Frühling im Oktober. Sophie Lamé

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Frühling im Oktober - Sophie Lamé

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und den Lichtern der Metropole durch die Straßen zu seinem Hotel spazierte, wusste er, wie es sich anfühlte.

      ACHT

       Paris. Samstag, 17. September 2011

      „Un café, un!“, rief der grauhaarige Anatole durch das dunkel getäfelte Bistro. Er hastete durch den Raum und ließ im Gehen das Trinkgeld, das er von dem kleinen runden Tisch direkt am Fenster geklaubt hatte, in die Tasche seiner schwarzen Weste gleiten. Als er an der Theke ankam, wischte er kurz mit einem Lappen über sein Tablett. Helen lächelte. Inzwischen wunderte sie sich nicht mehr darüber, dass die Kellner in Paris die Anzahl der bestellten Getränke am Ende des Satzes immer noch einmal wiederholten. Das hatte sie gleich zu Beginn ihres Aufenthaltes hier gelernt. Erst knapp drei Wochen wohnte sie nun schon in dieser wundervollen Stadt. Anatoles Worte übertönten das Stimmengewirr im Tabac de la Muette und an der Bar machte sich ein Kollege sofort daran, die silbern glänzende Kaffeemaschine zu starten. Die schwarze, samtige Flüssigkeit floss in eine kleine weiße Tasse und mit einem lauten Zischen beendete das Ungetüm aus Chrom seine Arbeit. Die Tasse landete schließlich neben dem Korb mit frischen Croissants und wahllos abgestelltem Geschirr auf dem Tresen. Normalerweise nahm Helen ihren Morgenkaffee an der Theke ein. Echte Pariser machten das schließlich auch so. Morgens hatte niemand Zeit, sich an einem Tisch niederzulassen und lange und umständlich in der Tasse zu rühren. Und kaum war der petit noir getrunken, eilten sie alle zu ihren Jobs. In die Büros an der noblen Rue de Rivoli, einen Juwelierladen an der Place Vendôme oder in die Grundschule in der Vorstadt Marne la Vallée … Verkäuferinnen, Geschäftsleute, Verwaltungsangestellte, Künstler – am Tresen waren sie alle gleich. Die gleiche Eile, die gleichen Gedanken an den bevorstehenden Arbeitstag und wahrscheinlich auch die gleiche Vorfreude auf das, was nach dem Job kam. Aber heute war Samstag. Helen ließ ihren Blick durch das schon lieb gewonnene Lokal schweifen und musste an den Film „Die fabelhafte Welt der Amélie Poulain“ denken. Es gab sie tatsächlich, die Ecke neben dem Tresen, an der die Tabakverkäuferin vor mit Zigarettenpäckchen randvoll angefüllten Regalen auf ihrem Barhocker saß. Im Tabac de la Muette hieß sie Babette, war Mitte 50 und stets in ein Ungetüm von einem Pullover gehüllt, den sie in mindestens zehn Farben besaß. Selbst gestrickt, mutmaßte Helen. Sie hatte gefärbte blonde Haare und ein Gesicht, das darauf schließen ließ, dass sie, was den Tabak betraf, wohl selbst ihre beste Kundin war. Gerade war sie dabei, ihre korallenrot lackierten Fingernägel zu inspizieren und dabei ein Schwätzchen mit dem alten Paul zu halten, der sich hinter der Theke ein paar Meter entfernt von ihr um die Getränkebestellungen kümmerte.

      „Sag mal, Paul, das ist doch wohl keine neue Weste, die du da trägst, oh là là, sag bloß, deine Frau hat dich zu einem Einkaufsbummel überreden können.“

      Sie lachte und erntete ein schiefes Grinsen von Paul, der erst nur eine wegwerfende Handbewegung machte und gleich darauf vernehmlich Luft ausstieß.

      „Ah, diese Frauen“, murmelte er und wandte sich seinen Bestellungen zu. Auch Babette ging wieder an die Arbeit, denn wie an jedem Samstag kamen eine ganze Menge Menschen aus dem Viertel hierher, um Lotto zu spielen. Auch das gab es in Babettes kleinem Reich. Die Chance auf den Geldsegen, auf ein unbeschwertes Leben mit vollem Bankkonto und viel freier Zeit. Aber vor allen Dingen war der Gang zur Tabakecke ein liebgewonnenes Ritual. Ein vertrauter Platz, um Neuigkeiten auszutauschen und ein wenig zu tratschen.

      „Salut Babette!“ Eine junge Frau betrat das Bistro mit hektischen Schritten. Sie sah noch etwas verschlafen aus und ihr extralanger, dunkelbrauner Wollschal drohte an der linken Seite ihres Körpers herunterzurutschen. Sie war ungeschminkt und das mittelblonde, glatte Haar fiel ihr ungekämmt ins Gesicht. Eine typische Pariserin. Eine Großstädterin an einem ganz normalen Samstagmorgen, dachte Helen lächelnd und hob gleich darauf den Arm: „He, Lili, bonjour ma belle.“

      Helen hatte die Bekanntschaft der Französin gleich in ihrer ersten Woche in Paris gemacht. Seither hatten sie sich schon mehrmals auf einen Kaffee oder zu einem Spaziergang getroffen. Obwohl sie sich erst seit so kurzer Zeit kannten, spürte Helen, dass sie in Lili eine Freundin gefunden hatte. Mit ihr fühlte sie sich auf wunderbare Weise auf einer gleichen Wellenlänge und sie war dankbar, dass sie ihr begegnet war. Aus purem Zufall. Sie hatten sich hier, im Tabac de la Muette, kennengelernt, und bei einem schnellen café noir am Tresen einige kurze Worte gewechselt. Noch am selben Abend waren sie sich in der Schlange beim Bäcker wieder begegnet und hatten sich über einige Köpfe hinweg zugewinkt. Als sich ihre Wege zwei Tage später erneut kreuzten – und wieder im Tabac de la Muette – hatte Lili ihre Tasse, das Handy und ihre Zeitung gepackt und sich zu Helen an den Tisch gesetzt. „Salut, ich bin Lili Morot. Wohnen Sie auch hier im Viertel?“

      So hatte vor nicht einmal drei Wochen ihre Freundschaft begonnen und nun bahnte sich Lili einen Weg durch das Lokal und quetschte sich zu Helen auf die dunkelbraune Lederbank, die sich an der gesamten hinteren Wand des Bistros entlangzog. Mit einer einzigen Bewegung schob sie den kleinen, quadratischen Tisch zu ihrer Rechten heran, so dass die beiden nun eine genügend große Fläche vor sich hatten. „Guten Morgen, wie geht es dir?“, begrüßte Helen ihre neue Freundin zwischen zwei Wangenküsschen.

      „Sehr gut, sehr gut“, strahlte Lili. Sie hatte sich kaum gesetzt und ihren Schal vom Hals gezogen, als auch schon Anatole mit Helens Kaffee auf die beiden Frauen zu hastete. „Comme toujours, un grand crème et une tartine, hein?“ rief er bereits von weitem.

      „Oui, volontiers“, lachte Lili dem Rücken des Kellners hinterher. „Milchkaffee und Butterbaguette, wie immer.“ Strahlend drehte sie sich zu Helen und legte ihr die Hand auf den Arm. „Rate, was mir gestern passiert ist!“

      „Ich habe keine Ahnung, aber du wirst es mir sicher gleich berichten.“

      „Oh ja, das werde ich, ich habe mich schon den ganzen Morgen darauf gefreut, es dir endlich erzählen zu können.“ Lili grinste. „Ich war so aufgeregt, dass ich fast den Hund von Madame Merlot mit dem Fuß ins Jenseits befördert habe, als ich aus dem Aufzug gestiegen bin. Oh là, là, ihr Gemecker hat mich noch die halbe Avenue Mozart hinauf verfolgt.“ Helen lächelte. Oh ja, das war Lili. Stets in Eile, mit den Gedanken immer schon ein paar Schritte weiter, als ihr gut tat und daher permanent in Gefahr, vor fahrende Busse zu laufen, gegen Straßenlaternen zu stoßen, ja, oder eben Pekinesen in vollem Lauf über den Haufen zu rennen. Abgesehen davon war sie überaus einfühlsam und gebildet, und zum zweiten Mal in den letzten zehn Minuten dankte Helen dem Schicksal, dass sie Lili hier in dieser riesigen Stadt über den Weg gelaufen war.

      „Jetzt pass auf“, setzte Lili an und nickte Anatole dankend zu, als er eine große Tasse dampfenden Milchkaffees und ein mit Butter bestrichenes Baguette vor sie hinstellte. „Gestern war ich doch zu dieser Vernissage bei Bernard eingeladen, du weißt schon, in dieser kleinen Galerie, am Place des Vosges.“

      „Mhmmm“, machte Helen und nippte an ihrem Kaffee.

      „Ich schau mich also so um, begrüße ein paar Leute, Monsieur Larue war übrigens auch da, ach, den kennst du ja gar nicht, und bin gerade ganz in Gedanken über eines der Bilder versunken, da spricht mich jemand an. Ja, ich weiß“, Lili hob abwehrend die Hand, noch bevor Helen etwas einwerfen konnte, „das allein ist nichts Besonderes. Und schon gar kein Grund, Madame Merlots Kläffer in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Aber rate, wer es war, der mich da angesprochen hat?“

      Helen zog fragend die Augenbrauen nach oben und streckte das Kinn etwas nach vorne. „Wer? Der Staatspräsident persönlich?“

      „Wo denkst du hin, ma chère?“ Lili lachte. „Nein, seit wann interessiert der sich für Kunst? Aber im Ernst, es war Jean-Michel Mercier.“

      Lili strahlte ihrer Freundin ins Gesicht und beantwortete ihre Frage, noch bevor sie sie überhaupt gestellt hatte. „Ja, DER

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