Die Efeufrau. Nieke V. Grafenberg

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Die Efeufrau - Nieke V. Grafenberg

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gab Eva zur Antwort. „Oberstudienrat am Richard-Wagner-Gymnasium in Baden-Baden.“

      Der Beamte tippte es ein.

      „Zirka einsneunzig groß“, - auf den Zentimeter genau wusste Eva es nicht, sie musste schätzen - „er hat eine Narbe auf der rechten Stirnseite.“

      Er hörte auf zu tippen und sah sie an.

      „Andere hervorstechende Merkmale?“

      Eva zögerte. „Eigentlich nicht ... oder vielleicht doch, ich weiß nicht, ob es von Bedeutung ist: Bevor er losging, hat er den Bart abrasiert. Er wird einen Stoppelbart haben - mit grauen Stellen darin.“

      Während er tippte und ab und zu klick, klick, klick machte, fragte sie sich, wie er sie wohl sah.

      Vor ihm, die Füße artig gekreuzt, saß eine Frau mittleren Alters - die Augen besorgt, aber weder zu klein noch zu groß. Nase nicht unbedingt gerade, aber auch nicht krumm. Durchschnitt bis auf den ausgeprägten Mund, wie beim Vater liefen die Gipfel der Oberlippe ungewöhnlich spitz zu. Für den Termin heute hatte sie die Spitzen mit hautfarbener Grundierung gemildert und einen kräftig rosa Lippenstift kurvig aufgetragen. Jetzt saß sie mit artig gebogener Oberlippe, Mittelmaßmutter eines ungelenken Teenagers, der seine Unsicherheit hinter mürrischer Miene zu verbergen suchte - und dies hier war keinesfalls ein Spiel! Ab sofort steckten sie mit Rang und Namen in der Kartei des Kriminalamtes, vermutlich bundesweit.

      Eva setzte sich aufrecht. Sorgfältig schloss sie die zerknitterte Leinenjacke über der munteren Blütenpracht ihres sommerlichen Tops, als wolle sie sich für weitaus intimere Fragen wappnen. Die würden kommen, unausweichlich, denn dazu war sie da.

      Der Polizist löste die strammen Unterarme von der Schreibunterlage. Er schob seinen Drehstuhl zurück, tat einen Schwenk in ihre Richtung, setzte beide Füße auf das Rollengestell. Sein ausdrucksloser Blick wanderte von ihr zu Nina und wieder zurück.

      „Ihr Mann, Frau Brandner, wo wollte er hin? Und ist jemand bei ihm?“

      „Niemand, nein, er ist ganz allein unterwegs.“ Eva wich seinem Blick nicht aus. „Endpunkt der Wanderung sollte Venedig sein.“

      „So, so, Venedig. Ganz schönes Stück.“ Der Beamte kaute auf seiner Unterlippe. „Und die Wanderstrecke - ist Ihnen die geläufig?“

      „Schwarzwald, Bodensee, Alpen, Gardasee, Verona, Venedig.“

      Evas Hand fuhr wie von selbst zur Handtasche. Ernsts ausgeklügelten Wanderplan trug sie bei sich.

      „Nein, nein, lassen Sie nur!“ Abwehrend hob er die Hand. „Was hatte Ihr Mann an, trug er spezielle Wanderkleidung, als er das Haus verließ?“

      „Nein, bis auf die Wanderschuhe hatte er ganz alltägliche Sachen an. Roter Baumwollpulli mit Rollkragen ... dazu blaue Jeans mit Gürtel - dunkelbraun, glaube ich.“ Eva schluckte schwer. Sie beschrieb den knallroten Trekkingrucksack, sprach von den in Schlaufen hängenden Aluminiumflaschen für den täglichen Wasservorrat und sah an ihm vorbei aus dem Fenster. „Der Rucksack ist ziemlich schwer, weil er immer sein Zelt dabei hat.“

      „Was wiegt der denn so, haben Sie eine Ahnung?“

      „So um die zweiundzwanzig Kilo“, gab Eva zur Antwort und sah Ernst zuerst ohne, dann mit Rucksack ihre Personenwaage besteigen.

      “Ist er häufig allein unterwegs?“

      „Erst in den letzten Jahren ...“, Herr Kommissar lag ihr auf der Zunge, aber das Schildchen, es fehlte, nichts deutete auf seinen Dienstgrad hin, „ ... erst seit er regelmäßig wandert.“

      Sie holte tief Luft.

      „Er geht allein, damit er sein Tempo selbst bestimmen kann.“

      Und weil er nicht reden will, fügte sie im Geiste hinzu, jedenfalls nicht mit mir.

      „So, so.“ Sein gespaltenes Kinn hob sich, er wiederholte wie zu sich selbst: „Hm, ja, er geht also gern allein. Und der Zeitraum seiner Abwesenheit, war der vorher genau festgelegt?“

      „Haargenau. Mein Mann druckte aus, an welchem Wochentag er sich wo befinden wollte. Reliefkarte und Zeitplan, ich kann sie Ihnen zeigen. Schon seine erste Wanderung kam auf den Tag genau hin. Nina ...“ Eva wandte sich ihrer Tochter zu, konnte deren Blick aber nicht einfangen, „Nina hat damals täglich Fähnchen gesteckt, und als er das erste Mal anrief, stimmten sie in jedem Punkt mit seinem Streckenplan überein. Mein Mann ist auf die Stunde genau im Urlaubshotel eingetroffen.“

      Abgemagert, durchtrainiert und sexuell ausgehungert. Eva ertappte sich, wie sie auf den gebräunten Hals ihres stämmigen Gegenübers starrte. Wie eine römische Säule ragte er aus dem weit geöffneten Hemdkragen. Sie errötete, als sie seinem aufmerksamen Blick begegnete. Rasch senkte sie die Augen auf ihre fest verschränkten Hände.

      „Das war unser Urlaubshotel in Kärnten. Eine Familienwoche im Anschluss, darauf haben wir uns alle gefreut! Und mein Mann konnte sich, wenn er denn wollte, bei weniger anspruchsvollen Wanderungen erholen.“

      Als er schwieg, fuhr sie hastig fort: „Im Jahr darauf haben die Kinder und ich dort wieder die Ferien verbracht. Im selben Hotel, denn die zweite Wanderung, die führte meinen Mann nach Genua. Von dort aus nahm er den Abendzug nach Villach, wo wir ihn abgeholt haben.“

      Wandern macht süchtig, Eva meinte es zu wissen. Ernst war süchtig geworden, wie berauscht war er aus dem Zug gestiegen, hatte sie alle umarmt und im selben Atemzug angekündigt, dass er jetzt jedes Jahr losziehen wolle. Sie könne ja mit, obwohl er wusste, ihre Begeisterung für das Wandern hielt sich in Grenzen.

      „Hat er sich denn damals gleich gemeldet?“

      Der Beamte wippte mit der Rückenlehne. Er wippte und schaute von Nina zu ihr, diesmal blieb sein Blick an Nina hängen. Die sah aus, als sei sie den Tränen nahe. Sie presste die Lippen zusammen, schüttelte heftig den Kopf, brachte aber kein Wort heraus, und Eva beeilte sich mit der Antwort: „Nein, nicht gleich. Ich habe alles versucht. Er schien sich nicht vorstellen zu können, dass wir uns Sorgen machten!“

      Nina zog geräuschvoll die Nase hoch, Eva unterbrach sich. War das ein Zeichen, dass das Kind doch noch sprechen würde? Doch Nina wischte sich nur mit dem Handrücken die Nase und sah den Beamten von unten herauf schief an. Ihr beharrliches Schweigen füllte den Raum. Und während er ungerührt ihren Blick erwiderte, kroch es wie Nebel in alle Ecken, wurde undurchdringlich wie schmieriger Londoner Fog. Evas Hand fuhr zum Hals, als drohe sie zu ersticken. Dann erinnerte sie sich, wo sie war. Sie riss sich zusammen und ließ die Hand in den Schoß sinken.

      „Selbstverständlich fürchteten wir, es könne ihm etwas passieren, so allein. In den Medien wird ja häufig genug von Bergunfällen berichtet. In meiner Not habe ich ihm sogar gedroht, wir würden die Bergwacht informieren, falls er sich nicht alle zwei Tage meldet!“ Eva schüttelte ratlos den Kopf. „Ich hatte gehofft, das würde ihn aufrütteln, aber auf dem Ohr war er taub. Ob im Ernst oder Spaß, kein Versuch hat gefruchtet. Wie sollen wir ruhig schlafen können, habe ich zu bedenken gegeben, wenn du dich wochenlang so allein in den Bergen amüsierst und nicht meldest!“

      Der letzte Satz, er klang irgendwie falsch, der Beamte hob seine Brauen. Wieder wollten Evas Füße sich selbständig machen, sie zwang sich zur Ruhe, noch musste sie ausharren, an Flucht war nicht zu denken.

      Wenn

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