Gang ohne Wiederkehr. Bärbel Junker
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Читать онлайн книгу Gang ohne Wiederkehr - Bärbel Junker страница 3
Sie ist einfach in den Wald gelaufen.
Und dann?
Es grenzt schon an ein Wunder, dass es ihr überhaupt gelungen ist, die freie Fläche vor den Gebäuden unbemerkt zu überwinden. Wie hat sie sich darüber gefreut in dem Wald untertauchen zu können. Hier fühlt sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder sicher.
Aber es ist eine trügerische Sicherheit.
Denn was kommt danach?
Was, wenn sie den Wald wieder verlässt?
Wer könnte, wer würde ihr helfen, wenn sie ihre Geschichte erzählt?
Wo könnte sie überhaupt jemanden finden, der sie versteht?
Während ihr das alles durch den Kopf geht, ist sie immer langsamer geworden. Jetzt bleibt sie keuchend stehen. Orientierungslos sieht sie sich um.
Bäume so weit das Auge reicht und Gebüsch, viel Gebüsch, auch mit stachelbewehrten Zweigen die ihr zusetzen. Und dahinter ist ein Fluss wie sie bei ihrer Ankunft zufällig bemerkt hat.
Sie blickt an sich herunter, mustert die schwarze Kutte, die man sie gezwungen hat anzuziehen, weil ihre Bewacher es für einen Besucher, eine sogenannten Interessenten, so wollten.
Jetzt ist sie an vielen Stellen zerrissen.
Ihre langen schwarzen Haare hängen feucht und schwer auf ihrem schmalen Rücken. Ihr Gesicht ist ebenso zerkratzt wie ihre Arme und ihr linker Schuh hat den Absatz verloren.
Aber wenn schon.
Sie muss weiter!
Im Begriff sich wieder in Bewegung zu setzen, erstarrt sie.
Hundegebell!
Sie sind ihr bereits dicht auf den Fersen.
Mit Hunden!
Es gibt kein Entkommen!
Sie werden sie finden.
Und sie werden sie töten!
Und niemand wird je erfahren, warum. Denn keiner kümmert sich darum, was in dem Anwesen und den anderen Unternehmungen dieser gnadenlosen Frau geschieht.
Und von den Betroffenen erhält nie jemand die Gelegenheit sich um Hilfe von außen zu bemühen. Vielleicht würde sich in diesem Land die Polizei darum kümmern. Jedoch hat die vermutlich nicht die geringste Ahnung davon, was hier unter ihren Augen passiert.
EIN ZEICHEN!
Ich muss zumindest ein Zeichen hinterlassen, welches vielleicht anderen hilft; denn mein Leben ist verwirkt, wird hier und jetzt zu Ende gehen.
Und warum auch nicht!
Ich bin so müde, so erschöpft, so ohne jede Hoffnung. Sie haben mich zerstört, meine Seele befleckt und mir meine Ehre genommen.
Ich will nicht mehr in ständig neue Gesichter sehen, fremde Körper spüren, wie erstarrt vor Ekel sein.
Es muss endlich ein Ende haben!
Und dann kommt ihr eine verzweifelte Idee.
Sie reißt eine Dornenranke von einem Busch. Einen Moment lang setzt sie sich auf einen Baumstamm um ihr Vorhaben auszuführen.
Sie muss sich dabei beeilen.
Das Bellen kommt näher.
Sie erschrickt. Was tun?
Sie grault sich vor den schrecklichen Kampfhunden, die alle und jeden anfallen.
Ich muss den Fluss erreichen. Ertrinken ist das kleinere Übel, denkt sie fatalistisch.
Geschafft. Sie ist fertig!
Sie wirft die blutverschmierte Dornenranke hinter sich und mobilisiert die letzten, ihr noch verbliebenen Kräfte.
Wie von der Sehne geschnellt eilt sie davon, weiter, immer weiter, auf den Fluss zu.
Doch ihre schwachen Kräfte erlahmen schon sehr bald. Sie wird langsamer. Glaubt schon nicht mehr daran es zu schaffen.
Doch da ist er!
Da ist der Fluss.
Leise gluckernd zieht er seine Bahnen, schert sich nicht um die Sorgen der Menschen um sich herum.
Sie steht am Ufer, zögert sekundenlang den letzten Schritt zu tun.
Da durchbricht ein dunkles Knurren die Stille der Nacht.
Sie dreht sich langsam um.
Der riesige Hund steht geifernd sprungbereit vor ihr. Dicke Speichelfäden rinnen aus seinem Maul, hellblaue, fast durchsichtig wirkende Augen wenden keine Sekunde lang den Blick von ihr.
Sie zittert vor panischem Entsetzen, vermag ihren Blick nicht von dem Furcht einflößenden Gebiss des Tieres zu wenden.
Der Mann, der Hundeführer, lacht.
„Na, jetzt fürchtet sich das kleine Schlitzauge wohl“, höhnt er. „Hast du Schlampe wirklich geglaubt, du könntest uns entkommen? Wenn nicht ich, dann hätte dich mein Kumpel geschnappt und dessen Hund ist noch gefährlicher.“
Sie sieht ihn nur an, versteht diese Sprache kaum, nur wenige Worte, die ihr Chung beigebracht hat. Sie hat sich mit diesem deutschen Alphabet unheimlich schwer getan, bis sie es schreiben konnte und einigermaßen begriffen hatte. Auch jetzt versteht sie die Worte kaum, erkennt jedoch den darin enthaltenen Hohn.
Langsam weicht sie vor ihren Mördern zurück.
„Noch ein Schritt, dann stürzt du da runter. Aber wahrscheinlich wäre das ein angenehmerer Tod“, meint er grinsend.
Sie sagt nichts, starrt ihn nur aus schreckgeweiteten Augen an, bis es ihm zu viel wird.
„Fass, Bazoo!“, befiehlt der Mann.
Da spannt sich der sehnige Körper des Tieres. Wie ein Pfeil fliegt es auf sein schreiendes Opfer zu, krallt sich fest an dessen Brust, beißt einmal so kräftig zu, dass es der Frau fast die Schulter wegreißt, bevor beide zusammen den steilen Abhang hinunter ins Wasser stürzen.
Die junge Frau knallt unglücklich auf ein wurmstichiges Boot, das verborgen inmitten des dichten Pflanzenteppichs dümpelt.
Genickbruch. Sie ist sofort tot.
Der Hund schwimmt zurück zum Ufer, wo er mit einem Tritt von seinem Herrn empfangen wird.
„Wo ist das verdammte Weib?
Du hast sie doch wohl hoffentlich umgebracht“, knurrt er wütend darüber, dass er das blutige Gemetzel nicht mit ansehen konnte.