Die Efeufrau. Nieke V. Grafenberg

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Die Efeufrau - Nieke V. Grafenberg

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die ältere Schwester! Annas springlebendiges Temperament, das musste Eva zugeben, hätte ein Sichgehenlassen niemals gestattet. Sie würde die Mutter zu Taten antreiben, würde keinesfalls wie gelähmt herumhängen, wie Eva es wohl in Ninas Augen tat. Dabei waren Anna und Nina über lange Strecken nicht unbedingt ein Herz und eine Seele gewesen - sechs Jahre Altersunterschied, sie hatten nicht selten gestritten.

      „Was weiß ich, was jetzt kommt.“ Eva sah zu, wie Nina ihr kaum angerührtes Tiramisu auf dem Glasteller hin und her schob. Ihr fiel nichts Tröstliches ein. „Du hast ja gehört, es gilt abzuwarten.“ Ihre Schultern hoben sich, unschlüssig schlug sie vor: „Vielleicht sollten wir erst einmal Oma anrufen?“

      „Wenn du meinst, das bringt was“, kam es schnippisch von Nina zurück. Mit verzogenem Mund warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und stand auf. „Und außerdem: Darum geht es doch gar nicht!“

      Eva kratzte die kalten Reste der Pasta-Mahlzeit zusammen. Der abgestandene Geruch verursachte ihr Übelkeit, sie stand ganz schnell auf. „Noch zwei Tage Geduld“, mahnte sie und riss den Unterschrank zum Komposteimer auf, „du hast es doch selbst gehört!“

      Wie gewohnt ließ sie heißes Wasser über die Essteller laufen, bevor sie sie in die Spülmaschine räumte.

      „Sowie die Küche wieder in Schuss ist, werde ich nachfragen, ob Oma nicht doch eine Nachricht von Papa gekriegt hat. – Ich mach Tee, willst du auch eine Tasse?“

      Nina, schon auf halber Treppe nach oben, drehte sich um.

      „Nein, will ich nicht! Und das mit der Nachricht, das glaubst du doch selbst nicht - Oma hätte längst angerufen! Aber jetzt hab ich’s eilig, Martin kommt gleich.“

      Eva sah Nina hinterher, die wie üblich zwei Stufen auf einmal nahm. Angesichts des unausweichlichen Telefonats unterdrückte sie einen Seufzer. Es war ganz schön schlimm, dass sie handeln musste, wo sie nicht wollte. Ein Stapel Briefe lag in der Schale neben dem Telefon. An Ernst gerichtet und wie es aussah, waren auch Rechnungen darunter, die eine oder andere Überweisung wäre erforderlich. Das war üblicherweise sein Revier und jetzt konnte sie ihn nicht fragen.

      Der Rand der gläsernen Spaghettischüssel war zu hoch, sie passte nicht in die Spülmaschine. Wäre Eva beinahe aus der Hand gerutscht, denn ein Ohren betäubender, brunftiger Ruf drang aus dem Kinderzimmer, dehnte sich aus, erschütterte jede Mauer des Hauses. Kehlige, dumpfe Laute, Eva stellte die Glasschüssel ab. Fingerübungen auf dem Saxophon, Nina spielte sich warm.

      Negermusik. Eva zog die Tür zum Windfang zu. Mutter hatte sich noch getraut, das Wort in den Mund zu nehmen. Aber Mutter - unwillkürlich griff sie sich an den Kopf und massierte Stirn und Schläfen - Mutter lebte schon lange nicht mehr im Haus. Ende April war sie gestorben, und seither - Evas Blick blieb auf den unersättlichen Greifarmen der jungen Efeutriebe rund um das Küchenfenster haften - seither schien das Leben ihrer einzigen Tochter aus den Fugen zu geraten.

      Im Flur schlug die Türklingel an, die ersten Takte der Marseillaise erklangen, Evas Herz fing an zu flattern.

      Die Türklingel schlug ein zweites Mal an. Nina sollte aufmachen gehen, Evas Füße schienen mit dem Boden verwachsen, denn dort, in kurzen Hosen und T-Shirt, saß Ernst am runden Küchentisch. Das Gesicht zum Fenster gewandt, blickte er in den Garten. Wie so oft in der Vergangenheit, der Ausdruck seiner tief liegenden, grauen Augen blieb Eva verborgen. Sie hielt den Atem an, gern hätte sie über den seidigen Haarpelz seiner Unterarme gestrichen, um zu sehen, ob er wirklich wirklich war. Ob er sich winden und ihm das immer ein wenig verdrießlich klingende Jetzt nicht! entschlüpfen würde, das ihr Verlangen nach Nähe zumeist im Keim erstickt hatte? Zärtlichkeiten, die nicht unmittelbar zum Sex führten, waren vergebliche Liebesmüh geblieben.

      Allons enfants de la patrie - auf, auf, ihr Kinder des Vaterlands, den Aufstand geprobt, die Zeit ist reif! Wieder erklang die Marseillaise, länger und nachdrücklicher diesmal. Die rauchigen Töne im oberen Stockwerk brachen ab, Eva konnte sich regen. Sie war fast an der Haustür, verhielt dann aber den Schritt. Das Saxophon noch am Gurt um den Hals, im langen Flatterrock, die überlangen Bänder der Joggingschuhe mehrfach um ihre mageren Knöchel gewunden, polterte Nina die Treppe herab. Der junge Mann auf der Schwelle lächelte verlegen. Er trug Jeans und ein frisch gewaschenes, blendend weißes T-Shirt.

      „Das ist Martin, Mama.“

      Für einen Moment verharrten Nina und ihr Freund zögerlich unter der Haustür, liefen dann aber in stummer Übereinkunft nebeneinander die Treppe hinauf. Verstohlen zog Eva die ausgestreckte Hand zurück und sah ihnen hinterher. Ninas Zimmertür wurde nachdrücklich zugeknallt.

      Als etwas später die Haustür zufiel, horchte Eva auf. Schnell griff sie zur Creme, rieb etwas davon auf die Hände und eilte die Treppe hinauf zum Ausguck am Gästezimmerfenster, wo sie schlief. Martin musste schon achtzehn sein, Nina stieg in einen roten Golf, sie fuhren davon. Eva kehrte zurück in die Küche und füllte den Wasserkessel. Dann lief sie zum Wohnzimmerschrank, hob eine der zarten Porzellantassen heraus und setzte sie behutsam zu der Zuckerschale aus rubinrotem Bleikristall. Die ausgespülte Teekanne kam zum Anwärmen in die Mikrowelle, Eva beobachtete sich. Das feinste Kristall und Porzellan, das Beste, was ihr Haushalt hergab. Brauchte sie diese Äußerlichkeiten, weil innerlich alles in Unordnung war? Bis Nina aus dem Kino zurück war, blieb sie allein, konnte bei einer Tasse Tee die drückende Last des Anrufs bei ihrer Schwiegermutter hinter sich bringen. Der Gespräch mit Anna musste noch warten, in Melbourne herrschte die Nacht.

      Das Teewasser summte leise. Was Nina wohl tat? Knutschereien im schummrigen Kino, damit war zu rechnen, aber darüber hinaus?

      „Was du immer denkst!“

      Wenn Nina nur einen Schimmer von Evas schlimmster Befürchtung erhaschte, stellte sie sämtliche Stacheln auf und ergriff die Flucht. So wie Eva vor Jahren die Flucht ergriffen hatte.

      „Bring mir bloß kein Kind nach Haus!“ hatte Mutter ihr mit auf den Weg gegeben und „Männer wollen nur das Eine!“

      Gut, die Zeit damals war anders gewesen, aber Mutters Warnung hatte Eva verunsichert, ja zutiefst misstrauisch gemacht. Auch wenn sie nicht an den Klapperstorch glaubte, hatte sie doch nicht die blasseste Ahnung von Männern gehabt, geschweige denn, wie ein Baby zustande kam.

      Nina war beinahe fünfzehn, das betonte sie oft und gern. Evas Meinung nach viel zu jung für Sex, ihre Mutter war dreiundzwanzig gewesen. So lange brauchte das Kind nun auch wieder nicht zu warten, und im Gegensatz zu ihr in dem Alter war sie längst aufgeklärt, aber dennoch stellte sich die Frage: Wie ging Nina mit ihrer Aufgeklärtheit um?

      Evas Handflächen umspannten den vorgewärmten Bauch der Kanne, sie setzte sie zum Teegeschirr und goss simmerndes Wasser auf rotbraune Teeblätter. Wie süchtig inhalierte sie den aromatischen Duft des Australian Outback Tea, von dem Anna eine bemalte Halbpfunddose geschickt hatte. Auch wenn die bodenständige Teemischung nicht zum besten Geschirr und dem vergoldeten Holztablett passte, sie würde vielleicht den bohrenden Kopfschmerz lindern und ihr für Ernsts Mutter die passenden Worte eingeben.

      Die angrenzenden Gärten waren noch immer verwaist, kein Nachbar in Sicht, doch bevor Eva das Telefon zu sich an den Küchentisch holte, schloss sie die Schiebetür zum Balkon, als gälte es, sich vor Lauschangriffen zu schützen.

      VIER

      Der Teerest in Evas Tasse war kalt geworden. Auf seiner Oberfläche schillerten bunte Schlieren wie Teerlachen nach einem Regen. Angestrengt lauschte sie dem Rufzeichen des Telefons. Einmal, zweimal, dreimal ... bei fünf hörte Eva auf zu zählen. Sie runzelte die

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