Die Efeufrau. Nieke V. Grafenberg

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Die Efeufrau - Nieke V. Grafenberg

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eilige Aufbruch hatten Eva den Plan schon im Vorfeld verraten. Das Ziffernblatt des stählernen Gehäuses war schwarz, gevierteilt durch silberne Striche. Silberne Fliegenschisse statt Zahlen, drei zwirndünne silberne Uhrzeiger, einer unterschied sich nur unwesentlich vom anderen. Eva führte die Uhr näher zum Gesicht. Der Sekundenzeiger sprang ruckend von einem Augenblick zum nächsten, ein deutlicher Wink, dass sie sich rüsten musste für ihren schweren Gang.

      Unter dem ausladenden Balkon lockerte sie die Schuhbändel und räumte die Geräte auf. Der Garten war schön. Jede Pflanze selbst gesetzt und jetzt, nach sieben Jahren, hatte sie ihr Ziel erreicht, er war von allen Seiten zugewachsen.

      Die schmal wachsende Thujareihe vor der östlichen Einzäunung erinnerte an strenge Friedhofseinfassungen. Doch bei Eva im Garten war jeder Eindruck von Strenge durch Blumenbeete gebannt, die vor Üppigkeit nur so strotzten.

      Als hohe Stauden vor dem ruhigen Heckengrund reckten sich starrköpfige Blaudisteln im Wettstreit mit den porzellanenen Blütenständen der Japanischen Anemone. Ein immenser tintenblauer Rittersporn kam jedes Jahr wieder verspätet zur Blüte. Sein umfangreicher Wurzelstock war Stammsitz einer Wühlmausfamilie, die jedem Versuch zur Vertreibung hartnäckig widerstand. Davor zwei altehrwürdige englische Rosenstöcke, rot geränderter Perlmutterglanz inmitten unversehrten Blattgrüns. Hinter verdorrtem Eisenhut verkroch sich verschämt ein Asternbusch, bis er mit seinem herbstlichen Feuerwerk von tausend violetten Sternen aufwarten konnte.

      Dort, wo das Beet einen Knick machte, am hellsten und wärmsten Fleck, verwob die Katzenminze ihre grau-violetten Blütenzweige mit denen der nimmermüden Polyantha-Rosen. Lila Storchenschnabel waberte zu ihren Füßen, kreiste zwei prahlerische Phloxinseln ein, verschleierte in seinem Lauf die schwächelnden Reste der Iris. Dunkelrote Astilbenkerzen flammten aus braun gerändertem Blattwerk, sollten sich über den ersten Schneefall hinaus als standfest erweisen. Aus diesem Grunde liebte Eva sie besonders.

      Unweit des Hühnerstalls, im tiefen Schatten eines Haselstrauchs, mühten sich sonnenhungrige Türkenbund-Lilien zwischen pflegeleichtem Farn und wollten nicht recht gedeihen. Eine Sorte kleinwüchsiger Frauenmantel, die gefingerten Blätter silbrig gerahmt, hatte sich hingegen fast unbemerkt ausgebreitet. Seine volle Schönheit enthüllte sich erst bei Regen oder Tau, dann perlten die Tropfen wie Diamanten auf dem Blattgrund.

      Eva entledigte sich der Gartenjacke und hängte sie an den Nagel gleich hinter der Kellereingangstür. Ihr letzter prüfender Blick galt der Blütenhecke auf der Gegenseite. Zusammen mit einem gewaltigen Nussbaum verwehrte sie jegliche Einsicht. Ein abgeschiedenes, ja verwunschenes Fleckchen zu schaffen, war von Anfang an ihr Bestreben gewesen. Es war schön, auch sonntags im Garten zu wühlen, in alten Klamotten und himmlischer Ruhe.

      Sonntagsruhe eben. Sie hatte sich immer gern unbeobachtet gefühlt. Aber heute war nicht Sonntag.

      Die Kopfhaut juckte. Eva kratzte sich und stieß auf eine strohige Klette in ihrem verfilzten Haarnest. Sie zupfte und zerrte daran, hielt dann aber inne. Das entfernte Läuten eines Telefons, die Hühnerstallnachbarn waren verreist, galt der Anruf etwa ihr? Sie stieß die angelehnte Kellertür ein Stück weit auf und lauschte beklommen. Ja, kein Zweifel war möglich, es war ihr Apparat, der so anhaltend lärmte!

      Fast verlor sie die ausgetretenen Schuhe, so eilig stolperte Eva die Kellertreppe empor. Direkt vor dem Telefon blieb sie wie angewurzelt stehen. Wieso eigentlich hetzte sie so? Es würde Mia sein, und nur weil die Freundin anrief, brauchte ihr Herz doch nicht so zu hämmern! Aber die Sache mit Ernst, Mia war nicht so leicht abzuspeisen. Sie ging den Dingen zu gern auf den Grund, würde bohren und Fragen stellen, die Eva vorerst nicht beantworten konnte - und auch nicht wollte, genau genommen. Sollte das Telefon weiter klingeln, sie brauchte nicht abzuheben, wer wollte sie zwingen!

      Doch das schrille Läuten hörte nicht auf, schien sie festzunageln. Kam es ihr nur so vor oder nahm es mit jedem Ton an Stärke zu?

      Einbildung, reine Nervensache, Eva wollte zurück in den Garten, aber schon beim ersten Schritt kam ihr Nina in den Sinn. Was, wenn die Geigenstunde ins Wasser fiel?

      Ein Anruf der Polizei war ebenfalls nicht auszuschließen ... eine Terminänderung? Aber nein, das konnte sie keinesfalls dulden, sie wollte das, was ihr so zusetzte, ohne jeden Aufschub hinter sich bringen! Unschlüssig trat sie von einem Fuß auf den anderen, ließ sich dann aber doch auf der Polsterbank nieder. Äußerst behutsam, das englische Möbel war mehr ein Museumsstück, als dass es zum Sitzen einlud. Eva stopfte sich die kleinen Finger in den Gehörgang. Elendes Gebimmel, ihr Trommelfell puckerte schon, sollte sie nun oder sollte sie nicht abheben?

      Gerade als sie die Hand nach dem Hörer ausstreckte, brach der letzte Klingelton ab. Sie saß absolut still und fixierte das Pendel der Standuhr, als sei es die Pforte zur Hypnose. Selbst wenn der Geigenunterricht ausfiel, schon einmal war es aus Kopflosigkeit zum Unfall gekommen. Ein Blechschaden zwar, nichts Ernstes, aber alles nur, weil die Mutter vor Sorge um ihr Kind die Vorfahrt nicht beachtet hatte. Auch wenn es ihr schwerfiel, Eva rührte sich nicht von der Stelle.

      Doch da, erneut das Telefon, nervtötend und schrill! Die Hände im Schoß vergraben, zählte Eva mit: Viermal ... fünfmal ... Als schließlich der letzte Ton verklang, streifte sie die erdverkrusteten Schuhe ab, zog ihre Füße auf die Bank, umarmte die Knie und stützte das Kinn darauf. Der Gang zum Revier, die Vermisstenmeldung ... wildfremdes Terrain, aber was sollte verkehrt laufen? Das, was sie zu melden hatte, war und blieb eine unabänderliche Tatsache: Einen Wahnsinnsrucksack auf seinen Rücken geschnallt, war Ernst losgewandert. Im langärmeligen Baumwollrolli des drohenden Sonnenbrandes wegen, der Schädel ungeschützt, an den Beinen die alt bewährten und reichlich abgeschabten Jeans. Acht Tage waren vergangen, sie hatten seither nichts von ihm gehört.

      Mehr gab es im Moment nicht zu sagen, höchstens, dass sie so lange still gehalten hatte, weil sein Nichts-von-sich-hören-Lassen an sich nichts Ungewöhnliches war. Das konnten alle im Dunstkreis von Ernst bezeugen.

      Eva nahm die Füße von der Bank und erhob sich. Dabei bog sie den Rücken durch und verzog das Gesicht. Die Nächte waren das Schlimmste. Das Bewusstsein, den Boden unter den Füßen zu verlieren, alles war unglaublich dunkel und still. Der Mangel an Schlaf, der qualvolle, immer wiederkehrende Efeutraum ... Missbilligend betrachtete sie ihr goldgerahmtes Ebenbild im Spiegel über der Sitzbank. Mundwinkel hängend, Wangen zu bleich, dazu die rot geränderten Augenlider - jedes Detail fügte sich zum Portrait einer abgekämpften, ihr fremd gewordenen Frau. Rasch wandte sie die Augen ab, trat ein, zwei Schritte zurück. Doch wie magisch wurde ihr Blick erneut vom Spiegel angezogen. Der veränderte Blickwinkel - die offene Küchentür war mit im Bild. Der blank gesessene Stuhl am kreisrunden Tisch ... Ernsts Platz, tagtäglich hatte er ausgiebig dort die Zeitung gelesen.

      Jetzt war er fort. Das Alleinsein mit Haus und Garten gruselte sie, auch wenn sie das ums Verrecken nicht preisgeben würde. In erster Linie galt es, hässliche aschene Augenringe und wächsernen Teint mit Make-up zu kaschieren. Wie ein Maler die Leinwand würde sie ihr Abbild grundieren und sorgsam verwischen, um nach dem Trocknen Pinselstrich für Pinselstrich dem angestrebten Selbstportrait Farbe wie auch Kontur zu verleihen. Bot nicht das Gefühl, so gerüstet zu sein, Schutz in fast allen Lebenslagen? Wie die Gaze mit dem Gips verband sich die neue Schicht mit der darunter liegenden zur aalglatten Maske, hinter der man sich verbergen konnte.

      Denk bloß nicht zu weit in die Zukunft, betete Eva sich vor. Leb einfach den Tag, sonst verzettelst du dich und stehst das alles womöglich nicht durch.

      Das war leichter gesagt als getan, auch, dass sie die Nerven nicht verlieren durfte. Aber Nina brauchte die Mutter, ihre große Schwester Anna auch. Seit wenigen Wochen war sie weg von zu Hause, war auf dem College in Australien. Keiner von beiden wäre gedient, wenn die Mutter in Panik geraten und schlapp machen würde.

      Bloß

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