Die Efeufrau. Nieke V. Grafenberg

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Die Efeufrau - Nieke V. Grafenberg

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verbarrikadieren. Draußen fiel ihr die Klette im Haar wieder ein. Sie zog und zerrte an dem unnachgiebigen Störenfried, bückte sich dann kurzerhand nach der schartigen Rosenschere, säbelte blindlings den stacheligen Haarfilz heraus. Anschließend dröselte sie das Büschel auf, bis die Klettkugel aus ihrem Bett war, schnipste sie angewidert in den Dreck, zermalmte sie mit dem Absatz und verwischte die Spuren, als hätte sie etwas Gesetzloses getan. Dann schloss sie sorgfältig ab, ließ im Wäschekeller die schmutzigen Kleidungsstücke zu Boden fallen, lief nackt und fröstelnd nach oben ins Badezimmer.

      Unter der heißen Dusche schrubbte sie sich ab und wusch gründlich die Haare. Beim Blick auf die kurzen, breiten Füße mit dem hohen Spann und den Knubbelzehen stellte sie wehmütig fest, dass gewisse Körpermerkmale sich eigentümlich stark ausprägten und dass sie ihrer Mutter immer mehr glich. Sie konnte sich nicht erklären, wieso ihre Gliedmaßen mit zunehmendem Alter eine ganz eigene Entwicklung durchmachten. Wenn sie die ererbten Ringe ansteckte, blickte sie auf das Abbild von Mutters altersgefleckten Händen.

      Andererseits: Übertrieb sie nicht mit dem Sich-alt-Fühlen? Noch fehlten die Pigmentflecken, und eine Vielzahl teurer Strähnchen vertuschte die grauen Stellen im Haar. Das trübe Blaugrau der Iris allerdings war nicht zu kaschieren - ihre Augen hatten die Leuchtkraft verloren, das wusste Eva wohl. Unter den Umständen aber war das wenig verwunderlich. Liebend gern hätte sie Zuflucht im Alkohol gesucht, doch den versagte sie sich. Sie musste unbedingt die Kontrolle behalten, sie kannte sich! Alkohol lockerte ihr die Zunge, machte sie leichtsinnig und kühn. Das konnte sie keinesfalls gebrauchen. Nicht in ihrer derzeitigen Situation.

      Wenig später stand Eva mit einem Becher Milchkaffee am Fenster des Gästezimmers, das vorn auf die Straße ging. Ihr leerer Blick streifte den Schutzwall von Mauer vor ihrem Haus, glitt darüber hinweg wie ein Vogel im Flug, folgte dem Band der schmalen Straße, bis es sich in der Kurve verlor.

      Wie ihr zumute war? Grässlich mulmig, fiel Eva als mögliche Antwort ein, auch wenn kein Mensch danach fragen würde.

      Hummeln im Magen?

      Bei ihr waren es Libellen.

      Große, blaue, flirrende Libellen.

      Die aus dem Gartenteich.

      ZWEI

      Auf dem Weg in die Stadt versuchte Eva, die Ruhe zu wahren. Vor der Polizei hatte sie Angst, seit sie auf dem Dorf eine Schaufensterscheibe zerschlagen hatte. Feixende, pubertäre Fresse, sie sah den Knaben noch vor sich, war kopflos gewesen vor Wut. Ihr Schneeball hatte ihn verfehlt, Hals über Kopf war sie weggerannt, hatte später Ärger bekommen, obwohl sie die Juwelen nicht geklaut hatte. Seither bereitete der Anblick eines Polizisten ihr Unbehagen, machte ihr wider jede Vernunft ein schlechtes Gewissen. Bei heulenden Sirenen in der Nähe wusste sie: Sie kamen wegen ihr.

      Tuut, tu-tut, tuut - das wilde Hupkonzert an der Ampel galt ihr. Grüner wird's nicht, du blöde Kuh! Im Rückspiegel, gut ausgeleuchtet von der Nachmittagssonne, das nur mühsam beherrschte Mienenspiel eines Unbekannten. Ernst konnte auch so stier gucken, Augen wie grauer Kitt, kalte, stumpfe Murmeln, wenn er wütend war. Konnte strafen, indem er sie ignorierte und tagelang nur mit den Kindern sprach. Der Knall der Arbeitszimmertür, die hinter ihm ins Schloss fiel, ihre Empörung über die unausgesprochene Zurückweisung. Eva sah sich in sein Refugium dringen, sie hörte sich brüllen:

      „Das hält ja kein Schwein aus! Sofort redest du mit mir!“

      Doch die verbale Attacke war Wunschdenken, reine Illusion. In Wirklichkeit hatte sie sich nicht getraut.

      Kurz nach halb drei erreichte Eva die Innenstadt. Sie bog in die Herrenstraße mit ihren prachtvoll restaurierten Hausfassaden. Von Anfang bis Ende Barock, zuckerbäckerfarben, sie schloss die Augen vor der blendenden Pracht. Die nie gewesene heile Welt, an dieser Stelle kredenzte man sie ihr als Tränen treibendes, unverdauliches Sahnebaiser. Förderschule im lang gestreckten Puppenhaus, Eva rümpfte die Nase. Rosarote Zukunftsmalerei, wo die Zukunft keinesfalls rosig schien.

      Gegenüber, schwarz hingetuscht auf den Bürgersteig, bizarr und gespenstisch zugleich das Schattenzerrbild eines Balkenskeletts. Die Musikschule im Malergerüst als grotesker, hohlwangig grinsender Sensenmann. Davor und dahinter eingeschränktes Halteverbot, Be- und Entladen war zwar erlaubt, aber Nina ließ ungewöhnlich lange auf sich warten. Eva löste den Haltegurt. Der Beifahrersitz lag im Schatten, sie reckte sich und kurbelte das Seitenfenster herunter. Gerade wollte sie den Häuserblock umrunden, da schlenderte Nina durch das Portal. Sie steckte den Kopf ins Auto und hielt Eva die flache Hand hin.

      „Die G-Seite ist gerissen! Acht Euro - ich hab's für dich ausgelegt!“

      Evas Finger umspannten das Lenkrad.

      „Nicht jetzt! Nun mach schon, beeil dich!“

      Nach einem Blick auf die gereizte Miene der Mutter riss Nina die Hecktür auf und verstaute den Geigenkoffer auf der Rückbank. Dann setzte sie sich betont langsam auf den Beifahrersitz.

      Das Polizeirevier, gleichfalls barock, lag gleich um die Ecke. Vor dem Gebäude eine Reihe freier Parkplätze. Eva kniff die Augen zusammen, vor Aufregung schien ihr Sehvermögen getrübt. Wo waren die Hinweisschilder für schuldig und unschuldig? Plötzlich war ihr Mund wie ausgedörrt, sie schluckte und fragte:

      „Bist du ganz sicher, dass du mit rein willst?“

      „Mama - ich bin kein kleines Kind mehr!“, fauchte Nina, sie war doch sonst nicht so. Spitze Eckzähne gruben sich in die Unterlippe, ihr Griff ging zur Jacke und zum Türhebel. Mit langen Schritten steuerte sie die doppelflügelige Glastür des Polizeigebäudes an.

      Als Anmeldung diente ein schäbiger Raum mit zwei ramponierten Stühlen, auf denen sie bitte Platz nehmen sollten. Trüben Blickes musterte Eva die Abgrenzung. Eine auf Unterschränke gedübelte Arbeitsplatte teilte den Raum, war Kommunikationstresen und Distanzhalter zugleich. Ein hüftbreites Teilstück war aufklappbar. Unterhalb der Klappe Uniformbeine in festen Schuhen, oberhalb ein neutrales Jungengesicht über dem Kurzarmhemd. Die Stimme kam Eva vage bekannt vor. War er es, mit dem sie am Morgen gesprochen hatte? Der Schreibtisch mit dem Telefon befand sich unter dem Fenster. Ein Streifen Sonnenlicht glitt durch die Scheiben, verwandelte tanzende Staubpartikel in Schwärme von glänzenden Irrlichtern, der blanke Strahl hob dort, wo der Wasserkocher stand, das aufgeworfene Furnier überdeutlich hervor.

      Die rissigen Blasen im Holz versetzten Eva einen Schlag in die Magengrube. Ihre Hand mit der Kaffeetasse über Ernsts Arbeitsplatz. Seine gereizte Bewegung aus dem Handgelenk, mit der er den mousepad als Untersatz heranzog. Die unverhohlene Missbilligung in seiner Stimme: Mach bloß keine Macken!

      Die Bilder jagten sich: angriffslustig gebleckte Zähne, ein durchbohrender Blick. Behaarte Urwaldfäuste trommeln auf imposanter Brust, der hohle Ton lässt das Zwerchfell vibrieren. Das hier ist mein Revier ... Hatte Ernst nicht schon schief geguckt, wenn sie nur ihre Hand auf die eichene Platte stützte?

      Der Polizist hinter der Abgrenzung klemmte sich eine Akte unter den Arm und steuerte den Schreibtisch an. Er nahm den Telefonhörer auf und räusperte sich. Der Faxapparat spie immer neue, druckfrische Seiten aus.

      Müde ließ Eva den Kopf in den Nacken sinken. Er traf auf eine Kante, sie wandte sich um. In Hinterkopfhöhe war eine solide Holzdiele angenagelt. Die ohnehin schmutzig gelbe Wand, sollte sie etwa vor Fettflecken bewahrt bleiben? Das stahlblaue Klappsofa fiel ihr ein, das umhäkelte Schondeckchen für Großvaters Spiegelglatze. Das Brett hinter ihrem Kopf, es war mit Sicherheit als Schutzschild gedacht.

      Das

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