Die Efeufrau. Nieke V. Grafenberg

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Die Efeufrau - Nieke V. Grafenberg

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tagtägliche Routine! Abwarten, der Mann dieser Frau ist erwachsen, kann machen, was er will ... Vielleicht ist der Kerl unterwegs versackt ... Oder er hat die Frau seines Lebens getroffen ... Nichts ist unmöglich, alles schon einmal da gewesen ... - das waren die Dinge, die ihm durch den Kopf gehen mussten!

      „Frau Brandner“, ein Ruck, sein Oberkörper kam ihr entgegen, „heute ist Freitag, und wie die Dinge liegen, sollten wir das Wochenende verstreichen lassen. Sagen wir Montag. Falls Sie bis dahin kein Lebenszeichen erhalten, rufen Sie mich gleich morgens an ... persönlich.“

      Er schob ihr sein Kärtchen hin: Rolf Zacher, Oberkommissar, die Durchwahl dick unterstrichen. Weil Eva auf ihrem Stuhl sich nicht rührte, erhob er sich halb aus seinem Sitz, reichte ihr quer über den Schreibtisch die Hand.

      „Ich verstehe ja, Sie machen sich Sorgen, aber in Ihrem Fall ist das wohl kaum angebracht.“

      Er nickte Nina aufmunternd zu.

      „Dein Vater ist gesund und fit, er wird sich bestimmt bald melden.“

      Dann wandte er sich an Eva.

      „In der Zwischenzeit sollten Sie sich trotzdem umhören. Freunde und Verwandte ... womöglich hat er sich ja bei jemandem gemeldet?“

      Er griff zum Telefonhörer und sprach hinein.

      „Wir sind hier soweit, schickt mir doch mal den Jan vorbei.“

      Aus und vorbei, sie waren entlassen.

      Der junge Polizist begleitete Mutter und Tochter zum Ausgang. Während sie schweigend den langen Flur durchschritten, dem Augen und anderen Sinnen entzogenen Sommertag entgegen, nahm Eva aus den Augenwinkeln die abweisend glatten Flurtüren wahr. Sieben Zellentüren, allesamt grau in grau. Zügig ließen sie eine nach der anderen hinter sich, rückten den wärmenden Sonnenstrahlen mit jedem Schritt ein kleines Stück näher. Ihr uniformierter Begleiter hatte den Kopf zur Seite gewandt, beäugte Nina mit unverhohlenem Interesse. In dem extrem weiten T-Shirt mit den verrutschten Schulternähten wirkte sie wie ein Kind, das Kleidung eines älteren Geschwisterteils auftragen muss. Abgetragene Joggingschuhe zu überlangen, ausgefransten Jeans erzeugten den Eindruck von Ärmlichkeit und täuschten darüber hinweg, dass ihr Aufzug keinesfalls zufällig war. Trotz des Sommertages trug sie Evas kratzige Burberry-Jacke lässig hingeworfen über eine eckige Schulter.

      Ninas Miene, wie sie so neben Eva her zum Auto trottete, war die eines verdrossenen, der Erwachsenenwelt überdrüssigen Teenagers, der jegliche Einsichtnahme in sein Innenleben verweigert. Während Eva den Wagen anließ, sprach Nina mit tonloser Stimme wie zu sich selbst:

      „Er hat sich so gut wie keine Notizen gemacht.“

      „Das macht er, wenn er für sich ist, da bin ich mir sicher!“, sagte Eva schnell und warf ihrer Tochter einen aufmunternden Seitenblick zu.

      „Macht er nicht, Mama!“

      Ninas Kopf flog in den Nacken.

      „Der denkt doch, der Papa ist abgehauen!“

      DREI

      „Bist du fertig mit essen?“

      Eva rang sich ein Lächeln ab. Sie erhob sich vom Küchentisch, tat die wenigen Schritte zur Terrassentür und wuchtete das mächtige Schiebeelement auf. Achtzehn Quadratmeter nicht überdacht, aufgrund der Hanglage ruhten die äußeren Ecken ihres Balkons auf Stockwerk hohen Pfeilern - wie eine Plattform schwebte er über Hortensienbüschen und Rasen. Jetzt, gegen Abend, lag er im Schatten des Nussbaums. Eine leichte Brise fuhr in seine Krone, Blattwerk raschelte, gierig sog Eva die frische Luft ein. Kopfschmerzen bahnten sich an, Nervenenden im Hirn lagen bloß, bei der geringsten Bewegung klickten sie aneinander wie die an Drähten baumelnde Stahlkugelriege auf dem eichenen Schreibtisch von Ernst.

      Klack – klack - klack ... fünf glänzende Kugeln, glatzköpfig, stahlhart. Plötzlich war Eva wieder ein Kind, sie musste die Finger zur Hilfe nehmen. Vater und Großvater, kleiner und Ringfinger, mit ihrer Umklammerung verbannte sie die Erinnerung. Der Mittelfinger kam dazu: Paul, der aus England stammte und sich wegen der großen Entfernung und einer quirligen Engländerin verabschiedet hatte, sie waren Freunde geblieben. Vor ihm und nach ihm und immerzu Till, viele lange Jahre. Evas Zeigefinger ragt aus der Hand wie ein Mahnmal - oh Gott, nur nicht gerade jetzt daran denken! Und mit Abstand zu allen Ernst, ihr abgespreizter Daumen und angetrauter Ehemann in guten wie in schlechten Zeiten. Zufällig kam die Anzahl der Kugeln der Männerriege in Evas Lebenslauf gleich. Ihre Augen hefteten sich auf den wabernden Efeu über der schmiedeeisernen Brüstung. Wer aus der Stahlkugelreihe, fragte sie sich beklommen, wer hatte den Anfang gemacht, den Anstoß gegeben und alles in Bewegung gebracht?

      Eva führte den Kopf auf die Brust und zurück in den Nacken, um Ordnung zu schaffen im konfusen Verstand. Sofort jagten Stiche vom Hinterkopf in ihre Augäpfel, als hätte eine der bleischwer agierenden Kugeln sie voll am Kopf erwischt. Ihr war, als wolle er bersten.

      Seit ihrer Rückkehr vom Polizeirevier hatten Nina und Eva einsilbig in der Küche gehockt. Die Kluft am Küchentisch war unüberbrückbar. Der leere Platz zwischen Mutter und Tochter gaffte sie an, Nina schien weder Appetit auf Pasta noch auf Salat zu haben. Lustlos stocherte sie in ihrem Teller. Es war ein Geduldsspiel gewesen, aber sie hatte es geschafft, die langen Möhren- und Zucchinistreifen fein säuberlich von den dünnen Spaghetti zu trennen. Wie ein ausgewürgtes gelbgrünes Vogelnest lagerten sie auf dem Tellerrand, Eva seufzte. Sie stand auf und holte für beide ein Stück Tiramisu aus dem Kühlfach.

      Der Oktober war nicht mehr weit, dann wurde Nina fünfzehn. In Evas Augen ein großes Kind. Sie senkte den Blick und löffelte angelegentlich ihren Nachtisch. Denn ausgerechnet dann, wenn sie es keinesfalls sollte, pflegte Nina urplötzlich Gedanken lesen, und den mit dem Kind würde sie ätzend finden und kränkend ... halt wieder mal typisch Mutter! Kuscheltiere im Bett, ja und, was hatte das schon zu bedeuten? Sie war längst erwachsen und Punkt!

      Eva sah auf und entdeckte tiefe Schatten unter Ninas Augen. Machte die Abwesenheit der großen Schwester ihr stärker zu schaffen, als ihr bewusst war? Die Tierhandlung fiel Eva ein, sie hatte sich heimlich nach einer jungen Katze umgesehen, weil Ninas Herz daran hing, seit sie denken konnte. Aber so ein Tier war nicht unproblematisch. Es wurde größer und wühlte wahrscheinlich im Kompost. Oder es scharrte im Garten an Stellen, wo es nicht scharren durfte. Grub so ein Tier nicht wie Hunde das Erdreich um?

      Ob Hund, Katze oder anderes frei laufendes Getier - seit Ernst weg war, hatte Eva Angst vor Eindringlingen. Sie war heilfroh über die lückenlose Einfassung ihres Grundstücks, drei Seiten umspannte der Maschendrahtzaun, die vierte zur Straße hin war begrenzt von einer mannshohen Mauer. Ernst hatte den Schutzwall der Wildschweine wegen hoch gezogen, die gegen Ende ihrer Bauzeit die Gärten der Nachbarschaft verwüstet hatten. Das schmiedeeiserne Tor in der Mauer schnappte automatisch zu.

      Ob allerdings ausgerechnet eine junge Katze Nina von ihrem Kummer ablenken und über die schwierige Zeit hinweghelfen würde? Das Beste war, die Entscheidung zu vertagen, Eva presste die Handflächen gegen die pochenden Schläfen. Da hockten sie beide wortkarg am Tisch, und jede für sich hing ihren ureignen Gedanken nach. Anna in Melbourne ... sie musste sie unbedingt informieren, bevor sie das mit ihrem Papa aus anderer Quelle erfuhr.

      Nina, am kurzen Ende der Eckbank, pickte gedankenverloren an ihrem Dessert. Plötzlich hob sie den Kopf, ihre Augen weiteten sich, sie fragte mit piepsiger Stimme: „Ob sie den Papa womöglich gar nicht suchen wollen? Was meinst du, wie es jetzt weiter geht?“ Ein Stoßseufzer entrang sich ihrer Brust, sie rief, als wäre das jetzt die Lösung:

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