Die Erbschaft. Elisa Scheer
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„Ich weiß nicht mehr, was ich ihm zutrauen kann und was nicht. Diese miese Laus!“
Cora drückte mir einen Porzellanhund in die Hand. „Was soll ich damit?“
„Wirf ihn aus dem Fenster auf die Straße, das befreit. Aber guck vorher, ob jemand kommt!“ Ich stellte mir vor, es sei kein Hund, sondern eine Ratte namens Christian, und schleuderte das hässliche Ding nach einem hastigen Blick nach links und rechts auf den Bürgersteig, wo es mit einem Knall zerschellte. Ha! Danach ging es mir tatsächlich besser, aber nur einige Minuten lang, dann heulte ich wieder – weil Christian so gemein war, weil ich ein dummes Huhn war, das diese Gemeinheit jahrelang gar nicht bemerkt hatte, weil ich nicht wusste, was jetzt werden sollte, weil ich mir furchtbar leid tat, weil... und überhaupt. „Vielleicht war er vorher gar nicht so gemein“, antwortete Cora nachdenklich, als sie mein Geschluchze schließlich deuten konnte. „Manche Leute werden doch erst so, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es gerne hätten, und vorher verstecken sie ihre miese Art sehr raffiniert. Das konntest du wohl gar nicht merken. Du bist kein dummes Huhn!“
„Doch“, heulte ich, „ich hab doch überhaupt keine Menschenkenntnis. Ich hätte es merken müssen, wie er mich ausgenutzt hat!“
„Das merkt man doch immer erst, wenn die Liebe zum Teufel geht“, murmelte Cora und fuhr sich ratlos durch ihren schwarzen Pagenkopf. Wahrscheinlich ging ihr mein Geflenne allmählich furchtbar auf die Nerven! Ich schluchzte noch einmal auf und putzte mir dann energisch die Nase. „Wollen wir kochen?“
„So ist es brav, meine tapfere Sarah!“
Ich hatte gerade begonnen, Zwiebeln zu hacken, als es klingelte und ein Fahrradkurier einen Umschlag vorbeibrachte. Cora öffnete den Umschlag und überflog den Inhalt, dann nickte sie und bestätigte den Empfang.
„So, jetzt hast du ein Zeugnis nach Wunsch. Morgen machen wir Kopien, und nächste Woche geben wir eins bei JobTime ab. Wieder ein Schritt geschafft!“
Während der Osterfeiertage ging ich viel spazieren, damit Cora und Freddy auch mal sturmfreie Bude hatten. Allzu viel Zeit hatte Freddy freilich nicht, weil seine Mutter fast einen Herzstillstand erlitten hätte, als er andeutete, bei Cora zum Osterfrühstück eingeladen zu sein.
„Das Blöde ist, dass sie nie sagt, was sie gegen mich hat“, murrte Cora, „sie sagt immer nur, ich sei eine reizende junge Dame, und dann greift sie sich filmreif ans Herz. Irgendwann platzt Freddy der Kragen und er ignoriert es. Dann nippelt sie wahrscheinlich wirklich ab, und er macht sich ewige Vorwürfe. Scheißsituation!“
Trotzdem schlenderte ich stundenlang durch die Straßen, erkundete die Umgebung meiner neuen Wohnung, dachte über Christian nach, vor allem darüber, an welchen Anzeichen ich schon viel früher hätte erkennen müssen, dass er eine Ratte war, kickte Kieselsteine vor mir her und schaute glücklichen Familien beim Osterspaziergang zu, bis ich mir wieder richtig Leid tat.
Stolz und das Gefühl dafür, was man tat und was nicht, schrumpften angesichts des Selbstmitleids in sich zusammen – jetzt wollte ich doch wissen, wie meine Nachfolgerin aussah!
Ich suchte mir eine Telefonzelle, in der tatsächlich ein vollständiges Telefonbuch hing, und schlug nach. Unter Rütensberger standen nur zwei Einträge, F.W. von Rütensberger im westlichen Waldburgviertel, und C. von Rütensberger im Univiertel, in der Carolinenstraße. O Gott, das war gar nicht weit weg von mir!
Am Ostermontag stylte ich mich so auf, dass Christian mich nicht erkennen konnte (Jeans und Sweatshirt mussten reichen) und machte mir einen Pferdeschwanz, denn ich dann durch eine von Coras Baseballkappen steckte. Dazu eine Sonnenbrille (angesichts des wechselhaften Wetters nicht unbedingt notwendig) und ich war für Christian, der nur echte Damen wahrnahm, total unsichtbar – hoffte ich wenigstens.
So angetan spazierte ich zwei Stunden durch das Univiertel und warf dabei mehr als einen Blick auf das Haus, in dem die stilvolle Charlotte – wenn das wirklich ihre Adresse war – wohnte. Nichts Auffälliges, ein renovierter Altbau wie überall im Viertel, im Erdgeschoss eine Kneipe und eine Reinigung. C. Rütensberger wohnte im Vordergebäude, im dritten Stock. Ich wechselte auf die andere Straßenseite und betrachtete mit mäßigem Interesse die Fenster einer Buchhandlung, die sich auf Filmbücher spezialisiert hatte, dann warf ich wieder einen Blick auf die Fassade. Im dritten Stock waren sämtliche Fenster schmierig. Da war wohl die Putzfrau krank geworden?
Mehr war nicht festzustellen, und so groß war der Triumph auch nicht, dass die stilvolle Charlotte eine schlampigere Hausfrau war als ich. Ich hoffte nur, dass Christian nun alles selbst machen musste! Wenn ich hier schon herumstreifte, konnte ich auch noch durch die Philippinengasse schlendern. In Christians Wohnung waren die Fenster sauber – kein Wunder, ich hatte sie erst am Wochenende vor meinem Auszug geputzt, während der gnädige Herr auf dem Golfplatz war. Wahrscheinlich hatte er mit Charlotte gespielt, kein Wunder, dass sie keine Zeit hatte, die Fenster zu putzen!
Ich kam mir allmählich vor wie eine manische Hausfrau. War es nicht eigentlich sehr positiv, wenn eine Frau lieber auf dem Golfplatz Geschäftskontakte knüpfte, als mit Superglanzspray ihre Fenster zu bearbeiten? Nur im Prinzip, beschloss ich finster, nicht, wenn es sich um meine Nachfolgerin handelte, die konnte nichts richtig machen. Hoffentlich ließ sie Christian in ungebügelten Hemden herumlaufen und bescherte ihm eine nette kleine Lebensmittelvergiftung!
Oder sie sollte sich grundsätzlich weigern, seinen Haushalt zu machen, damit er hilflos im Chaos versank! Das war fast noch besser, obwohl mir klar war, dass er mich deshalb trotzdem nicht vermissen würde. Musste er auch nicht, ich wollte ihn schließlich nicht zurück, dazu hasste ich ihn viel zu sehr.
Jedenfalls wünschte ich ihm alles Schlechte, und wenn er sich noch einmal so etwas wie mit dem Zeugnis leisten sollte, würde ich Coras Drängen nachgeben und ernsthaft über fiese Rache nachdenken – natürlich so, dass er nicht darauf kam, wer dahinter steckte. Weder Christian noch die vornehme Charlotte waren irgendwo zu sehen; vielleicht aßen sie stilvoll bei ihren Eltern oder spielten mal wieder Golf – oder etwas ganz anderes!
Ich schlenderte weiter durch die Straßen und überlegte, was ich in der nächsten Woche alles tun sollte – auf jeden Fall fleißig arbeiten, auch wenn es bloß Ablage war, und mir zusammen mit Cora und diesem Anwalt die Wohnung meines Großvaters ansehen. Wahrscheinlich war sie völlig vergammelt, aber sie gehörte mir, und alles andere war doch egal. Wahrscheinlich war auch auf der Bank einiges zu regeln, aber das hatte sicher Zeit. Ob ich wohl schon umziehen konnte? Gab es in dieser Wohnung ein benutzbares Zimmer? Und wie war wohl dieser Untermieter? Wahrscheinlich ein Student; wenn er erst seit einem halben Jahr dort wohnte, sicher ein Anfänger. Höhere Semester bekamen entweder etwas im Studentenheim oder kannten genug Leute für eine WG, nur Erstsemester landeten noch in möblierten Zimmern. Jedenfalls war das so gewesen, als ich angefangen hatte. Na gut, das war über zehn Jahre her, vielleicht hatten sich die Trends geändert, vielleicht waren Untermietzimmer mittlerweile der letzte Schrei?
Am Montagabend bestanden Cora und Freddy darauf, dass ich mit ihnen essen ging. Süß, die beiden wollten mich nur aufmuntern! Ich fügte mich und stocherte im La Cucaracha in meinen Burritos herum.
„Jetzt iss doch mal richtig, Sarah!“, schimpfte Cora, als sie sah, wie ich langsam und lustlos das Gemüse aus dem Teigfladen polkte.
„Ich hab einfach keinen Appetit zurzeit, ich weiß auch nicht, warum.“
„Schwanger bist du aber nicht, oder?“ Cora sah mich mit weit aufgerissenen Augen an.
„Nein, ich hab doch immer die