Top Angebot - Schnell zugreifen. Marlin Schenk
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„Und Jockel?“
„Na ja.“ Eberhard musste zugeben: „Immerhin weiß er mit einem Zapfhahn umzugehen.“
„Da hast du’s. Vielleicht kommt er ja heute Abend. Dann fragen wir ihn gleich, ja?“
„Helga, das geht in die Hose“, sagte Eberhard. „Ich hab’ kein gutes Gefühl dabei, wenn wir die Kneipe alleine lassen.“
Helga schaute Eberhard mit klimpernden Augen an, bis er weich wurde und nachgab. „Lass es uns versuchen, ja? Nur dieses eine Mal.“
Von der schmalen Holztreppe her, die zum ersten Stock führte, war nun ein Krückstock zu hören, mit dem Elfriede Boltersdorf sich vorsichtig nach unten bemühte. Sie stocherte mit dem Stock auf den Stufen herum, bis sie, wie sie es zu nennen pflegte, wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Und mit diesem Stock - er war zum Gehen nicht unbedingt notwendig und sollte nur Mitleid erregen - stieß sie die Tür zur Gaststätte auf. Eine Weile blieb sie im Rahmen stehen und fokussierte, so gut es eben durch die dicke Brille möglich war, ihren Sohn Eberhard. Als dieser seinen Blick nicht von der Zeitung nahm, sagte sie mit zittriger Stimme: „Willst du deiner alten Mutter nicht durch diesen Sündenpfuhl helfen?“
Eberhard seufzte. „Ja, Mama.“ Er erhob sich und ging zu seiner Mutter, um ihr seinen Arm zur Verfügung zu stellen. „Übrigens, hast du eben Sündenpfuhl gesagt? Wir sind doch keine Lustherberge.“
„Aber gesoffen wird hier. Tagtäglich.“ Betont klapprig stöckelte sie an Eberhards Arm durch die Gaststätte, bis sie sich neben Helga auf der Bank niederlassen konnte. „Weißt du, was das für deine alte Mutter für ein Kampf ist, jeden Abend im Bett diesen Lärm hören zu müssen, bis endlich alle gegangen sind?“
„Mutter, das haben wir doch schon hundertmal durchdiskutiert“, sagte Eberhard ruhig. „Wir leben halt von dieser Gaststätte. Zwar nicht gerade üppig, aber trotzdem drücken wir für dich jeden Monat ein paar schöne Mark ab.“
„Sündenlohn.“
Eberhard schlug mit der Hand auf den Tisch und wurde laut. „Den du mit beiden Händen einraffst.“
Elfriede schaute beleidigt weg. „Dein Bruder geht jedenfalls einer geregelten Arbeit nach.“
„Und ruhig ist es da auch, nicht wahr?“ patzte Eberhard.
Elfriedes Stimme klang ein wenig weinerlich, als sie sagte: „In der Tat. Aber er hat ja keinen Platz für mich. Er würde mich bestimmt gern aufnehmen.“
„Aber nicht für lange“, murmelte Eberhard.
„Was hast du gesagt?“
„Nichts.“
Die Diskussion, die sich so oder so ähnlich mindestens zweimal im Monat abspielte, wurde unterbrochen, als Jockel mit Annette zur Tür hereinstapfte. „Hey, Leute“, sagte er, und Annette hob dazu die Hand zu einem zarten Winken.
Helga begrüßte das Paar erfreut. „Hallo, ihr beiden. Probe beendet, Jockel?“
„Klar, eh. Haben bald unseren ersten Gig.“
„Gig?“ kauzte Elfriede. „Komm, setz dich einmal zu mir, mein Junge.“
Jockel setzte sich neben die alte Frau und schüttelte seine Mähne. „Ja, Gig, Oma. So nennt man einen Auftritt. Und Annette ist mein Groupie.“
Elfriede tätschelte Jockel lachend die Schulter. „Du mit deinen Fachausdrücken.“
„Oma ist’n Fan von euch, Jockel“, witzelte Eberhard.
„Lass den Jungen nur machen“, antwortete Elfriede. „Er wird euch alle noch in die Tasche stecken. Schließlich hat er studiert, nicht wahr, Jockel?“
„Ja, Musik und Deutsch. War echt ein fettes Kapitel, eh.“
„Und wie viele Instrumente spielst du?“ fragte Oma weiter.
„Einige. Aber in der Band nur die Schießbude, und manchmal ‘ne Klampfe.“
Helga beugte sich vor. „Und Bier zapfen kannst du auch, nicht wahr, Jockel?“
„Total, Mädchen.“
Sie schaute Eberhard an, und als er nicht reagierte, fragte sie weiter. „Könntest du auch eine Gaststätte führen?“
Jockel lachte. „Hab’ doch studiert.“
Als ob er auf ein Stichwort gewartet hätte, brachte nun Eberhard sich ein. „Pass auf, Jockel“, sagte er. „Helga und ich wollen mal ‘ne Woche lang die Gräten ausstrecken. Und da brauchen wir jemanden, der den Karren hier lenkt.“
„Klar, Ong.. – äh – Eberhard, mach ich doch, Mann.“
„Im Oktober?“ fragte Helga.
„Jederzeit, Leute. Nicht wahr, Annette?“
Das Mädchen schaute entgeistert drein.
„Fahrt ihr nur weg“, bestimmte Elfriede. „Der Jockel macht das schon. Habe ich recht?“
„Klar. Und damit ich’s lerne, ziehe ich mir jetzt gleich einmal ein Bier aus dem Hahn.“
„Aber ob das gut geht?“ fragte Annette.
Helga begriff die Frage nicht. „Warum?“
„Ihr habt ein ruhiges Publikum, das vorwiegend aus älteren Herrschaften besteht“, erklärte Annette. „Da kann man Jockel mal als Gast dazwischen setzen. Aber hinter der Theke?“
Noch nie hatte Annette etwas zu seinem Outfit gesagt, in zwei Jahren nicht. Aber jetzt schaute Jockel richtig baff drein. Sein Blick verriet seine düstere Befürchtung, dass Annette nicht hundertprozentig einverstanden sein könnte mit seinem Typ. Annette sah toll aus, bürgerlich, gepflegt. Jockel schaute an sich herab und dann Annette an. „Du schaffst es, dass ich mich unwohl fühle“, sagte er und fasste Annette am Kinn. Zärtlich justierte er ihren Kopf in seine Richtung und fragte: „He, Maus, seit wann hast du denn was gegen meine Hecke?“
Annette befreite sich fast ärgerlich aus seinem Griff. „Ich hab’ nichts gegen deine Haare, Jockel. Es war nur - nur so ein Gedanke.“
Jockel seufzte. „Ich helfe heute Abend hinter der Theke“, sagte er. „Dann werden wir sehen, was die Leute sagen. Okay?“
„Bist’n guter Junge“, sagte Elfriede, und Eberhard nickte dazu.
*
Am Abend erschien Jockel in weißem Hemd und weinroter Bundfaltenhose. Die Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Helga pfiff durch die Zähne.
Als die Gaststätte sich langsam füllte, sprang Jockel hinter die Theke, um seine geschickte Hand zu beweisen.
Die Theke war bald rundherum mit Geschäftsleuten und Rentnern aus der Altstadt belagert. Sie klebten da wie Muscheln auf einem Stein und tranken ihr Bier. Das Vorurteil, das die meisten gegen ihn hegten, weil er schon des Öfteren durch seine Aufmachung aufgefallen war, zerrieb Jockel zu Staub,