Die Efeufrau. Nieke V. Grafenberg

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Die Efeufrau - Nieke V. Grafenberg

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Flur entlang.

      Rätselhafte Geräusche hinter den stahlgrauen Türen, eine so wenig einladend wie die andere, wie Zellentüren kamen sie Eva vor. Reste von Tageslicht mühten sich durch das gläserne Viereck im oberen Drittel, zwei Leuchtröhren schwächelten unter der hohen Decke. Außen verspielter Barock, innen funktionaler Tunnel - drei Paar Schuhsohlen marschierten in trügerischer Harmonie, polterten hohl wie die Stiefelabsätze der Spuksoldaten in den historischen Kasematten unter der Stadt.

      Am Ende des Ganges ließ der Beamte sie allein. Eva starrte auf das Schild neben der Türfüllung. Zimmer dreizehn war ein gutes Omen, sie war am dreizehnten geboren, aber unterhalb der Zahl dick und fett das Wort Kriminalpolizei! Eva suchte den Blick ihrer Tochter. Vermisstenmeldungen waren bei Mord und Totschlag angesiedelt? Schwer stützte sie sich auf die Lehne des einzigen Stuhls weit und breit.

      „Mama, warum setzt du dich nicht?“

      Nina drückte sie auf den hölzernen Sitz und ließ ihre Jacke auf Evas Schoß gleiten. Falls ihr aufgefallen war, dass sie bei der Kripo gelandet waren - sie ließ sich nicht beeindrucken. Sie studierte den Aushang am schwarzen Brett. Ein Terrorist ordentlich aufgereiht neben dem anderen, Augen vor dem Blitzlicht in Höhlen versteckt, mürrischer Mund, die Haare meist strähnig. Alles in allem wirkten die jungen Gesichter ähnlich verblasst wie das einmal schwarzweiße Plakat. Ohne die frisch gewaschenen Haare, dachte Eva, und das sorgfältig aufgelegte Make-up hätte sie ihr Abbild mit Leichtigkeit darunter mogeln können. Für die Rubrik besondere Kennzeichen wären der Leberfleck über dem Mundwinkel und die Partie von den Schläfen zum Kinn in Frage gekommen, die war ihr vom Vater mitgegeben und ein wenig lang geraten. Eva musterte Nina von der Seite. Die Gesichtszüge der Großmutter hatten sich durchgesetzt. Beide Töchter hatten das perfekte Oval geerbt und die kurze, gerade Nase. Nase wie Gesichtsform hatten eine Generation übersprungen, die anderen Frauen der Familie mit ihren länglichen Gesichtern und den breiten Stupsnasen konnten sich nicht messen.

      Endlich sprang die graue Tür mit der Milchglasscheibe auf, ein Mann in Jeans bat sie herein. Nina, die Hände auf dem Rücken verschränkt, reagierte nicht, sie las in der Rubrik hausinterne Nachrichten für Beamte, als ginge sie das alles nichts an. Erst als er sich räusperte und die Tür abwartend für sie offen hielt, trat sie doch noch mit ein.

      „Nehmen Sie ruhig Platz - dort bitte - der Kollege kommt gleich!“

      Eine auffordernde Geste, zwei nebeneinander stehende Stühle, und wieder waren sie allein, warteten still und stumm, dass jemand sich zeigte, der zuständig war. Würde er jung sein und unerfahren - Eva suchte vergeblich, die Füße ruhig zu halten - oder würde ein lang gedienter, erfahrener Kriminalbeamter sich ihrer annehmen? Durch die angelehnte Tür zum Nebenraum hörte sie dumpf: Die Kundin ist da.

      Eine seltsame Bezeichnung für einen Ort wie diesen, dachte Eva, auch wenn sie einer Bezeichnung wie verdächtiges Subjekt oder Verdächtige vorzuziehen war. So ausgelaugt wie sie sich fühlte, bang wie in den Minuten vor einer Operation, wäre Patientin wohl am ehesten angebracht gewesen.

      Beklommen ließ Eva den Blick durch das Vernehmungszimmer wandern. Bestimmt sah eins wie das andere aus, glich, wie die grauen Türen im Flur, aufs Haar dem Büro ein Stockwerk darüber. Möbel auf Rohrstahlfüßen, der Boden wie Latex, hellgrau mit dunkleren Sprenkeln, dem schonungslosen Licht der Neonröhre fehlte der Blendschutz. Ein taschenrechnergroßes Diktiergerät neben dem Computer, vier Keramikbecher akkurat aufgereiht im ansonsten leeren Regalfach, einer davon mit dunkelrotem Lippenabdruck. Es roch nach eingebranntem Kaffee, unangenehm metallisch zwar, aber nicht annähernd so Brechreiz erregend wie an dem Tag, an dem sie Eierkohlen statt Ostereier erzeugte, weil sie wie Großmutter früher die Herdplatte angestellt und gleich darauf aus dem Gedächtnis gestrichen hatte. Verstohlen reckte Eva den Hals. Eine Kaffeemaschine war nicht zu entdecken, würde vielleicht nebenan stehen, passte auch nirgendwo hin.

      Ein graues Leinensakko lag achtlos hingeworfen über einer der Armlehnen des Schreibtischstuhls vor dem Fenster. War der, auf den sie warteten, ein lockerer, vielleicht sogar kreativer Typ? Eine verkappte Künstlerseele? Warum nicht? Wäre sie der eines akribisch ermittelnden Polizeibeamten nicht in jedem Fall vorzuziehen?

      Endlich wurde die Tür zum Nebenraum aufgedrückt, ein Beamter mittleren Alters reichte ihnen die Hand. Untersetzt von Statur, aber keineswegs fett, eher muskelbepackt, die kurzen Oberschenkel sprengten beinahe die Hosenbeine. Grübchen im Kinn, die grauen Haare militärisch kurz geschoren. Nein, keinesfalls die fürsorgliche Vaterfigur, wie Eva sie sich gewünscht hätte. Andererseits aber auch kein Anzeichen eines Bluthundes, das wäre ihr bestimmt nicht entgangen. Evas verschwitzte Handflächen schien er nicht wahrzunehmen, behende umrundete er den hochbeinigen Schreibtisch, beugte sich vor und klickte Vorgänge im Computer an, die Nina und sie nicht einsehen konnten. Klick, klick, klick - als Personen schienen sie ihn nicht zu interessieren, sein Augenmerk galt dem Bildschirm, sein zielstrebiges Gebaren hieß sie weiter schweigen. Er schob einen niedrigen Stapel Papier in den Drucker, ein grünes Licht leuchtete auf, die Maschine jedoch blieb still.

      „Sie haben heute Morgen angerufen?“

      Er setzte sich hin und verschränkte die Hände über der Gürtelschnalle. Ein flüchtiger Blick aus hellen Augen streifte Mutter und Tochter, fiel dann auf den unter einen Locher geklemmten, gelben Zettel. Er zog ihn heraus.

      „Wie es aussieht, geht es um eine Vermisstenmeldung? Ihr Mann wandert und hat sich seit ...“, seine Augen suchten die Notiz zu entziffern, „seit ein paar Tagen nicht gemeldet?“

      „Seit acht Tagen, ja ...“, setzte Eva an, er aber unterbrach sie.

      „Augenblick noch, Frau ...“

      Der Name war wohl ebenfalls unleserlich, er runzelte die niedrige Stirn.

      „Zunächst einmal brauchen wir ein paar Angaben zur Person. Ihr Mann, wie heißt er, und wann ist er geboren?“

      „Ernst Brandner“, gab Eva an und spürt den aufgeregten Pulsschlag in Mutters Knie, an das sie den Kopf gelehnt hat. Mutters angestrengte Stimme, die Suchmeldung nach dem Krieg. Eva hört sie den Namen Georg hervorpressen, der ihr Vater war und vermisst. Der einen Teil von ihr mitgenommen und bewahrt hat, als er nach dem Heimaturlaub einfach so wegblieb. Seither fehlt ihr etwas, sie ist nicht komplett, hätte der Mann sonst das Wort Halbwaise in den Mund genommen, das ähnlich verstörend klang wie der Flüchtling?

      Viel später hat Eva im Lexikon nachgelesen, dass eine Waise nicht zwingend das Letzte und Wertlose ist. Der Begriff Waise konnte ebenso gut dem heutigen Solitär entsprechen. Oder dem Stein der Weisen, beide stellten das Eine, ganz Besondere dar. So, wie sie es verstand, waren Waise wie Stein etwas sowohl Wertloses als auch Wertvolles - ein Gegensatzpaar, das Eva vertraut war. Hatte sie nicht oft das Gefühl gehabt, entweder das Letzte oder das Erste zu sein?

      Der Riesenkloß im Hals, wem eigentlich galt er, musste Eva sich fragen, war es doch lange her, dass ihr Vater sie beide so elend im Stich gelassen hatte. Aber sie würde so wenig weinen wie ihre Mutter auf dem Stuhl vor dem Schubladentisch in der Amtsstube, sie hatte Dringenderes zu tun.

      „B-r-a-n-d-n-e-r.“ Eva ertappte sich, wie sie, wie ihre Mutter damals, mit belegter Stimme den Nachnamen buchstabierte. „Geboren 1950, am 30. Februar.“

      Das Datum klang fremd, sie stutzte, verbesserte sich: „Was sage ich denn! Dreißigster, das ist korrekt, aber Januar natürlich.“ Seine Finger blieben über der Tastatur in der Schwebe, er sah sie abwartend an. Schuldbewusst senkte sie den Blick auf die Hände, dachte angestrengt nach. „30. Januar 1950“, nickte sie dann, schob nach kurzem Zögern ein bekräftigendes „definitiv“ hinterher. „Tut

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