Sonne am Westufer. Fabian Holting

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Sonne am Westufer - Fabian Holting

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wohl als das unspektakulärste bezeichnen können. Es war ein deutsches Fabrikat, eine Buster S in sehr spartanischer Ausführung. Doch immerhin hatte es eine Steuerradlenkung, so dass Bessell nicht immerfort die Ruderpinne umklammern musste. Er hatte das Boot bereits einmal ausgiebigst im Herbst genutzt. Der kleine Außenborder erlaubte zwar keine großen Geschwindigkeiten, doch es war für Bessells Zwecke allemal ausreichend. Es schien noch genügend Benzin im Tank zu sein. Bessell entdeckte auch noch einen kleinen Benzinkanister. Er war sich zwar nicht sicher, ob er seiner Vermieterin gehörte, dennoch beschloss er, ihn vorsichtshalber mitzunehmen. Nachdem er die Plane entfernt hatte, ließ er das kleine Sportboot mit einer Seilwinde zu Wasser, stieg dann die Leiter noch zweimal hinunter, bis er alles verstaut hatte. Der Außenborder sprang sofort an. Mit ruhig tuckerndem Motor glitt er auf der Wasseroberfläche dahin. Obwohl Samstag war, musste er eine Weile Ausschau halten, bis er zwei weitere Boote in einiger Entfernung entdeckte. Im kleinen Anlegehafen des Ortes war ein alter Mann dabei, sein Boot ebenfalls Klarschiff zu machen, während die übrigen Boote unter ihren Planen weggeduckt zu schlafen schienen. Bessell winkte freundlich. Der Mann erwiderte seinen Gruß und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Auch Bessell fühlte sich gut. Leise klatschte das Wasser unter dem Bug. Das vertraute Geräusch wirkte auf ihn beruhigend. Seine Eltern hatten ebenfalls ein kleines Sportboot gehabt. Als sein Vater vor knapp fünf Jahren starb, hatte seine Mutter es verkauft. Immer wenn Bessell die Gelegenheit hatte, mit einem ähnlichen Boot auf einem See zu fahren, musste er an seinen Vater denken. Diese Gedanken machten ihn traurig, doch er fühlte sich frei und selbstbestimmt, wenn er das Ruder in Händen hielt. Er hätte schon weiter auf den See hinausfahren können, doch von Neugierde getrieben, fuhr er in geringer Entfernung am Ufer entlang. Mit Schwimmern brauchte er um diese Jahreszeit nicht zu rechnen. Hinter einer kleinen Landzunge, auf der besonders schöne Villen direkt am Ufer errichtet worden waren, musste eigentlich die Stelle kommen, wo der Junge Herrn Hengartner gefunden hatte. Bessell hielt weiter darauf zu, doch um nicht zu neugierig zu erscheinen, sah er nur beiläufig hinüber. Ansonsten versuchte er den Blick geradeaus zu halten. Am Ufer und auf den Terrassen und Balkonen war niemand zu sehen. An dem schmalen Kiesstrand sah alles ganz harmlos aus. Die niedrigen Strandweiden, die im Sommer einen kurzen aber begehrten Schatten warfen, wurden sanft vom Wasser umspült. Die Steinmauern der Terrassengärten vermittelten dem nur wenige Meter breiten Kiesstrand eine private Geborgenheit, die nicht mehr häufig am Schweizer Westufer des Lago Maggiore zu finden war. Wenn die beiden Flatterbänder der Polizei nicht gewesen wären, die den Weg zu den ausgetretenen Steintreppen absperrten, dann hätte man immer noch meinen können, den friedlichsten Ort auf Erden vor sich zu haben. Als Bessell sich noch ein letztes Mal umblickte und sich dabei fragte, ob die Villen am Strand gestern Abend wohl bewohnt waren, sah er Favalli hinter einem der Flatterbänder stehen. Wie ein Geist oder eine unverhoffte Erscheinung, stand er plötzlich da und blickte zu ihm herüber. Bessell wandte sich gleich darauf ab, schaltete einen Gang höher und kehrte, indem er auf den See hinausfuhr, Favalli den Rücken zu. Vermutlich hatte Favalli ihn im Schutz der Häuserecke schon länger beobachtet. Bessell hielt auf die Brissago Inseln zu. Der Fahrtwind trieb ihm Tränen in die Augen und zerzauste sein Haar, doch er war nicht besonders kalt. Das Bug des Bootes hob und senkte sich in schneller Folge. Die Gischt befeuchtete sein Gesicht. Hin und wieder schwappte etwas Wasser von einer Bugwelle ins Boot. Bessell kümmerte es wenig. Er ärgerte sich, aus lauter Neugierde so dicht am Ufer entlang gefahren zu sein. Überhaupt hatte er den Eindruck, immer das Falsche zu tun, und das schon seit vielen Jahren. Nach dem Abitur wollte er Lehrer werden, die erste Fehlentscheidung. Als er es endlich bemerkt hatte, begann er Germanistik zu studieren. Ebenfalls ein Fehler, wie er später fand. Am Ende stand er ohne Abschluss da. Dann lernte er Saskia kennen, die vielbeschäftigte, hoffnungsvolle und aufstrebende Journalistin, die immer nur ihre Karriere im Kopf hatte. Und dennoch heiratete er sie. Der nächste große Fehler in seinem Leben. Dann folgte seine Arbeit bei diesem kleinen Zeitschriftenverlag. Saskia hatte ihm diese Stelle vermittelt. Er lektorierte Artikel über Architektur und Designermöbel. Später schrieb er kleinere Artikel für ein Uhrenmagazin des Verlags.

      Die Arbeit gefiel ihm nicht besonders und Saskia bekam er kaum noch zu Gesicht, weil sie beständig auf Reisen war. Und dann hatte er es satt und kündigte. Er wollte von da an Romane schreiben und vielleicht würde er auch das irgendwann einmal bereuen. Es kam ihm schon jetzt vor, wie der Sprung aus einem Flugzeug, ohne zu wissen, ob der Fallschirm, den er am Leibe trug, auch wirklich funktionsfähig war. Ein freier Fall eben, mit ungewissem Ausgang. Ein Sprung von der Klippe, in der Hoffnung, dass das Wasser, in das er fiel, auch tief genug sein würde.

      5

      Das Boot schaukelte in gemächlichem Tempo über die im Laufe des Nachmittags in Bewegung geratene Wasseroberfläche. Kreuz und quer kräuselten sich kleine Wellen wie brodelndes Wasser in einem Kochtopf und schwappten gegen den Bug und die Außenwände des Bootes. Doch der Wellengang war harmlos und Bessell hätte auch schneller fahren können, aber er wollte nicht riskieren, dass seine Einkäufe, die sich in der blauen Klappbox zu seinen Füßen stapelten, nass wurden. Die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden, die den See schützend umgaben. Doch der Tag leuchtete noch nach, und bis die Dunkelheit endgültig über den See und seine Uferorte hereinbrechen würde, hätte Bessell längst wieder seine Anlegestelle erreicht. Dennoch hatte er das grün-rote Buglicht und das weiße Hecklicht angeschaltet, obwohl weit und breit kein Boot zu sehen war. Diesmal würde er in weitem Bogen seine Anlegestelle ansteuern, genauso, wie das Linienschiff im Sommer. Der laute Signalton des Zuges war kurz und eindringlich zu hören. Der Zug mit seinen hell erleuchteten Waggons schien mitten durch die Häuser des Ortes zu fahren. Oben an der Hauptstraße stand jemand. Es war eine Frau, die in eine braune Daunenjacke gehüllt war und zu ihm hinuntersah. Im dämmrigen Licht konnte Bessell nicht erkennen, wer es war. Als sein Boot den kleinen Anleger erreicht hatte, geriet die Hauptstraße mit seinem Fußweg aus seinem Sichtfeld. Er machte das Boot fest und stieg die Leiter hinauf. Als er die Seilwinde in Betrieb nehmen wollte, hörte er oben an der Straße das Quietschen der Pforte. Er betätigte die elektrische Seilwinde, und als der Haken direkt über dem Boot hing, stieg er die Leiter wieder hinunter. In diesem Moment sah er im Augenwinkel die Frau mit der Daunenjacke. Sie stand an der Brüstung der Liegewiese und blickte zu ihm herunter. Bessell blieb auf der Leiter stehen und sah zu ihr hinauf. Es war Frau Hengartner. Sie winkte ihm zu und rang sich ein gequältes Lächeln ab.

      »Guten Abend Frau Hengartner«, sagte Bessell überrascht. Er sah sie fast vorwurfsvoll an, als wäre sie ein krankes Kind, das gegen die Anweisungen der Eltern einfach aufgestanden und nach draußen gegangen war. Noch bevor Frau Hengartner antworten konnte, fügte er hinzu:

      »Warten Sie, ich will nur schnell das Boot versorgen und dann komme ich zu Ihnen hinauf.«

      Bessell befestigte die Taue, führte sie in der Mitte zusammen und verschnürte sie. Das Boot durfte beim Hochziehen nicht kippen, zumal er die Klappbox mit seinen Einkäufen drin stehen lassen wollte. Nachdem er das Boot an den Haken genommen hatte, kletterte er die Leiter nach oben und betätigte die elektrische Schaltung der Seilwinde. Schmatzend und mit zu vernachlässigender Schieflage trennte sich der Bootsrumpf vom Wasser und schwebte empor. Zuvor hatte das Boot mehrere kleine Wellenschläge mitbekommen, die es in der Luft leicht zum Schaukeln gebracht hatte. Oben im Bootshaus stehend, konnte Bessell Frau Hengartner nicht sehen, doch sie hatte zunächst ihn und anschließend die Bewegungen des Bootes die ganze Zeit über genau beobachtet. Nachdem er das Boot hinübergeschwenkt hatte und es an der richtigen Stelle im Bootshaus hing, hievte er die Klappbox heraus und nahm sich seinen Rucksack. Mit der Klappbox vor dem Bauch und dem Rucksack auf dem Rücken gelangte er zur Bootshaustür, die Frau Hengartner bereits geöffnet hatte. Er hatte ganz vergessen, sie von innen abzuschließen. Mit verschränkten Armen empfing sie ihn. Trotz der dicken Daunenjacke schien ihr kalt zu sein. Sie hatte Ringe unter ihren leicht geröteten Augen. Sie musste geweint haben und sah zudem sehr müde aus. Mit der Hand strich sie sich eine braune Haarlocke aus dem Gesicht. Sie hatte hübsche, fast noch jugendliche Hände. Während bei den meisten Menschen die Hände als Erstes das wahre Alter erkennen ließen, konnte bei ihr davon nicht die Rede sein. Als sie Bessell direkt in die Augen sah, schloss sich ihr Mund und ihre Lippen nahmen die sinnliche und faszinierende

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