Die silberne Flöte. Sylvia Obergfell
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Читать онлайн книгу Die silberne Flöte - Sylvia Obergfell страница 4
Seine Stimme klang rau und heiser und Misha erschrak jedes Mal, wenn er sie hörte. Er antwortete nicht, sondern versuchte wie gestern an seinem Vater vorbeizukommen, doch dieser verstellte ihm den Weg und fragte noch einmal: „Wieso trägst du diese Schuhe?“
Mishas Herz schlug schneller und er verdammte seinen Vater. Wieso fiel ihm das ausgerechnet heute auf, sonst bekam er doch auch nie etwas mit.
„Lass mich ins Bett, ich bin müde“, bat er, ohne seine Frage zu beantworten, aber sein Vater zeigte wieder auf die Schuhe.
„Wo sind die neuen?“ wollte er wissen, jetzt klang seine Stimme schon drohender.
„Ich habe dir Geld mitgebracht“, sagte Misha schnell und hob die Münzen in die Höhe, denn das konnte seinen Vater manchmal besänftigen. Heute hatte er allerdings kein Glück. Sein Vater machte ein paar Schritte auf ihn zu, schlug ihm mit einem mal das Geld aus der Hand und schrie ihm ins Gesicht: „Ich habe dir die neuen Schuhe gekauft, damit du nicht wie ein Straßenkind mit kaputten Schuhen herumlaufen musst!“
„Sonst ist dir das auch egal“, dachte Misha bitter, sagte aber nichts, sondern machte sich instinktiv einige Zentimeter kleiner und presste die Hände zu Fäusten zusammen.
„Wo hast du so viel Geld her?“ fragte sein Vater und plötzlich wusste Misha worauf er hinaus wollte. Sein Vater vermutete, dass er die Schuhe verkauft und deshalb so viel hatte.
„Ich hab die Schuhe nicht verkauft“, rief er ängstlich, „sie sind in der Kommode. Ich wollte sie nur ein bisschen schonen, damit sie nicht so schnell kaputt gehen.“ Erst sah es so aus, als wolle sich sein Vater auf ihn stürzen, aber dann wandte er sich ab, wühlte in der Kommode, wobei er alles herauswarf, was darin war und fand schließlich die Schuhe.
„Ich wollte nur nicht, dass sie so schnell kaputt gehen.“ wiederholte Misha und plötzlich war sein Vater wie verwandelt.
Er klopfte ihm auf die Schulter, murmelte: „Guter Junge“, dann begann er das Geld einzusammeln, dass überall im Flur verstreut lag.
Misha beeilte sich in sein Zimmer zu gelangen und versteckte in Windeseile die Flöte und das Geld. Er setzte sich auf sein Bett und versuchte sein Herz zu beruhigen, das immer noch wie wild gegen seine Brust hämmerte. Langsam liefen ihm ein paar Tränen über die Wangen, aber er wischte sie schnell weg, denn er wollte nicht, dass sein Vater sie sah, falls er noch mal hereinschaute. Er lauschte, hörte seinen Vater im Gang herumlaufen, schließlich ging eine Tür und es wurde leise. Schnell zog Misha sich aus, legte sich ins Bett, zog die Decke bis über die Ohren und schloss die Augen, denn er wollte nichts mehr hören und nichts mehr sehen.
Kapitel 3
Von diesem Tag an ging Misha jeden Tag in die Fußgängerzone und spielte. Er bekam richtig Spaß daran und machte eine neue Entdeckung: Er konnte sein Spiel mit seinen Gedanken beeinflussen. Wollte er etwas Trauriges hören, spielte er etwas trauriges, hatte er Lust auf etwas fröhliches, erklang ein fröhliches Lied. Er bekam immer viel Geld, so dass er sich genügend zu essen und zu trinken kaufen konnte und sein Vater meistens zufrieden war. Ans Stehlen dachte er schon gar nicht mehr, denn erstens hatte er keine Zeit mehr dazu und zweitens war er nicht mehr darauf angewiesen. Der Rummel war inzwischen weitergezogen, aber Misha verbot sich selbst über die Märchenfrau nachzudenken. Er ging jetzt öfters ins Café, denn dort gefiel es ihm richtig gut und inzwischen hatte sich sogar die Frau hinter der Theke an ihn gewöhnt. Außer Misha gab es noch eine Frau, die fast jeden Tag da war, einen Kaffee trank und die Leute beobachtete. Sie war mittleren Alters, hatte halblange, blonde Haare, ein schmales Gesicht, aber einen beleibten Körper und trug einen Pelzmantel. Eines Tages kam sie zu Misha herüber und sagte: „Ich habe dich spielen hören, du kannst es wirklich gut.“
Misha, der etwas scheu gegenüber Fremden war, sagte nichts, sondern sah sie abwartend an. Sie sah edel aus in ihrem Pelzmantel.
„Gefällt er dir?“ wollte sie wissen, wohl seinen Blick deutend.
Sie trug einen grell rosa Lippenstift und ihre Augen waren schwarz umrandet. Misha sagte immer noch nichts, denn eigentlich wollte er in Ruhe gelassen werden, aber die Frau gab nicht so schnell auf.
„Er ist aber nicht echt“, plapperte sie weiter und lachte, als hätte sie etwas Witziges gesagt, dann wurde sie wieder ernst. „Mein Name ist Valerie. Valerie Tsanovka“, stellte sie sich vor, „Ich arbeite in einer Musikschule und habe dich spielen hören. Wer hat dir das beigebracht?“
Misha war eigentlich nicht bereit etwas von seiner Flöte zu erzählen, weil er um sein Geheimnis fürchtete, aber schließlich sagte er, wohl auch weil er ein bisschen angeben wollte: „Ich mir selber.“
Valerie sah ihn an, als glaube sie ihm nicht, aber das war ihm gleichgültig, er wollte dass sie ging.
„Weißt du was eine Musikschule ist?“ fragte sie plötzlich.
Misha