Clarissa und Fiete III. Hans Müller-Jüngst
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„Ich muss mir zunächst einmal eine Orientierung verschaffen, wo genau die Loforten liegen und wie man dahin kommt, ich weiß nur, dass die Lofoten über dem Polarkreis liegen und es deshalb dort drei Monate lang im Winter dunkel ist.“ Fiete setzte sich an seinen Computer und gab Google Map ein, er sah sich die Lofoten auf seinem Monitor an und bemerkte gleich, dass dort nicht viel los sein konnte. Man käme in Bodoe an, entweder mit dem Zug oder mit dem Flugzeug und nähme von dort aus entweder eine Fähre oder den Helikopter. Er gab auf Google „db“ ein und suchte einen Zug von Hamburg nach Bodoe, im günstigsten Falle brauchte der Zug achtunddreißig Stunden, der Zug schied somit aus. Daraufhin suchte er einen Flug von Oslo nach Bodoe und fand mehrere Möglichkeiten, er wäre eineinhalb Stunden unterwegs, nach Oslo müsste er von Hamburg fliegen, auch da gäbe es viele Möglichkeiten, die Flüge würden natürlich alle von E.ON bezahlt. Fiete dachte daran, was er in den drei Monaten Dunkelheit und in der Eiseskälte auf den Lofoten unternehmen sollte, auf jeden Fall würde er viel lesen, so viel war ihm schon klar. Er setzte sich mit Clarissa zusammen und sagte ihr:
„Das wird vermutlich für mich eine harte Zeit werden, die ich mit deiner Hilfe aber durchstehen will.“ Clarissa hielt seine Hand und entgegnete:
„Das ist nicht unsere erste Bewährungsprobe, als wir beide Schüler gewesen sind, sind wir auch lange voneinander getrennt gewesen, ich will alles tun, um Dir die Trennungszeit so leicht wie möglich zu gestalten.“
Sie hatten beide schon von den Lofoten gehört, aber natürlich war noch niemand von ihnen dort. Als Urlaubsziel schieden die Lofoten aus, dachten sie immer, es war dort viel zu kalt und die Preise, die dort zu zahlen waren, entbehrten jeglicher Vorstellung. Sie hatten Bekannte, die mit der norwegischen „Hurtigrute“ von Bergen zum Nordkap gefahren waren und auf dem Weg auf den Lofoten Station gemacht hatten. Sie hatten erzählt, dass die Lofoten steil aus dem Meer aufragende Felseninseln wären, es lebten kaum Leute dort, die Gewässer wären ausgesprochen fischreich, das Wetter wäre nicht wirklich gut dort, es würde viel regnen und es wäre kalt. Clarissa und Fiete wollten sich genau informieren, sie wollten sich im Netz sachkundig machen und natürlich Bücher aus Büchereien besorgen.
„Ich bin schon sehr daran interessiert, zu erfahren, wo ich in den nächsten vier Monaten eingesetzt werde“, sagte Fiete.
„Das ist meine Anfangsanstellung bei E.ON und ich bekomme 4400 Euro brutto im Monat, nach erfolgreichem Absolvieren meines Jobs auf den Lofoten werde ich in Hannover zum Abteilungsleiter befördert und damit auf der Karriereleiter schon ein gutes Stück aufgesteigen.“ Clarissa freute sich für Fiete, es war nicht so, dass sie die Geschäftspolitik von E.ON vorbehaltlos unterstützte, aber Fiete hätte mit seinem Abschluss als Diplom-Elektroingenieur kaum eine andere Möglichkeit, in seinem Beruf voranzukommen.
Sie sah sich mit ihm auf dem PC-Monitor die Norwegenkarte an, und sie maßen die Entfernung von Oslo nach Bodoe, die Lofoten lagen ungefähr 1200 Kilometer nördlich von Oslo, weit über dem Polarkreis, man fror schon bei dem Gedanken, dorthin fliegen zu müssen. Der nächste Tag war ein Samstag und sie hatten beide frei, sie wollten in die Stadt und einen Reiseführer und Informationsmaterial über die Lofoten holen. Fiete hätte noch eine Woche in seiner Arbeitsgruppe zu tun, danach hätte er eine Woche Urlaub, um sich vorzubereiten. Am nächsten Morgen fuhren Clarissa und Fiete in die Stadt und hielten sich lange in der Buchhandlung auf, sie deckten sich mit viel Literatur über die Lofoten und mit touristischen Führern ein. Sie fuhren mit dem Material wieder nach Hause, machten es sich dort gemütlich und lasen sich ein, ab und zu unterbrachen sie ihre Lektüre und unterhielten sich über Dinge, die ihnen aufgefallen waren. So sagte Clarissa:
„Ich habe gesehen, dass es drei Flughäfen auf den Lofoten gibt, die von Bodoe aus angeflogen werden.“ Fiete hatte sich gerade über den Alltag auf den Lofoten eingelesen und sagte:
„Auf den Inseln steht alles im Zeichen des Fischfangs, ich werde wohl wieder angeln gehen, wie damals auf Süderland.“ Der Tourismus spielte auch eine Rolle, es wäre aber nicht so, dass dort im Sommer Unmengen von Touristen angelandet würden, wie das auf den Mittelmeerinseln der Fall wäre, die Lofoten wären etwas für Liebhaber. Man führe nicht auf die Lofoten, um dort Badeurlaub zu machen, vielmehr liefe man dort immer in wärmender Kleidung herum und täte gut daran, sich für das Fischen oder das Wandern zu interessieren. Clarissa und Fiete legten ihre Lektüre für einen Moment zur Seite, und sie unterhielten sich über die Stelle in ihrem Leben, an der sie gerade angelangt waren. Fiete meinte:
„Ich bin dabei, mich zu etablieren, darin sehe ich aber nicht so ein Problem, wie das viele tun. Es ist meiner Ansicht nach wichtig, zu trennen zwischen einem Sesshaftwerden nach außen hin und einem Aufgewühltsein im Inneren, das die Energien steuerte, die gelegentlich freigesetzt werden müssen, die die eigentliche Persönlichkeit ausmachen. Es kommt nicht darauf an, wie man nach außen hin agiert, sondern nur darauf, welche die inneren Überzeugungen sind, die man immer hochhalten muss und nie preisgeben darf. Das erfordert innere Stärke, die man aufbauen und sich bewahren muss, sie steht in engem Zusammenhang zur äußeren, körperlichen Stärke.“ Fiete sagte, dass diese beiden Energiepotenziale in einer Wechselwirkung zueinander stünden, und das eine nicht ohne das andere bestehen könnte, so seine Überzeugung.
Er würde seinen Job auf den Lofoten zur Zufriedenheit aller ausführen, er müsste sich dabei nicht verbiegen, Windenergie wäre eine gute Sache und er stünde dahinter. Clarissa bestärkte ihn in seiner Haltung, auch sie fand, dass er nichts von seinem Innersten preisgeben oder sogar opfern müsste, wenn er auf den Lofoten Windkraftwerke installierte. Sie glaubte auch an die Wechselwirkung zwischen Innerem und Äußerem, und dass das eine nicht ohne das andere existieren könnte. Über den genauen Zusammenhang zwischen diesen beiden Energiepotenzialen wäre sie sich aber nicht im Klaren und sie glaubte nicht, dass der Zusammenhang schon bis ins Kleinste erforscht wäre. Sie wüsste aber, dass sie, wenn sie körperlich fit wäre, zu geistigen Höchstleistungen im Stande wäre und umgekehrt, körperliche Erschlaffung durch geistige Ausgeglichenheit wieder besser in den Griff bekäme. Fiete sagte:
„Wir haben in den letzten Jahren etwas in unserem Inneren aufgebaut, was ich als Haltung bezeichne, damit meine ich auch politische Haltung. Dazu gehört, dass wir beide die Nutzung der Kernenergie ablehnen, weil die Technik in Wirklichkeit gar nicht beherrscht wird, solange es nicht gelingt, überzeugende Konzepte zur Entsorgung des Atommülls zu liefern. Trotz aller Warnrufe seitens der Technikfolgenabschätzung wird die Kernenergiegewinnung aber weiter ausgebaut und politisch vorangetrieben.
Es werden Laufzeitverlängerungen für Kraftwerke gewährt, die eigentlich längst abgeschaltet gehören.“
Fiete sah für seine Zukunft die Gefahr, dass er als relativ hochrangiger Mitarbeiter bei E.ON in Konfrontation zu den Befürwortern der Kernenergie geraten könnte, er wüsste noch nicht, wie er sich in einer solchen Situation verhalten würde, vermutlich würde er aber seinen Job bei E.ON aufgeben, aber bis dahin wäre noch viel Zeit, und er wollte sich zu diesem Zeitpunkt darüber noch keine Gedanken machen. Clarissa fragte Fiete:
„Hast du überhaupt ausreichend warme Sachen für die Lofoten, wir sollten besser am Nachmittag noch einmal in die Stadt gehen und Schuhe, Pullover und eine Jacke für dich suchen, auch eine gute Reisetasche musst du haben, am besten halten wir nach einem Trolley für dich Ausschau!“ Doch zunächst wollte Fiete ein leckeres Mittagessen bereiten:
„Ich denke an ein Gulasch aus Rindfleisch mit Spätzle und Salat.“ Clarissa war einverstanden und freute sich darauf, mit Fiete zu kochen. Sie mussten aber noch einkaufen gehen, der Supermarkt lag gleich um die Ecke und sie zogen los. In der Fleischabteilung kaufte Fiete ein Pfund mageres Rindfleisch, sie nahmen Tomaten und einen