Die Efeufrau. Nieke V. Grafenberg

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Die Efeufrau - Nieke V. Grafenberg

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Stunden voller Ungewissheit, plötzliche Atemnot und eine unbezwingbare innere Unruhe trieben Eva an die Luft. Im Vorgarten riss sie ein paar überhängende Efeuranken von Hauswand und Gartenmauer, warf sie nach kurzem Zögern unter den Fliederbaum zu dem anderen Grünzeug. Nahezu hüfthoch war der Haufen, Ernst hatte versäumt, ihn abzufahren, jetzt musste sie sich kümmern.

      Evas Augen wanderten Richtung Giebel. Efeu wohin man sah, nach zunächst trügerisch zaghaftem Wachstum hatte er die Dachfenster längst erreicht, stürmte rasch und unaufhaltsam himmelwärts. Der dichte, glänzend grüne Blättermantel an der weiß getünchten Fassade - im Grunde kam er ihr ja entgegen. Im Winter warm, im Sommer kühl hieß es, aber am Rahmenholz durfte er sich nicht festkrallen, das machte ihr Angst. Seit Tagen quälte sie der immer gleiche Traum. Sie träumte, der Efeu geriete außer Kontrolle, neige sich ihr entgegen, strecke lockend die biegsamen Arme aus, um sie einzuhüllen in einen Kokon aus klebrigem Blattwerk. Im Traum wusste sie, dass sie die Wiege niemals lebend verlassen würde. Sowie sie anfing, sich in der Umhüllung aufzulösen, erwachte sie keuchend und um sich schlagend, fand im Dunkeln den Lichtschalter nicht, denn sie schlief im ungewohnten Gästezimmer.

      Der Großteil der jungen Efeuranken ließ sich ruckzuck entfernen, Sorgen bereiteten ihr solche Triebe, die man von den Fenstern im oberen Stockwerk nur unter riskanten Verrenkungen erreichen konnte. Zielstrebig näherten sie sich dem Dachfirst, würden in nicht allzu ferner Zeit auf den hellroten Ziegeln einen erdrückenden Teppich auslegen. An der Ostseite des Hauses, drei Meter vom Hühnerstall des Nachbarn, war der grüne Pelz besonders dicht. An Tagen wie diesem roch der Auslauf mehr als nur streng, aber gut, selbst Schuld,

      sie hatten das Fleckchen ja ausgesucht ... und schließlich lebte man auf dem Lande.

      Zwischen Lorbeerbüschen und Rosenstöcken lief Eva am Haus entlang in den hinteren Teil ihres Gartens. Was, fragte sie sich, würde am heutigen Tag und danach auf sie zukommen? Worauf musste sie sich unter allen Umständen einstellen? Unvermittelt machte sie Halt, argwöhnisch sog sie die laue Luft ein. Trotz größter Sorgfalt bei der Abdichtung ihrer hauseigenen Klärgrube, in letzter Zeit roch sie fast Übel erregender als der Hühnerstall nebenan. Erst Mitte August, es war immer noch warm, auch wenn erste Anzeichen eines verfrühten Altweibersommers unübersehbar waren. Wie Schiffchen schaukelten bräunliche Erlenblätter auf dem Teich. Evas Blick blieb am Efeuhügel zwischen den beiden im Erdreich versenkten Klärtöpfen hängen. Durchsponnen von silbrigen Fäden war er mit winzigen Perlen besetzt, wenn wie jetzt, nach einem kurzen Schauer, die blitzblanke Sonne sich zeigte.

      Alles betonieren und grün anstreichen - Ernst hatte sich nie allzu viel aus dem Garten gemacht. Und doch war es schade, dass er das stimmungsvolle Bild nicht bewundern konnte. Gespinstfetzen zart wie ein Schleier schwebten über dem satten, glänzenden Grün.

      Für einen Moment vergaß Eva, wo sie sich gerade befand. Brautschleier - Schleier der Erinnerung. Der Deckel hob sich, lang eingesperrte Seidenfetzen entwichen der Hutschachtel auf dem Speicher, segelten durch das Dachfenster an Evas staunenden Augen vorbei, um sich nach einigem Auf und Ab den fliehenden Wolken zuzugesellen. Eva sah sich am Arm von Ernst und lächelte in seliger Erinnerung. Ohne wenn und aber, ausschließlich SIE hatte er erwählt, es war die Ausschließlichkeit gewesen, die sie gefangen genommen hatte.

      „Was außer: Aber du bist doch viel zu jung für mich würdest du sagen, wenn ich um deine Hand anhielte?“

      Ihren Einwand wegen des Altersunterschieds hatte Ernst voraus gesehen, geschickt hatte er ihm vorgegriffen und damit zunichte gemacht. Von dem Moment an hatte sie sich aufgehoben gefühlt, ja glücklich, ihre vier Jahre mehr spielten keine Rolle mehr. Sie war und blieb die Erwählte, das Gestirn, um das sein ganzes Denken und Trachten kreiste! Ihm durfte sie vertrauen! Dieses eine Mal durfte sie sich fallen lassen, geborgen fühlen ... bis dass der Tod euch scheidet.

      Ernst und sie vor dem Altar, ein Sonnenstrahl durchbricht das Kirchenfenster, der heilige Franz streut Tupfer auf ihr Brautkleid, bunt wie die Blütenblätter in ihrem späteren Garten.

      Alles so lange her, aber Mutters Prophezeiung eines göttlichen Altweibersommertages war wirklich wahr geworden, der Herrgott hatte ihnen einen hinreißenden Hochzeitstag beschert.

      So unberechenbar wie es Besitz von ihr genommen hatte, verschwand das angenehme Gefühl der Leichtigkeit. Evas Hände wurden kalt, sie streckte sie aus nach den wärmenden Sonnenstrahlen.

      Friedlicher Altweibersommer ... für Eva ein doppelbödiger, wenn nicht gar heuchlerischer Begriff, seit sie die Hürde genommen hatte und auf die Sechzig zuging. Mit Riesensprüngen, wie sie fand, und leider Gottes keineswegs friedlich. Nie zuvor hatte sie sich so ausgelaugt gefühlt, so alt, so verbraucht. Das Wort Alter in Verbindung mit Weib - wog nicht schon jedes für sich schwer genug? Und der Sommer? Auf ihn folgte gleich die Vergänglichkeit.

      Zu Evas Füßen scharten sich die Hühner am Maschendraht. Sie liebten es, wenn sie sie mit den Brennnesseln fütterte, die entlang der niedrigen Stallmauer wucherten. Heute jedoch ignorierte sie ihr begehrliches Rucksen. Mechanisch bückte sie sich und zerrte an den Stängeln der verhassten Klette im Eck mit ihren längst verblühten Körbchen. Die Hühner verweigerten standhaft die filzigen Blätter und kein Vertilger half. Das kindshoch ragende Unkraut wollte den einmal eroberten Standort nicht lassen.

      Entnervt pflückte Eva ein paar Klettkugeln von Ärmel und Schulter ihrer schäbigen Strickjacke. Wieder hob sie die Nase. Nun ja, es konnte ebenso gut die Müllkippe sein. Die lag nur ein paar Kilometer entfernt, und je nach Windrichtung schickte sie schon mal Gestank herüber. Ein Freund, der in der Nähe des Müllplatzes ein unverkäufliches Grundstück besaß, behauptete gern:

      „Heute riecht es wieder nach Verwesung.“

      Das Wimmern der Balkontür riss Eva aus ihren Gedanken.

      „Mama, es piept schon ganz lange!“

      Ninas Kopf über dem Efeu besetzten Balkonpfeiler - es war Zeit, nach dem Trockner zu sehen.

      Eva hörte ein Auto, die Haustür klappte zu. Sekunden später, federleicht, flog ihre Jüngste um die Hausecke. Dunkle Strähnen wie Drahtwolle umwehten das kleine Gesicht, der linke Daumen wies auf den Geigenkasten am Riemen über der Schulter.

      „Pünktlich halb drei?“ Ihre dichten Brauen hoben sich.

      Eva nickte. „Warte mal kurz ...“, hob sie an. Dann wurde ihr Blick starr, sie führte die rechte Hand an die Lippen. Nie war der Kopf leerer gewesen, gerade war es noch da, was hatte sie dem Kind nur mitteilen wollen?

      Nina, schon auf dem Sprung, trat ungeduldig auf der Stelle.

      „Ja, nichts - weiß nicht mehr“, sagte Eva und krauste die Stirn. „Lass nur ... ich glaube, es war nicht so wichtig.“

      Das Letzte hörte Nina schon nicht mehr, sie war fort zur Musikschule. Wollte dort nach der Geigenstunde abgeholt werden, wollte unbedingt mit aufs Revier. Für den Abend dann war sie verabredet, sie hatte ihren ersten Freund.

      Erster Freund.

      Lebenslange, lebendige Erinnerung.

      Bei ihr jedenfalls.

      Atemlose Verliebtheit, Herzklopfen. Überschwappende, hilflose Zärtlichkeit.

      Ahnungslosigkeit, Angst, Geheimniskrämerei.

      Und - Eva presste die Lippen zusammen - am Ende die schmerzliche Zurückweisung.

      Ihr Blick fiel auf die flache Armbanduhr am Handgelenk, Last-Minute-Geschenk

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