er machte das Boot fest und stieg die Leiter hinauf. Als er die Seilwinde in Betrieb nehmen wollte, hörte er oben an der Straße das Quietschen der Pforte. Er betätigte die elektrische Seilwinde, und als der Haken direkt über dem Boot hing, stieg er die Leiter wieder hinunter. In diesem Moment sah er im Augenwinkel die Frau mit der Daunenjacke. Sie stand an der Brüstung der Liegewiese und blickte zu ihm herunter. Bessell blieb auf der Leiter stehen und sah zu ihr hinauf. Es war Frau Hengartner. Sie winkte ihm zu und rang sich ein gequältes Lächeln ab.
»Guten Abend Frau Hengartner«, sagte Bessell überrascht. Er sah sie fast vorwurfsvoll an, als wäre sie ein krankes Kind, das gegen die Anweisungen der Eltern einfach aufgestanden und nach draußen gegangen war. Noch bevor Frau Hengartner antworten konnte, fügte er hinzu:
»Warten Sie, ich will nur schnell das Boot versorgen und dann komme ich zu Ihnen hinauf.«
Bessell befestigte die Taue, führte sie in der Mitte zusammen und verschnürte sie. Das Boot durfte beim Hochziehen nicht kippen, zumal er die Klappbox mit seinen Einkäufen drin stehen lassen wollte. Nachdem er das Boot an den Haken genommen hatte, kletterte er die Leiter nach oben und betätigte die elektrische Schaltung der Seilwinde. Schmatzend und mit zu vernachlässigender Schieflage trennte sich der Bootsrumpf vom Wasser und schwebte empor. Zuvor hatte das Boot mehrere kleine Wellenschläge mitbekommen, die es in der Luft leicht zum Schaukeln gebracht hatte. Oben im Bootshaus stehend, konnte Bessell Frau Hengartner nicht sehen, doch sie hatte zunächst ihn und anschließend die Bewegungen des Bootes die ganze Zeit über genau beobachtet. Nachdem er das Boot hinübergeschwenkt hatte und es an der richtigen Stelle im Bootshaus hing, hievte er die Klappbox heraus und nahm sich seinen Rucksack. Mit der Klappbox vor dem Bauch und dem Rucksack auf dem Rücken gelangte er zur Bootshaustür, die Frau Hengartner bereits geöffnet hatte. Er hatte ganz vergessen, sie von innen abzuschließen. Mit verschränkten Armen empfing sie ihn. Trotz der dicken Daunenjacke schien ihr kalt zu sein. Sie hatte Ringe unter ihren leicht geröteten Augen. Sie musste geweint haben und sah zudem sehr müde aus. Mit der Hand strich sie sich eine braune Haarlocke aus dem Gesicht. Sie hatte hübsche, fast noch jugendliche Hände. Während bei den meisten Menschen die Hände als Erstes das wahre Alter erkennen ließen, konnte bei ihr davon nicht die Rede sein. Als sie Bessell direkt in die Augen sah, schloss sich ihr Mund und ihre Lippen nahmen die sinnliche und faszinierende