Sonne am Westufer. Fabian Holting

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Sonne am Westufer - Fabian Holting

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Laternen die Straße. Als die Katze Bessels Schritte wahrnahm, blieb sie mit gespitzten Ohren mitten auf der Straße stehen. Die Katzenaugen blitzen Bessell für einen Augenblick an. Dann lief die Katze weiter und verschwand unter einem Holzzaun in einem kleinen, stufig angelegten Vorgarten. Nur noch wenige der vielen Häuser oben am Berghang, weit oberhalb der Eisenbahnstrecke, hatten Licht hinter ihren Fenstern. Bessell blieb stehen. Er hatte die Straße erreicht, die von der Hauptstraße abging und zu seinem kleinen Domizil führte. Nur wenige Meter entfernt stand ein großer 7er BMW am Straßenrand. Das Auto wäre nichts Besonderes gewesen, wenn es nicht ein rumänisches Kennzeichen gehabt hätte, worüber Bessell sich ein wenig wunderte. Es schien niemand im Auto zu sitzen, obwohl es schwer zu erkennen war, weil sich in den Autoscheiben das Licht der Straßenlaternen spiegelte.

      In seiner Wohnung angelangt, schaltete Bessell sein Notebook ein und schenkte sich aus einer halbleeren Flasche Veltliner Rotwein ein kleines Kelchglas bis zum Rand voll. Bei seinen Nachbarn brannte ebenfalls noch Licht. Auch die beiden Autos standen noch immer in der Straße. Im Haus schien alles ruhig zu sein. Wahrscheinlich hatten sich die streitenden Eheleute längst beruhigt und saßen jetzt bei einem Schlummertrunk beisammen und sprachen wieder sachlicher über die bevorstehende Scheidung. Bessell schrieb noch zwei Stunden an seinem neuen Roman, kam aber nur schleppend voran und ging dann etwas enttäuscht über die mäßige Tagesleistung gegen zwei Uhr nachts müde ins Bett.

      2

      Es war bereits halb zehn, als Bessell aufstand. Der flüchtige Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass die Wolken sich noch längst nicht verzogen hatten und der neue Tag so schäbig werden würde, wie der gestrige geendet hatte. Bessell zog sich an. Er hatte schon gestern festgestellt, dass er kein Brot mehr im Haus hatte und so beschloss er, hinunter zur Hauptstraße zu gehen und in dem kleinen Lebensmittelgeschäft einzukaufen. Vielleicht hatte heute auch wieder die kleine Bar geöffnet, wo er sich gerne einmal hinsetzte, um einen Kaffee zu trinken. Jetzt im Winter, also außerhalb der Hauptsaison, hatte die Bar zu unregelmäßigen Zeiten geöffnet. Die Besitzerin war eine eigenwillige Frau, die nach Bessells Schätzung mindestens auf die sechzig zuging. Und obwohl sie großen Wert darauf legte, sich gemäß der aktuellen Mode zu kleiden und auch entsprechend zu schminken, sah man ihr das Alter dennoch an. Schon ihr Name hätte den Titel eines Romans abgeben können. Sie hieß Carla Menotti, und wenn man den Gerüchten glauben konnte, dann stammte sie von einer sizilianischen Mafiafamilie ab. Bessell hatte zwar auch den Verdacht, dass sie wohlhabend war und die Bar nur aus Langeweile betrieb, doch das Geld, das sie besaß, stammte mit Sicherheit nicht aus den Einkünften einer kriminellen Vereinigung. Außerdem hatte seine Vermieterin ihm erzählt, dass Carla Menotti die Witwe eines wohlhabenden Mailänder Kaufmanns wäre.

      Wenn Bessell nicht so sehr auf das Geld hätte achten müssen, dann wäre er gerne frühstücken gegangen. Die abendlichen Restaurantbesuche, die er sich bestimmt zwei bis dreimal pro Woche gönnte, waren schon teuer genug. Seine Geldnöte waren auch der Grund, weshalb er kein Auto mehr hatte. In den ersten Wochen am Lago Maggiore hatte er es nur wenig vermisst. Doch jetzt im Winter hätte er sich gerne hin und wieder ins Auto gesetzt, um einen kleinen Ausflug oder Besorgungen in den großen Supermärkten in Locarno oder Bellinzona zu machen. Er hatte zwar etwas Geld auf dem Konto, nur diese Ersparnisse sollten für mindestens zwei Jahre reichen, denn solange wollte er an seinem neuen Roman schreiben.

      Bessell nahm sich den Hausschlüssel vom Garderobenschrank und sah in den Spiegel. Eigentlich hätte er duschen und sich rasieren müssen, denn er mochte es nicht sonderlich, mit zerzausten Haaren und unrasiert aus dem Haus zu gehen. Doch da er ohnehin später noch joggen wollte, hätte sich das Duschen nicht gelohnt. Es war ihm wichtig, sich neben dem Schreiben fit zu halten, denn das viele Sitzen tat ihm nicht gut. Aber er hatte sich nun einmal entschieden, sein Geld zukünftig mit der Schriftstellerei zu verdienen. Ob es damit überhaupt etwas werden würde, stand auf einem anderen Blatt. Sein erster Roman, der immerhin verlegt wurde und letztendlich der Grund für seine Ambitionen war, hatte sich gerade einmal knapp zweitausend Mal verkauft. Viel zu wenig, um davon leben zu können und außerdem hatte er einen schlechten Vertrag mit dem kleinen Verlag abgeschlossen. Der Roman, der gleich als Taschenbuch erschienen war, kostete in der Buchhandlung neun Euro neunzig. Davon bekam Bessell nur zwei Euro, also bisher knapp viertausend Euro. Pro Seite waren es bis jetzt etwa fünfzehn Euro, was sich gar nicht so wenig anhörte, doch wie lange brauchte er im Durchschnitt für eine Seite, wo er doch an vielen Tagen nicht einen einzigen Satz zustande brachte.

      Bessell zog die Tür ins Schloss, drehte sich um und tippelte die wenigen Stufen hinunter auf die Straße. Es regnete zwar nicht, aber der wolkenverhangene Himmel sah aus, als wäre er jederzeit bereit einen tüchtigen Regenguss auf die Erde fallen zu lassen. Vom See wehte ein feuchtes und kühles Lüftchen herüber in den Ort. Vor dem Haus der Hengartners stand ein Polizeiwagen. Es saß niemand darin. Bessell blieb einen Moment stehen. Die beiden Autos der Hengartners standen noch immer da. Der Signalton eines Zuges durchschnitt die Beschaulichkeit des angefangenen Tages. Bessell wandte sich ab und ging die Straße hinunter. Als er die Eisenbahnunterführung passierte, ratterte ein Güterzug über ihn hinweg. Unten an der Hauptstraße, dort wo am Abend zuvor der BMW gestanden hatte, war ein großes Durcheinander. Drei Polizeiwagen und ein Ambulanzwagen versperrten einen großen Teil der Straße. Dahinter erkannte Bessell einen schwarzen, lang gezogenen Kombi. Es war ein Leichenwagen. Die Fensterscheibe der Fahrertür war heruntergelassen. Vom Fahrer konnte man nur die linke Hand sehen, die aus dem Fenster hing und zwischen den Fingern eine qualmende Zigarette hielt. Mehrere Polizisten standen zwischen diesem Fahrzeugaufgebot herum. Einige Leute aus dem Ort hatten sich eingefunden und schauten die enge Treppengasse hinunter, die zwischen alten Steinhäusern entlang führte und nach einigen Metern unten am See endete. Vor dem Hindernis auf der Straße hatte sich bereits eine kleine Schlange wartender Autos gebildet. Ein Polizist bemühte sich mit geübten Handbewegungen, abwechselnd die aus beiden Richtungen kommenden Autos am Einsatzort vorbeizuleiten. Er machte dabei ein angestrengtes Gesicht. Bessell war stehen geblieben und hatte die Szenerie von der anderen Straßenseite aus beobachtet. Ein VW-Bus mit aufgesetztem Blaulicht wurde vorgelassen und hielt direkt neben den anderen Fahrzeugen. Das Verkehrshindernis war dadurch noch größer geworden. Drei Männer stiegen aus. In ihren Händen hielten sie etwas Zusammengefaltetes. Es waren weiße Overalls. Sie falteten sie auseinander und stiegen beinahe gleichzeitig hinein. Große Aluminiumkoffer wurden ausgeladen. Einen Moment später hielt ein Audi A6 Variant am Straßenrand. Zwei Männer in Zivil stiegen aus und wandten sich gleich darauf an einen der uniformierten Polizisten. Im Verlauf des Gesprächs fuchtelte der Polizist aufgeregt mit den Händen und zeigte immer wieder in Richtung Treppengasse und gelegentlich auch in die Richtung aus der Bessell gekommen war. Bessell näherte sich dem kleinen Menschenauflauf. Die ganze Szene wirkte unwirklich und wenn nicht die Kameras, die Beleuchter und ein Regieteam gefehlt hätten, dann hätte man meinen können, hier würde lediglich ein Film gedreht. Bessell sprach einen der Umherstehenden an. Es war ein älterer Mann mit grauen, nach hinten gekämmten Haaren. Er war aus dem Ort und Bessell war ihm schon beim Einkaufen begegnet.

      »Was ist passiert?« Der alte Mann sah ihn mit seinen gelblich unterlaufenden Augen an, so als könne er sich nicht im geringsten vorstellen, dass noch nicht alle im Ort von dem, was geschehen war, gehört hatten.

      »Ein Toter unten am Strand. Ein Junge aus dem Ort hat ihn entdeckt, als er heute früh Steine über das Wasser springen lassen wollte. Der Junge wohnt dort drüben in dem Haus bei seiner Großmutter.« Der Mann wies mit seiner knochigen Hand auf die andere Straßenseite.

      »Er hat es gleich seiner Großmutter erzählt und die hat sofort die Polizei verständigt. Ich habe vorhin mit ihr gesprochen.«

      »Weiß man schon, wer der Tote ist?«

      »Nein, er soll mit dem Gesicht nach unten im Wasser gelegen haben. Den Mann hat keiner angerührt. Er soll dort mit eingeschlagenem Schädel liegen. Furchtbar oder?«

      Der alte Mann schüttelte den Kopf und sah dann wieder hinüber zu den drei Männern

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